Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muß. Unter der Erziehung nämlich verstehen wir die Wartung (Verpflegung, Unterhaltung), Disciplin (Zucht) und Unterweisung nebst der Bildung. Demzufolge ist der Mensch Säugling, - Zögling, - und Lehrling.

Die Thiere gebrauchen ihre Kräfte, sobald sie deren nur welche haben, regelmässig, d. h. in der Art, dass sie ihnen selbst nicht schädlich werden. Es ist in der That bewundernswürdig, wenn man z. E. die jungen Schwalben wahrnimmt, die kaum aus den Eyern gekrochen, und noch blind sind, wie die es nichts desto weniger zu machen wissen, dass sie ihre Excremente aus dem Neste fallen lassen. Thiere brauchen daher keine Wartung, höchstens Futter, Erwärmung und Anführung, oder einen gewissen Schutz. Ernährung brauchen wohl die meisten Thiere, aber keine Wartung. Unter Wartung nämlich versteht man die Vorsorge der Eltern, daß die Kinder keinen schädlichen Gebrauch von ihren Kräften machen. Sollte ein Thier z. E. gleich, wenn es auf die Welt kommt, schreyen, wie die Kinder es thun: so würde es unfehlbar der Raub der Wölfe und anderer wilden Thiere werden, die es durch sein Geschrey herbeygelockt.

Disciplin oder Zucht ändert die Thierheit in die Menschheit um. Ein Thier ist schon alles durch seinen

Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muß. Unter der Erziehung nämlich verstehen wir die Wartung (Verpflegung, Unterhaltung), Disciplin (Zucht) und Unterweisung nebst der Bildung. Demzufolge ist der Mensch Säugling, – Zögling, – und Lehrling.

Die Thiere gebrauchen ihre Kräfte, sobald sie deren nur welche haben, regelmässig, d. h. in der Art, dass sie ihnen selbst nicht schädlich werden. Es ist in der That bewundernswürdig, wenn man z. E. die jungen Schwalben wahrnimmt, die kaum aus den Eyern gekrochen, und noch blind sind, wie die es nichts desto weniger zu machen wissen, dass sie ihre Excremente aus dem Neste fallen lassen. Thiere brauchen daher keine Wartung, höchstens Futter, Erwärmung und Anführung, oder einen gewissen Schutz. Ernährung brauchen wohl die meisten Thiere, aber keine Wartung. Unter Wartung nämlich versteht man die Vorsorge der Eltern, daß die Kinder keinen schädlichen Gebrauch von ihren Kräften machen. Sollte ein Thier z. E. gleich, wenn es auf die Welt kommt, schreyen, wie die Kinder es thun: so würde es unfehlbar der Raub der Wölfe und anderer wilden Thiere werden, die es durch sein Geschrey herbeygelockt.

Disciplin oder Zucht ändert die Thierheit in die Menschheit um. Ein Thier ist schon alles durch seinen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0007" n="7"/>
      <div n="1">
        <p><hi rendition="#in">D</hi>er Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muß. Unter der Erziehung nämlich verstehen wir die Wartung (Verpflegung, Unterhaltung), Disciplin (Zucht) und Unterweisung nebst der Bildung. Demzufolge ist der Mensch Säugling, &#x2013; Zögling, &#x2013; und Lehrling.</p>
        <p>Die Thiere gebrauchen ihre Kräfte, sobald sie deren nur welche haben, regelmässig, d. h. in der Art, dass sie ihnen selbst nicht schädlich werden. Es ist in der That bewundernswürdig, wenn man z. E. die jungen Schwalben wahrnimmt, die kaum aus den Eyern gekrochen, und noch blind sind, wie die es nichts desto weniger zu machen wissen, dass sie ihre Excremente aus dem Neste fallen lassen. Thiere brauchen daher keine Wartung, höchstens Futter, Erwärmung und Anführung, oder einen gewissen Schutz. Ernährung brauchen wohl die meisten Thiere, aber keine Wartung. Unter Wartung nämlich versteht man die Vorsorge der Eltern, daß die Kinder keinen schädlichen Gebrauch von ihren Kräften machen. Sollte ein Thier z. E. gleich, wenn es auf die Welt kommt, schreyen, wie die Kinder es thun: so würde es unfehlbar der Raub der Wölfe und anderer wilden Thiere werden, die es durch sein Geschrey herbeygelockt.</p>
        <p>Disciplin oder Zucht ändert die Thierheit in die Menschheit um. Ein Thier ist schon alles durch seinen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0007] Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muß. Unter der Erziehung nämlich verstehen wir die Wartung (Verpflegung, Unterhaltung), Disciplin (Zucht) und Unterweisung nebst der Bildung. Demzufolge ist der Mensch Säugling, – Zögling, – und Lehrling. Die Thiere gebrauchen ihre Kräfte, sobald sie deren nur welche haben, regelmässig, d. h. in der Art, dass sie ihnen selbst nicht schädlich werden. Es ist in der That bewundernswürdig, wenn man z. E. die jungen Schwalben wahrnimmt, die kaum aus den Eyern gekrochen, und noch blind sind, wie die es nichts desto weniger zu machen wissen, dass sie ihre Excremente aus dem Neste fallen lassen. Thiere brauchen daher keine Wartung, höchstens Futter, Erwärmung und Anführung, oder einen gewissen Schutz. Ernährung brauchen wohl die meisten Thiere, aber keine Wartung. Unter Wartung nämlich versteht man die Vorsorge der Eltern, daß die Kinder keinen schädlichen Gebrauch von ihren Kräften machen. Sollte ein Thier z. E. gleich, wenn es auf die Welt kommt, schreyen, wie die Kinder es thun: so würde es unfehlbar der Raub der Wölfe und anderer wilden Thiere werden, die es durch sein Geschrey herbeygelockt. Disciplin oder Zucht ändert die Thierheit in die Menschheit um. Ein Thier ist schon alles durch seinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-12-05T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-12-05T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-12-05T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/7
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/7>, abgerufen am 28.03.2024.