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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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berühmt, haben in ihm ihr Geheimniß. Sie
treiben und betreiben, suchen und haschen im
Schweiße ihres Angesichtes und mit hochtrabender
Zufriedenheit, während ihr wahres Geschick, ihre
eigenthümliche Kraft schlummert für ewige Zeiten
oder für eine andere Sache aufbewahrt bleibt,
Besonders in Literatur und Kunst sucht der
Dilettantismus die mangelnde naive Meisterschaft
durch Neuheit und Betriebsamkeit in allerhand
Versuchen zu ersetzen, zeichnet sich fortwährend
durch halbe Anläufe aus und gewinnt nach diesen
einige Poesie, einiges Pathos in einem wehmüthi¬
gen elegischen Ende, Er bereitet die Blüthenzeit
vor, bringt sie zu Fall und verscharrt sie eifrigst,
düngt aber wieder ihr Grab zu neuem Wachs¬
thum. Er ist der große Vermittler, Dämpfer
und Hinhalter in der Weltökonomie; denn wenn
die schlafenden Meisternaturen, die zweifelsohne
jeden Augenblick vorhanden sind, aber unbewußt
hinter dem Pfluge gehen oder auf dem Dreifuß
des Schusters sitzen, alle ihre Bestimmung ent¬
decken und erfüllen würden, so würde unsere
Erdenherrlichkeit längst ihr Lied abgeschnurrt haben.

IV. 9

beruͤhmt, haben in ihm ihr Geheimniß. Sie
treiben und betreiben, ſuchen und haſchen im
Schweiße ihres Angeſichtes und mit hochtrabender
Zufriedenheit, waͤhrend ihr wahres Geſchick, ihre
eigenthuͤmliche Kraft ſchlummert fuͤr ewige Zeiten
oder fuͤr eine andere Sache aufbewahrt bleibt,
Beſonders in Literatur und Kunſt ſucht der
Dilettantismus die mangelnde naive Meiſterſchaft
durch Neuheit und Betriebſamkeit in allerhand
Verſuchen zu erſetzen, zeichnet ſich fortwaͤhrend
durch halbe Anlaͤufe aus und gewinnt nach dieſen
einige Poeſie, einiges Pathos in einem wehmuͤthi¬
gen elegiſchen Ende, Er bereitet die Bluͤthenzeit
vor, bringt ſie zu Fall und verſcharrt ſie eifrigſt,
duͤngt aber wieder ihr Grab zu neuem Wachs¬
thum. Er iſt der große Vermittler, Daͤmpfer
und Hinhalter in der Weltoͤkonomie; denn wenn
die ſchlafenden Meiſternaturen, die zweifelsohne
jeden Augenblick vorhanden ſind, aber unbewußt
hinter dem Pfluge gehen oder auf dem Dreifuß
des Schuſters ſitzen, alle ihre Beſtimmung ent¬
decken und erfuͤllen wuͤrden, ſo wuͤrde unſere
Erdenherrlichkeit laͤngſt ihr Lied abgeſchnurrt haben.

IV. 9
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[129/0139] beruͤhmt, haben in ihm ihr Geheimniß. Sie treiben und betreiben, ſuchen und haſchen im Schweiße ihres Angeſichtes und mit hochtrabender Zufriedenheit, waͤhrend ihr wahres Geſchick, ihre eigenthuͤmliche Kraft ſchlummert fuͤr ewige Zeiten oder fuͤr eine andere Sache aufbewahrt bleibt, Beſonders in Literatur und Kunſt ſucht der Dilettantismus die mangelnde naive Meiſterſchaft durch Neuheit und Betriebſamkeit in allerhand Verſuchen zu erſetzen, zeichnet ſich fortwaͤhrend durch halbe Anlaͤufe aus und gewinnt nach dieſen einige Poeſie, einiges Pathos in einem wehmuͤthi¬ gen elegiſchen Ende, Er bereitet die Bluͤthenzeit vor, bringt ſie zu Fall und verſcharrt ſie eifrigſt, duͤngt aber wieder ihr Grab zu neuem Wachs¬ thum. Er iſt der große Vermittler, Daͤmpfer und Hinhalter in der Weltoͤkonomie; denn wenn die ſchlafenden Meiſternaturen, die zweifelsohne jeden Augenblick vorhanden ſind, aber unbewußt hinter dem Pfluge gehen oder auf dem Dreifuß des Schuſters ſitzen, alle ihre Beſtimmung ent¬ decken und erfuͤllen wuͤrden, ſo wuͤrde unſere Erdenherrlichkeit laͤngſt ihr Lied abgeſchnurrt haben. IV. 9

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/139>, abgerufen am 20.04.2024.