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Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.

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Kind doch nicht tod drücken kann *). Bey uns kommen aber auf diese Art viele Kinder ums Leben. Diese Vorsorge ist also besser, als das Windeln, denn die Kinder haben hier doch mehrere Freyheit, und das Verbiegen wird verhütet; da hingegen die Kinder oft durch das Windeln, schief werden.

Eine andere Gewohnheit bey der ersten Erziehung ist das Wiegen. Die leichteste Art desselben ist die, die einige Bauern haben. Sie hängen nämlich die Wiege an einem Seile an den Balken, dürfen also nur anstoßen, so schaukelt die Wiege von selbst von einer Seite zur anderen. Das Wiegen taugt aber überhaupt nicht. Denn das Hin- und Herschaukeln ist dem Kinde schädlich. Man sieht es ja selbst an großen Leuten, daß das Schaukeln eine Bewegung zum Erbrechen und einen Schwindel hervorbringt. Man will das Kind dadurch betäuben, daß es nicht schreye. Das Schreyen ist aber den Kindern heilsam. Sobald sie aus dem Mutterleibe kommen, wo sie keine Luft genossen haben, athmen sie die erste Luft ein. Der dadurch veränderte Gang des Blutes bringt in ihnen eine schmerzhafte Empfindung hervor. Durch das Schreyen aber entfaltet das Kind die innern Bestandtheile und Canäle seines Körpers desto mehr. Daß man dem Kinde, wenn es schreyt, gleich zu Hülfe kommt, ihm etwas vorsingt, wie dies die Gewohnheit der Amme ist, oder dergl., das ist sehr schädlich. Dies ist gewöhnlich

*) Irre ich nicht sehr, so findet man in den ältern Ausgaben von Fausts Gesundheitscatechism, der, besonders nach der letzten Auflage, in jedem Hause seyn sollte, eine Abbildung dieses Gestelles.
A. d. H.

Kind doch nicht tod drücken kann *). Bey uns kommen aber auf diese Art viele Kinder ums Leben. Diese Vorsorge ist also besser, als das Windeln, denn die Kinder haben hier doch mehrere Freyheit, und das Verbiegen wird verhütet; da hingegen die Kinder oft durch das Windeln, schief werden.

Eine andere Gewohnheit bey der ersten Erziehung ist das Wiegen. Die leichteste Art desselben ist die, die einige Bauern haben. Sie hängen nämlich die Wiege an einem Seile an den Balken, dürfen also nur anstoßen, so schaukelt die Wiege von selbst von einer Seite zur anderen. Das Wiegen taugt aber überhaupt nicht. Denn das Hin- und Herschaukeln ist dem Kinde schädlich. Man sieht es ja selbst an großen Leuten, daß das Schaukeln eine Bewegung zum Erbrechen und einen Schwindel hervorbringt. Man will das Kind dadurch betäuben, daß es nicht schreye. Das Schreyen ist aber den Kindern heilsam. Sobald sie aus dem Mutterleibe kommen, wo sie keine Luft genossen haben, athmen sie die erste Luft ein. Der dadurch veränderte Gang des Blutes bringt in ihnen eine schmerzhafte Empfindung hervor. Durch das Schreyen aber entfaltet das Kind die innern Bestandtheile und Canäle seines Körpers desto mehr. Daß man dem Kinde, wenn es schreyt, gleich zu Hülfe kommt, ihm etwas vorsingt, wie dies die Gewohnheit der Amme ist, oder dergl., das ist sehr schädlich. Dies ist gewöhnlich

*) Irre ich nicht sehr, so findet man in den ältern Ausgaben von Fausts Gesundheitscatechism, der, besonders nach der letzten Auflage, in jedem Hause seyn sollte, eine Abbildung dieses Gestelles.
A. d. H.
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[36/0036] Kind doch nicht tod drücken kann *). Bey uns kommen aber auf diese Art viele Kinder ums Leben. Diese Vorsorge ist also besser, als das Windeln, denn die Kinder haben hier doch mehrere Freyheit, und das Verbiegen wird verhütet; da hingegen die Kinder oft durch das Windeln, schief werden. Eine andere Gewohnheit bey der ersten Erziehung ist das Wiegen. Die leichteste Art desselben ist die, die einige Bauern haben. Sie hängen nämlich die Wiege an einem Seile an den Balken, dürfen also nur anstoßen, so schaukelt die Wiege von selbst von einer Seite zur anderen. Das Wiegen taugt aber überhaupt nicht. Denn das Hin- und Herschaukeln ist dem Kinde schädlich. Man sieht es ja selbst an großen Leuten, daß das Schaukeln eine Bewegung zum Erbrechen und einen Schwindel hervorbringt. Man will das Kind dadurch betäuben, daß es nicht schreye. Das Schreyen ist aber den Kindern heilsam. Sobald sie aus dem Mutterleibe kommen, wo sie keine Luft genossen haben, athmen sie die erste Luft ein. Der dadurch veränderte Gang des Blutes bringt in ihnen eine schmerzhafte Empfindung hervor. Durch das Schreyen aber entfaltet das Kind die innern Bestandtheile und Canäle seines Körpers desto mehr. Daß man dem Kinde, wenn es schreyt, gleich zu Hülfe kommt, ihm etwas vorsingt, wie dies die Gewohnheit der Amme ist, oder dergl., das ist sehr schädlich. Dies ist gewöhnlich *) Irre ich nicht sehr, so findet man in den ältern Ausgaben von Fausts Gesundheitscatechism, der, besonders nach der letzten Auflage, in jedem Hause seyn sollte, eine Abbildung dieses Gestelles. A. d. H.

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/36>, abgerufen am 24.04.2024.