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Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.

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müsse, ehe sie das Kind säugen könne. Rousseau machte aber zuerst die Aerzte aufmerksam darauf, ob diese erste Milch nicht auch dem Kinde zuträglich seyn könne, indem doch die Natur nichts umsonst veranstaltet habe. Und man hat auch würklich gefunden, daß diese Milch am besten den Unrath, der sich bey neugebornen Kindern vorfindet, und den die Aerzte Miconium nennen, fortschaffe, und also den Kindern höchst zuträglich sey.

Man hat die Frage aufgeworfen: ob man nicht das Kind eben so wohl mit thierischer Milch nähren könne? Menschenmilch ist sehr von der thierischen verschieden. Die Milch aller Grasfressenden, von Vegetabilien lebenden Thiere, gerinnet sehr bald, wenn man etwas Säure hinzuthut, z. E. Weinsäure im Kälbermagen, die man Lab oder Laff nennet. Menschenmilch gerinnt aber gar nicht. Wenn aber die Mütter oder Ammen einige Tage hindurch nur vegetabilische Kost genießen: so gerinnt ihre Milch so gut, wie die Kuhmilch etc., wenn sie dann aber nur einige Zeit hindurch wieder Fleisch essen; so ist die Milch auch wieder eben so gut, wie vorhin. Man hat hieraus geschlossen, daß es am besten und dem Kinde am zuträglichsten sey, wenn Mütter oder Ammen unter der Zeit, daß sie säugen, Fleisch äßen. Denn wenn Kinder die Milch wieder von sich geben, so sieht man, daß sie geronnen ist. Die Säure im Kindermagen muß also noch mehr, als alle andere Säuren, das Gerinnen der Milch befördern, weil Menschenmilch sonst auf keine Weise zum Gerinnen gebracht werden kann. Wie viel schlimmer wäre es also, wenn man dem Kinde Milch gäbe, die schon von selbst gerinnet, daß es aber auch nicht blos hierauf ankomme, sieht man an andern Nationen.

müsse, ehe sie das Kind säugen könne. Rousseau machte aber zuerst die Aerzte aufmerksam darauf, ob diese erste Milch nicht auch dem Kinde zuträglich seyn könne, indem doch die Natur nichts umsonst veranstaltet habe. Und man hat auch würklich gefunden, daß diese Milch am besten den Unrath, der sich bey neugebornen Kindern vorfindet, und den die Aerzte Miconium nennen, fortschaffe, und also den Kindern höchst zuträglich sey.

Man hat die Frage aufgeworfen: ob man nicht das Kind eben so wohl mit thierischer Milch nähren könne? Menschenmilch ist sehr von der thierischen verschieden. Die Milch aller Grasfressenden, von Vegetabilien lebenden Thiere, gerinnet sehr bald, wenn man etwas Säure hinzuthut, z. E. Weinsäure im Kälbermagen, die man Lab oder Laff nennet. Menschenmilch gerinnt aber gar nicht. Wenn aber die Mütter oder Ammen einige Tage hindurch nur vegetabilische Kost genießen: so gerinnt ihre Milch so gut, wie die Kuhmilch etc., wenn sie dann aber nur einige Zeit hindurch wieder Fleisch essen; so ist die Milch auch wieder eben so gut, wie vorhin. Man hat hieraus geschlossen, daß es am besten und dem Kinde am zuträglichsten sey, wenn Mütter oder Ammen unter der Zeit, daß sie säugen, Fleisch äßen. Denn wenn Kinder die Milch wieder von sich geben, so sieht man, daß sie geronnen ist. Die Säure im Kindermagen muß also noch mehr, als alle andere Säuren, das Gerinnen der Milch befördern, weil Menschenmilch sonst auf keine Weise zum Gerinnen gebracht werden kann. Wie viel schlimmer wäre es also, wenn man dem Kinde Milch gäbe, die schon von selbst gerinnet, daß es aber auch nicht blos hierauf ankomme, sieht man an andern Nationen.

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[32/0032] müsse, ehe sie das Kind säugen könne. Rousseau machte aber zuerst die Aerzte aufmerksam darauf, ob diese erste Milch nicht auch dem Kinde zuträglich seyn könne, indem doch die Natur nichts umsonst veranstaltet habe. Und man hat auch würklich gefunden, daß diese Milch am besten den Unrath, der sich bey neugebornen Kindern vorfindet, und den die Aerzte Miconium nennen, fortschaffe, und also den Kindern höchst zuträglich sey. Man hat die Frage aufgeworfen: ob man nicht das Kind eben so wohl mit thierischer Milch nähren könne? Menschenmilch ist sehr von der thierischen verschieden. Die Milch aller Grasfressenden, von Vegetabilien lebenden Thiere, gerinnet sehr bald, wenn man etwas Säure hinzuthut, z. E. Weinsäure im Kälbermagen, die man Lab oder Laff nennet. Menschenmilch gerinnt aber gar nicht. Wenn aber die Mütter oder Ammen einige Tage hindurch nur vegetabilische Kost genießen: so gerinnt ihre Milch so gut, wie die Kuhmilch etc., wenn sie dann aber nur einige Zeit hindurch wieder Fleisch essen; so ist die Milch auch wieder eben so gut, wie vorhin. Man hat hieraus geschlossen, daß es am besten und dem Kinde am zuträglichsten sey, wenn Mütter oder Ammen unter der Zeit, daß sie säugen, Fleisch äßen. Denn wenn Kinder die Milch wieder von sich geben, so sieht man, daß sie geronnen ist. Die Säure im Kindermagen muß also noch mehr, als alle andere Säuren, das Gerinnen der Milch befördern, weil Menschenmilch sonst auf keine Weise zum Gerinnen gebracht werden kann. Wie viel schlimmer wäre es also, wenn man dem Kinde Milch gäbe, die schon von selbst gerinnet, daß es aber auch nicht blos hierauf ankomme, sieht man an andern Nationen.

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/32>, abgerufen am 28.03.2024.