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Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.

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Die Waldtongusen z. E. essen fast nichts als Fleisch; und sind starke und gesunde Leute. Alle solche Völker leben aber auch nicht lang, und man kann einen grossen erwachsenen Jungen, dem man es nicht ansehen sollte, daß er leicht sey, mit geringer Mühe aufheben. Die Schweden hingegen, vorzüglich aber die Nationen in Indien, essen fast gar kein Fleisch, und doch werden die Menschen bey ihnen ganz wohl aufgezogen. Es scheint also, daß es blos auf das Gedeihen der Amme ankomme, und dass die Kost die beste sey, bey der sie sich am besten befindet.

Es fragt sich hier, was man nachher habe, um das Kind zu ernähren, wenn die Muttermilch nun aufhört? Man hat es seit einiger Zeit mit allerley Mehlbreyen versucht. Aber von Anfang an das Kind mit solchen Speisen zu ernähren, ist nicht gut. Besonders muß man merken, daß man den Kindern nichts Piquantes gebe, als Wein, Gewürz, Salz etc. Es ist aber doch sonderbar, daß Kinder eine so große Begierde nach dergleichen Allem haben! Die Ursache ist, weil es ihren noch stumpfen Empfindungen einen Reiz und eine Belebung verschafft, die ihnen angenehm sind. Die Kinder in Rußland erhalten freylich von ihren Müttern, die selbst fleißig Brantwein trinken, auch dergleichen, und man bemerkt dabey, daß die Russen gesunde, starke Leute sind. Freylich müssen diejenigen, die das aushalten, von guter Leibesconstitution seyn; aber es sterben auch viele daran, die doch hätten erhalten werden können. Denn ein solcher früher Reiz der Nerven bringt viele Unordnungen hervor *). Sogar

*) Hr. Schlözer hat bereits sehr gründlich dargethan, welcher schrecklichen Würkung Rußland, bey dem übermäßigen

Die Waldtongusen z. E. essen fast nichts als Fleisch; und sind starke und gesunde Leute. Alle solche Völker leben aber auch nicht lang, und man kann einen grossen erwachsenen Jungen, dem man es nicht ansehen sollte, daß er leicht sey, mit geringer Mühe aufheben. Die Schweden hingegen, vorzüglich aber die Nationen in Indien, essen fast gar kein Fleisch, und doch werden die Menschen bey ihnen ganz wohl aufgezogen. Es scheint also, daß es blos auf das Gedeihen der Amme ankomme, und dass die Kost die beste sey, bey der sie sich am besten befindet.

Es fragt sich hier, was man nachher habe, um das Kind zu ernähren, wenn die Muttermilch nun aufhört? Man hat es seit einiger Zeit mit allerley Mehlbreyen versucht. Aber von Anfang an das Kind mit solchen Speisen zu ernähren, ist nicht gut. Besonders muß man merken, daß man den Kindern nichts Piquantes gebe, als Wein, Gewürz, Salz etc. Es ist aber doch sonderbar, daß Kinder eine so große Begierde nach dergleichen Allem haben! Die Ursache ist, weil es ihren noch stumpfen Empfindungen einen Reiz und eine Belebung verschafft, die ihnen angenehm sind. Die Kinder in Rußland erhalten freylich von ihren Müttern, die selbst fleißig Brantwein trinken, auch dergleichen, und man bemerkt dabey, daß die Russen gesunde, starke Leute sind. Freylich müssen diejenigen, die das aushalten, von guter Leibesconstitution seyn; aber es sterben auch viele daran, die doch hätten erhalten werden können. Denn ein solcher früher Reiz der Nerven bringt viele Unordnungen hervor *). Sogar

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Die Waldtongusen z. E. essen fast nichts als Fleisch; und sind starke und gesunde Leute. Alle solche Völker leben aber auch nicht lang, und man kann einen grossen erwachsenen Jungen, dem man es nicht ansehen sollte, daß er leicht sey, mit geringer Mühe aufheben. Die Schweden hingegen, vorzüglich aber die Nationen in Indien, essen fast gar kein Fleisch, und doch werden die Menschen bey ihnen ganz wohl aufgezogen. Es scheint also, daß es blos auf das Gedeihen der Amme ankomme, und dass die Kost die beste sey, bey der sie sich am besten befindet.</p>
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[33/0033] Die Waldtongusen z. E. essen fast nichts als Fleisch; und sind starke und gesunde Leute. Alle solche Völker leben aber auch nicht lang, und man kann einen grossen erwachsenen Jungen, dem man es nicht ansehen sollte, daß er leicht sey, mit geringer Mühe aufheben. Die Schweden hingegen, vorzüglich aber die Nationen in Indien, essen fast gar kein Fleisch, und doch werden die Menschen bey ihnen ganz wohl aufgezogen. Es scheint also, daß es blos auf das Gedeihen der Amme ankomme, und dass die Kost die beste sey, bey der sie sich am besten befindet. Es fragt sich hier, was man nachher habe, um das Kind zu ernähren, wenn die Muttermilch nun aufhört? Man hat es seit einiger Zeit mit allerley Mehlbreyen versucht. Aber von Anfang an das Kind mit solchen Speisen zu ernähren, ist nicht gut. Besonders muß man merken, daß man den Kindern nichts Piquantes gebe, als Wein, Gewürz, Salz etc. Es ist aber doch sonderbar, daß Kinder eine so große Begierde nach dergleichen Allem haben! Die Ursache ist, weil es ihren noch stumpfen Empfindungen einen Reiz und eine Belebung verschafft, die ihnen angenehm sind. Die Kinder in Rußland erhalten freylich von ihren Müttern, die selbst fleißig Brantwein trinken, auch dergleichen, und man bemerkt dabey, daß die Russen gesunde, starke Leute sind. Freylich müssen diejenigen, die das aushalten, von guter Leibesconstitution seyn; aber es sterben auch viele daran, die doch hätten erhalten werden können. Denn ein solcher früher Reiz der Nerven bringt viele Unordnungen hervor *). Sogar *) Hr. Schlözer hat bereits sehr gründlich dargethan, welcher schrecklichen Würkung Rußland, bey dem übermäßigen

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/33>, abgerufen am 20.04.2024.