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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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menhängenden Kranze sich verschlingen, gegen
Zürich hin, bis, nachdem die Landhäuser der Zü¬
richer Kaufleute immer zahlreicher wurden, zuletzt
die Stadt selbst wie ein Traum aus den blauen
Wassern steigt und man sich unvermerkt mit er¬
höhter Bewegung auf der grünen Limath unter
den Brücken hinwegfahren sieht. Das ganze
Treiben einer geistig bedeutsamen und schönen
Stadt drängt sich an den leicht dahin schweben¬
den Kahn. So eben versammelt sich der gesetz¬
gebende Rath der Republik. Trommelschlag er¬
tönt. In einfachen schwarzen Kleidern, selten
vom neuesten Schnitte, ziehen die Vertreter des
Volkes auf den Ufern dahin. Auch die Gesichter
dieser Männer sind nicht immer nach dem neusten
Schnitte und verrathen durchschnittlich weder ele¬
gante Beredsamkeit noch große Belesenheit; aber
aus gewissen Strahlen der lebhaften Augen leuch¬
tet Besonnenheit, Erfahrung und das glückliche
Geschick, mit einfachem Sinn das Rechte zu tref¬
fen. Von allen Seiten wandeln diese Gruppen,
je nach den Tagesfragen und der verschiedenen
Richtung begrüßt oder unbegrüßt vom zahlreichen

menhaͤngenden Kranze ſich verſchlingen, gegen
Zuͤrich hin, bis, nachdem die Landhaͤuſer der Zuͤ¬
richer Kaufleute immer zahlreicher wurden, zuletzt
die Stadt ſelbſt wie ein Traum aus den blauen
Waſſern ſteigt und man ſich unvermerkt mit er¬
hoͤhter Bewegung auf der gruͤnen Limath unter
den Bruͤcken hinwegfahren ſieht. Das ganze
Treiben einer geiſtig bedeutſamen und ſchoͤnen
Stadt draͤngt ſich an den leicht dahin ſchweben¬
den Kahn. So eben verſammelt ſich der geſetz¬
gebende Rath der Republik. Trommelſchlag er¬
toͤnt. In einfachen ſchwarzen Kleidern, ſelten
vom neueſten Schnitte, ziehen die Vertreter des
Volkes auf den Ufern dahin. Auch die Geſichter
dieſer Maͤnner ſind nicht immer nach dem neuſten
Schnitte und verrathen durchſchnittlich weder ele¬
gante Beredſamkeit noch große Beleſenheit; aber
aus gewiſſen Strahlen der lebhaften Augen leuch¬
tet Beſonnenheit, Erfahrung und das gluͤckliche
Geſchick, mit einfachem Sinn das Rechte zu tref¬
fen. Von allen Seiten wandeln dieſe Gruppen,
je nach den Tagesfragen und der verſchiedenen
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[2/0016] menhaͤngenden Kranze ſich verſchlingen, gegen Zuͤrich hin, bis, nachdem die Landhaͤuſer der Zuͤ¬ richer Kaufleute immer zahlreicher wurden, zuletzt die Stadt ſelbſt wie ein Traum aus den blauen Waſſern ſteigt und man ſich unvermerkt mit er¬ hoͤhter Bewegung auf der gruͤnen Limath unter den Bruͤcken hinwegfahren ſieht. Das ganze Treiben einer geiſtig bedeutſamen und ſchoͤnen Stadt draͤngt ſich an den leicht dahin ſchweben¬ den Kahn. So eben verſammelt ſich der geſetz¬ gebende Rath der Republik. Trommelſchlag er¬ toͤnt. In einfachen ſchwarzen Kleidern, ſelten vom neueſten Schnitte, ziehen die Vertreter des Volkes auf den Ufern dahin. Auch die Geſichter dieſer Maͤnner ſind nicht immer nach dem neuſten Schnitte und verrathen durchſchnittlich weder ele¬ gante Beredſamkeit noch große Beleſenheit; aber aus gewiſſen Strahlen der lebhaften Augen leuch¬ tet Beſonnenheit, Erfahrung und das gluͤckliche Geſchick, mit einfachem Sinn das Rechte zu tref¬ fen. Von allen Seiten wandeln dieſe Gruppen, je nach den Tagesfragen und der verſchiedenen Richtung begruͤßt oder unbegruͤßt vom zahlreichen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/16>, abgerufen am 29.03.2024.