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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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gewesen, die kranke Schöne in ihrer Behausung
unterzubringen.

Als einige Tage verflossen waren und die
Blume jenes Gerüchtes völlig aufgegangen, ver¬
sammelte der Gottesmacher einige Musikgenossen,
mit welchen er gewöhnlich Quartett spielte, und
übte mit ihnen einen ganzen Tag lang. Am
Abend führte er sie vor Agnesens kunstreiches
Häuschen; der Violoncellist, welcher ein Land¬
schafter war, hatte seinen Feldstuhl mitgenommen
und setzte sich auf denselben zum Spiele, die
anderen Drei standen neben ihm, und nachdem sie
leise und sorgfältig die Saiten gestimmt, erklan¬
gen die harmonischen, gehaltenen Töne der Geigen
über den kleinen, stillen Platz. Augenblicklich öff¬
neten sich alle Fenster in der Runde, die Nach¬
baren steckten neugierig entzückt die Köpfe in die
laue Märznacht hinaus, und die Frauen und Mäd¬
chen spähten, wem die unerwartete Serenade gel¬
ten möchte.

Die Musiker spielten einige ernste, klagende
Stellen aus älteren Tonwerken, deren edle, kräf¬
tige Unbefangenheit süß und wohllautend das

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geweſen, die kranke Schoͤne in ihrer Behauſung
unterzubringen.

Als einige Tage verfloſſen waren und die
Blume jenes Geruͤchtes voͤllig aufgegangen, ver¬
ſammelte der Gottesmacher einige Muſikgenoſſen,
mit welchen er gewoͤhnlich Quartett ſpielte, und
uͤbte mit ihnen einen ganzen Tag lang. Am
Abend fuͤhrte er ſie vor Agneſens kunſtreiches
Haͤuschen; der Violoncelliſt, welcher ein Land¬
ſchafter war, hatte ſeinen Feldſtuhl mitgenommen
und ſetzte ſich auf denſelben zum Spiele, die
anderen Drei ſtanden neben ihm, und nachdem ſie
leiſe und ſorgfaͤltig die Saiten geſtimmt, erklan¬
gen die harmoniſchen, gehaltenen Toͤne der Geigen
uͤber den kleinen, ſtillen Platz. Augenblicklich oͤff¬
neten ſich alle Fenſter in der Runde, die Nach¬
baren ſteckten neugierig entzuͤckt die Koͤpfe in die
laue Maͤrznacht hinaus, und die Frauen und Maͤd¬
chen ſpaͤhten, wem die unerwartete Serenade gel¬
ten moͤchte.

Die Muſiker ſpielten einige ernſte, klagende
Stellen aus aͤlteren Tonwerken, deren edle, kraͤf¬
tige Unbefangenheit ſuͤß und wohllautend das

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[3/0013] geweſen, die kranke Schoͤne in ihrer Behauſung unterzubringen. Als einige Tage verfloſſen waren und die Blume jenes Geruͤchtes voͤllig aufgegangen, ver¬ ſammelte der Gottesmacher einige Muſikgenoſſen, mit welchen er gewoͤhnlich Quartett ſpielte, und uͤbte mit ihnen einen ganzen Tag lang. Am Abend fuͤhrte er ſie vor Agneſens kunſtreiches Haͤuschen; der Violoncelliſt, welcher ein Land¬ ſchafter war, hatte ſeinen Feldſtuhl mitgenommen und ſetzte ſich auf denſelben zum Spiele, die anderen Drei ſtanden neben ihm, und nachdem ſie leiſe und ſorgfaͤltig die Saiten geſtimmt, erklan¬ gen die harmoniſchen, gehaltenen Toͤne der Geigen uͤber den kleinen, ſtillen Platz. Augenblicklich oͤff¬ neten ſich alle Fenſter in der Runde, die Nach¬ baren ſteckten neugierig entzuͤckt die Koͤpfe in die laue Maͤrznacht hinaus, und die Frauen und Maͤd¬ chen ſpaͤhten, wem die unerwartete Serenade gel¬ ten moͤchte. Die Muſiker ſpielten einige ernſte, klagende Stellen aus aͤlteren Tonwerken, deren edle, kraͤf¬ tige Unbefangenheit ſuͤß und wohllautend das 1 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/13>, abgerufen am 29.03.2024.