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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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fer zu packen, weil Du sonst vor Abgang der
Post nicht mehr fertig würdest."

Heinrich guckte in den Koffer; mit richtigem
Sinn hatte die gute Frau Mappen und Bücher
auf den Boden gebreitet; nur hatte sie mit we¬
niger Zartheit verschiedene Bogen und Papiere
nicht genugsam zusammengeschichtet, so daß einige
derselben an den Wänden des Koffers gekrümmt
wurden, was der Sohn eifrig verbesserte. Für
Papier haben die meisten Hausfrauen überhaupt
nicht viel Gefühl, weil es nicht in ihren Bereich
gehört. Die weiße Leinwand ist ihr Papier, die
muß in großen, wohl geordneten Schichten vor¬
handen sein, da schreiben sie ihre ganze Lebens¬
philosophie, ihre Leiden und ihre Freuden darauf.
Wenn sie aber einmal ein wirkliches Briefchen
schreiben wollen, so findet sich kaum ein veralte¬
tes Blatt dazu und man kann sich alsdann mit
einem hübschen Bogen Postpapier und einer wohl¬
geschnittenen Feder sehr beliebt bei ihnen machen.

Auch hier erwies es sich, daß die Mutter
eigentlich die schweren Gegenstände zu unterst ge¬

fer zu packen, weil Du ſonſt vor Abgang der
Poſt nicht mehr fertig wuͤrdeſt.«

Heinrich guckte in den Koffer; mit richtigem
Sinn hatte die gute Frau Mappen und Buͤcher
auf den Boden gebreitet; nur hatte ſie mit we¬
niger Zartheit verſchiedene Bogen und Papiere
nicht genugſam zuſammengeſchichtet, ſo daß einige
derſelben an den Waͤnden des Koffers gekruͤmmt
wurden, was der Sohn eifrig verbeſſerte. Fuͤr
Papier haben die meiſten Hausfrauen uͤberhaupt
nicht viel Gefuͤhl, weil es nicht in ihren Bereich
gehoͤrt. Die weiße Leinwand iſt ihr Papier, die
muß in großen, wohl geordneten Schichten vor¬
handen ſein, da ſchreiben ſie ihre ganze Lebens¬
philoſophie, ihre Leiden und ihre Freuden darauf.
Wenn ſie aber einmal ein wirkliches Briefchen
ſchreiben wollen, ſo findet ſich kaum ein veralte¬
tes Blatt dazu und man kann ſich alsdann mit
einem huͤbſchen Bogen Poſtpapier und einer wohl¬
geſchnittenen Feder ſehr beliebt bei ihnen machen.

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[16/0030] fer zu packen, weil Du ſonſt vor Abgang der Poſt nicht mehr fertig wuͤrdeſt.« Heinrich guckte in den Koffer; mit richtigem Sinn hatte die gute Frau Mappen und Buͤcher auf den Boden gebreitet; nur hatte ſie mit we¬ niger Zartheit verſchiedene Bogen und Papiere nicht genugſam zuſammengeſchichtet, ſo daß einige derſelben an den Waͤnden des Koffers gekruͤmmt wurden, was der Sohn eifrig verbeſſerte. Fuͤr Papier haben die meiſten Hausfrauen uͤberhaupt nicht viel Gefuͤhl, weil es nicht in ihren Bereich gehoͤrt. Die weiße Leinwand iſt ihr Papier, die muß in großen, wohl geordneten Schichten vor¬ handen ſein, da ſchreiben ſie ihre ganze Lebens¬ philoſophie, ihre Leiden und ihre Freuden darauf. Wenn ſie aber einmal ein wirkliches Briefchen ſchreiben wollen, ſo findet ſich kaum ein veralte¬ tes Blatt dazu und man kann ſich alsdann mit einem huͤbſchen Bogen Poſtpapier und einer wohl¬ geſchnittenen Feder ſehr beliebt bei ihnen machen. Auch hier erwies es ſich, daß die Mutter eigentlich die ſchweren Gegenſtaͤnde zu unterſt ge¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/30>, abgerufen am 29.03.2024.