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Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.

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Das Windeln findet bey rohen Völkern gar nicht Statt. Die wilden Nationen in Amerika z. E. machen für ihre jungen Kinder Gruben in die Erde, streuen sie mit dem Staube von faulen Bäumen aus, damit der Urin und die Unreinigkeiten der Kinder sich darein ziehen, und die Kinder also trocken liegen mögen, und bedecken sie mit Blättern; übrigens aber lassen sie ihnen den freyen Gebrauch ihrer Glieder. Es ist auch blos Bequemlichkeit von uns, daß wir die Kinder wie Mumien einwickeln, damit wir nur nicht Acht geben dürfen darauf, daß sich die Kinder nicht verbiegen, und oft geschieht es dennoch durch das Windeln. Auch ist es den Kindern selbst ängstlich, und sie gerathen dabey in eine Art von Verzweiflung, da sie ihre Glieder gar nicht brauchen können. Da meynt man denn ihr Schreyen durch bloßes Zurufen stillen zu können. Man wickle aber nur einmal einen großen Menschen ein, und sehe doch, ob er nicht auch schreyen, und in Angst und Verzweiflung gerathen werde.

Ueberhaupt muß man merken, daß die erste Erziehung nur negativ seyn müsse, d. h. daß man nicht über die Vorsorge der Natur, noch eine neue hinzuthun müsse, sondern die Natur nur nicht stören dürfe. Ist je die Kunst in der Erziehung erlaubt, so ist es allein die der Abhärtung. - Auch daher ist denn das Windeln zu verwerfen. Wenn man indessen einige Vorsicht beobachten will, so ist eine Art von Schachtel, die oben mit Riemen bezogen ist, hiezu das Zweckmäßigste. Die Italiener gebrauchen sie, und nennen sie arcuccio. Das Kind bleibt immer in dieser Schachtel und wird auch in ihr zum Säugen angelegt. Dadurch wird selbst verhütet, daß die Mutter, wenn sie auch des Nachts, während des Säugens, einschläft, das

Das Windeln findet bey rohen Völkern gar nicht Statt. Die wilden Nationen in Amerika z. E. machen für ihre jungen Kinder Gruben in die Erde, streuen sie mit dem Staube von faulen Bäumen aus, damit der Urin und die Unreinigkeiten der Kinder sich darein ziehen, und die Kinder also trocken liegen mögen, und bedecken sie mit Blättern; übrigens aber lassen sie ihnen den freyen Gebrauch ihrer Glieder. Es ist auch blos Bequemlichkeit von uns, daß wir die Kinder wie Mumien einwickeln, damit wir nur nicht Acht geben dürfen darauf, daß sich die Kinder nicht verbiegen, und oft geschieht es dennoch durch das Windeln. Auch ist es den Kindern selbst ängstlich, und sie gerathen dabey in eine Art von Verzweiflung, da sie ihre Glieder gar nicht brauchen können. Da meynt man denn ihr Schreyen durch bloßes Zurufen stillen zu können. Man wickle aber nur einmal einen großen Menschen ein, und sehe doch, ob er nicht auch schreyen, und in Angst und Verzweiflung gerathen werde.

Ueberhaupt muß man merken, daß die erste Erziehung nur negativ seyn müsse, d. h. daß man nicht über die Vorsorge der Natur, noch eine neue hinzuthun müsse, sondern die Natur nur nicht stören dürfe. Ist je die Kunst in der Erziehung erlaubt, so ist es allein die der Abhärtung. – Auch daher ist denn das Windeln zu verwerfen. Wenn man indessen einige Vorsicht beobachten will, so ist eine Art von Schachtel, die oben mit Riemen bezogen ist, hiezu das Zweckmäßigste. Die Italiener gebrauchen sie, und nennen sie arcuccio. Das Kind bleibt immer in dieser Schachtel und wird auch in ihr zum Säugen angelegt. Dadurch wird selbst verhütet, daß die Mutter, wenn sie auch des Nachts, während des Säugens, einschläft, das

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[35/0035] Das Windeln findet bey rohen Völkern gar nicht Statt. Die wilden Nationen in Amerika z. E. machen für ihre jungen Kinder Gruben in die Erde, streuen sie mit dem Staube von faulen Bäumen aus, damit der Urin und die Unreinigkeiten der Kinder sich darein ziehen, und die Kinder also trocken liegen mögen, und bedecken sie mit Blättern; übrigens aber lassen sie ihnen den freyen Gebrauch ihrer Glieder. Es ist auch blos Bequemlichkeit von uns, daß wir die Kinder wie Mumien einwickeln, damit wir nur nicht Acht geben dürfen darauf, daß sich die Kinder nicht verbiegen, und oft geschieht es dennoch durch das Windeln. Auch ist es den Kindern selbst ängstlich, und sie gerathen dabey in eine Art von Verzweiflung, da sie ihre Glieder gar nicht brauchen können. Da meynt man denn ihr Schreyen durch bloßes Zurufen stillen zu können. Man wickle aber nur einmal einen großen Menschen ein, und sehe doch, ob er nicht auch schreyen, und in Angst und Verzweiflung gerathen werde. Ueberhaupt muß man merken, daß die erste Erziehung nur negativ seyn müsse, d. h. daß man nicht über die Vorsorge der Natur, noch eine neue hinzuthun müsse, sondern die Natur nur nicht stören dürfe. Ist je die Kunst in der Erziehung erlaubt, so ist es allein die der Abhärtung. – Auch daher ist denn das Windeln zu verwerfen. Wenn man indessen einige Vorsicht beobachten will, so ist eine Art von Schachtel, die oben mit Riemen bezogen ist, hiezu das Zweckmäßigste. Die Italiener gebrauchen sie, und nennen sie arcuccio. Das Kind bleibt immer in dieser Schachtel und wird auch in ihr zum Säugen angelegt. Dadurch wird selbst verhütet, daß die Mutter, wenn sie auch des Nachts, während des Säugens, einschläft, das

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/35>, abgerufen am 16.04.2024.