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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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Räuschchen trank, wodurch er zwar niemals un-
gezogen wurde, allein ihre Delikatesse und ihre allzu-
mäßigen Neigungen wurden doch dadurch gekränkt.
Sie gab es ihm oft durch Stillschweigen zu ver-
stehn, er konnte solche stumme Verweise nicht leiden,
und so machte sich diese vortreffliche Frau die ersten
Unruhen ihres Ehestandes, welche zwar keine Ge-
witter brachten, aber doch meist finster und trübe
waren. In dieser Verfassung hatte sie ihrem Manne
zwei schöne Kinder geboren, welche aber früh star-
ben. Das dritte Kind, welches sie zur Welt brach-
te, war unsere Dichterin.

Sie gebahr dieselbe im Jahre 1722 am 1sten Decbr.
Nach der Dichterin eigenen Beschreibung ist sie als ein
heßliches Kind zur Welt gekommen; die runzlichte Haut
der Stirn hat ihr über die Augen gehangen, welche
finster und tief im Kopfe lagen, und das vermagerte
Gesicht hat eine widerwärtige Ernsthaftigkeit gehabt.
Ihr Körper war eben so gelb und schrumpfigt, als
ihre Gesichtshaut. Der Mutter feines Auge, welches
durch ihre ersten schönen Kinder verwöhnt war, wen-
dete sich mit Widerwillen von ihrem neugebornen
Geschöpfe weg, und sie stieß den bittern Scherz aus:
daß man sie von dem heßlichen Kinde befreyen, und
es in den Mühlenfluß tragen sollte. Indeß ist anzu-
merken: daß die Dichterin nachher nichts weniger als

Raͤuſchchen trank, wodurch er zwar niemals un-
gezogen wurde, allein ihre Delikateſſe und ihre allzu-
maͤßigen Neigungen wurden doch dadurch gekraͤnkt.
Sie gab es ihm oft durch Stillſchweigen zu ver-
ſtehn, er konnte ſolche ſtumme Verweiſe nicht leiden,
und ſo machte ſich dieſe vortreffliche Frau die erſten
Unruhen ihres Eheſtandes, welche zwar keine Ge-
witter brachten, aber doch meiſt finſter und truͤbe
waren. In dieſer Verfaſſung hatte ſie ihrem Manne
zwei ſchoͤne Kinder geboren, welche aber fruͤh ſtar-
ben. Das dritte Kind, welches ſie zur Welt brach-
te, war unſere Dichterin.

Sie gebahr dieſelbe im Jahre 1722 am 1ſten Decbr.
Nach der Dichterin eigenen Beſchreibung iſt ſie als ein
heßliches Kind zur Welt gekommen; die runzlichte Haut
der Stirn hat ihr uͤber die Augen gehangen, welche
finſter und tief im Kopfe lagen, und das vermagerte
Geſicht hat eine widerwaͤrtige Ernſthaftigkeit gehabt.
Ihr Koͤrper war eben ſo gelb und ſchrumpfigt, als
ihre Geſichtshaut. Der Mutter feines Auge, welches
durch ihre erſten ſchoͤnen Kinder verwoͤhnt war, wen-
dete ſich mit Widerwillen von ihrem neugebornen
Geſchoͤpfe weg, und ſie ſtieß den bittern Scherz aus:
daß man ſie von dem heßlichen Kinde befreyen, und
es in den Muͤhlenfluß tragen ſollte. Indeß iſt anzu-
merken: daß die Dichterin nachher nichts weniger als

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[12/0044] Raͤuſchchen trank, wodurch er zwar niemals un- gezogen wurde, allein ihre Delikateſſe und ihre allzu- maͤßigen Neigungen wurden doch dadurch gekraͤnkt. Sie gab es ihm oft durch Stillſchweigen zu ver- ſtehn, er konnte ſolche ſtumme Verweiſe nicht leiden, und ſo machte ſich dieſe vortreffliche Frau die erſten Unruhen ihres Eheſtandes, welche zwar keine Ge- witter brachten, aber doch meiſt finſter und truͤbe waren. In dieſer Verfaſſung hatte ſie ihrem Manne zwei ſchoͤne Kinder geboren, welche aber fruͤh ſtar- ben. Das dritte Kind, welches ſie zur Welt brach- te, war unſere Dichterin. Sie gebahr dieſelbe im Jahre 1722 am 1ſten Decbr. Nach der Dichterin eigenen Beſchreibung iſt ſie als ein heßliches Kind zur Welt gekommen; die runzlichte Haut der Stirn hat ihr uͤber die Augen gehangen, welche finſter und tief im Kopfe lagen, und das vermagerte Geſicht hat eine widerwaͤrtige Ernſthaftigkeit gehabt. Ihr Koͤrper war eben ſo gelb und ſchrumpfigt, als ihre Geſichtshaut. Der Mutter feines Auge, welches durch ihre erſten ſchoͤnen Kinder verwoͤhnt war, wen- dete ſich mit Widerwillen von ihrem neugebornen Geſchoͤpfe weg, und ſie ſtieß den bittern Scherz aus: daß man ſie von dem heßlichen Kinde befreyen, und es in den Muͤhlenfluß tragen ſollte. Indeß iſt anzu- merken: daß die Dichterin nachher nichts weniger als

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/44>, abgerufen am 19.04.2024.