Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Eltern und diesen Hofmeistern getheilt ist. Das Kind soll sich nach den Vorschriften der Hofmeister richten, und dann auch wieder den Grillen der Eltern folgen. Es ist bey einer solchen Erziehung nothwendig, daß die Eltern ihre ganze Auctorität an die Hofmeister abtreten.

In wie ferne dürfte aber die Privaterziehung vor der öffentlichen, oder diese vor jener, Vorzüge haben? Im Allgemeinen scheint doch, nicht blos von Seiten der Geschicklichkeit, sondern auch in Betreff des Charakters eines Bürgers, die öffentliche Erziehung vortheilhafter, als die häusliche zu seyn. Die letztere bringt gar oft nicht nur Familienfehler hervor, sondern pflanzt dieselben auch fort.

Wie lange aber soll die Erziehung denn dauren? Bis zu der Zeit, da die Natur selbst den Menschen bestimmt hat, sich selbst zu führen; da der Instinkt zum Geschlechte sich bey ihm entwickelt; da er selbst Vater werden kann, und selbst erziehen soll; ohngefähr bis zu dem sechzehnten Jahre. Nach dieser Zeit kann man wohl noch Hülfsmittel der Kultur gebrauchen und eine versteckte Disciplin ausüben, aber keine ordentliche Erziehung mehr.

Die Unterwürfigkeit des Zöglings ist entweder positiv, da er thun muß, was ihm vorgeschrieben wird, weil er nicht selbst urtheilen kann, und die bloße Fähigkeit der Nachahmung noch in ihm fortdauert, oder negativ, da er thun muß, was Andere wollen, wenn er will, daß Andere ihm wieder etwas zu Gefallen thun sollen. Bey der ersten tritt Strafe ein, bey der anderen dies, daß man nicht thut, was er will; er ist

Eltern und diesen Hofmeistern getheilt ist. Das Kind soll sich nach den Vorschriften der Hofmeister richten, und dann auch wieder den Grillen der Eltern folgen. Es ist bey einer solchen Erziehung nothwendig, daß die Eltern ihre ganze Auctorität an die Hofmeister abtreten.

In wie ferne dürfte aber die Privaterziehung vor der öffentlichen, oder diese vor jener, Vorzüge haben? Im Allgemeinen scheint doch, nicht blos von Seiten der Geschicklichkeit, sondern auch in Betreff des Charakters eines Bürgers, die öffentliche Erziehung vortheilhafter, als die häusliche zu seyn. Die letztere bringt gar oft nicht nur Familienfehler hervor, sondern pflanzt dieselben auch fort.

Wie lange aber soll die Erziehung denn dauren? Bis zu der Zeit, da die Natur selbst den Menschen bestimmt hat, sich selbst zu führen; da der Instinkt zum Geschlechte sich bey ihm entwickelt; da er selbst Vater werden kann, und selbst erziehen soll; ohngefähr bis zu dem sechzehnten Jahre. Nach dieser Zeit kann man wohl noch Hülfsmittel der Kultur gebrauchen und eine versteckte Disciplin ausüben, aber keine ordentliche Erziehung mehr.

Die Unterwürfigkeit des Zöglings ist entweder positiv, da er thun muß, was ihm vorgeschrieben wird, weil er nicht selbst urtheilen kann, und die bloße Fähigkeit der Nachahmung noch in ihm fortdauert, oder negativ, da er thun muß, was Andere wollen, wenn er will, daß Andere ihm wieder etwas zu Gefallen thun sollen. Bey der ersten tritt Strafe ein, bey der anderen dies, daß man nicht thut, was er will; er ist

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0026" n="26"/>
Eltern und diesen Hofmeistern getheilt ist. Das Kind soll sich nach den Vorschriften der Hofmeister richten, und dann auch wieder den Grillen der Eltern folgen. Es ist bey einer solchen Erziehung nothwendig, daß die Eltern ihre ganze Auctorität an die Hofmeister abtreten.</p>
        <p>In wie ferne dürfte aber die Privaterziehung vor der öffentlichen, oder diese vor jener, Vorzüge haben? Im Allgemeinen scheint doch, nicht blos von Seiten der Geschicklichkeit, sondern auch in Betreff des Charakters eines Bürgers, die öffentliche Erziehung vortheilhafter, als die häusliche zu seyn. Die letztere bringt gar oft nicht nur Familienfehler hervor, sondern pflanzt dieselben auch fort.</p>
        <p>Wie lange aber soll die Erziehung denn dauren? Bis zu der Zeit, da die Natur selbst den Menschen bestimmt hat, sich selbst zu führen; da der Instinkt zum Geschlechte sich bey ihm entwickelt; da er selbst Vater werden kann, und selbst erziehen soll; ohngefähr bis zu dem sechzehnten Jahre. Nach dieser Zeit kann man wohl noch Hülfsmittel der Kultur gebrauchen und eine versteckte Disciplin ausüben, aber keine ordentliche Erziehung mehr.</p>
        <p>Die Unterwürfigkeit des Zöglings ist entweder <hi rendition="#g">positiv</hi>, da er thun muß, was ihm vorgeschrieben wird, weil er nicht selbst urtheilen kann, und die bloße Fähigkeit der Nachahmung noch in ihm fortdauert, oder <hi rendition="#g">negativ</hi>, da er thun muß, was Andere wollen, wenn er will, daß Andere ihm wieder etwas zu Gefallen thun sollen. Bey der ersten tritt Strafe ein, bey der anderen dies, daß man nicht thut, was er will; er ist
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0026] Eltern und diesen Hofmeistern getheilt ist. Das Kind soll sich nach den Vorschriften der Hofmeister richten, und dann auch wieder den Grillen der Eltern folgen. Es ist bey einer solchen Erziehung nothwendig, daß die Eltern ihre ganze Auctorität an die Hofmeister abtreten. In wie ferne dürfte aber die Privaterziehung vor der öffentlichen, oder diese vor jener, Vorzüge haben? Im Allgemeinen scheint doch, nicht blos von Seiten der Geschicklichkeit, sondern auch in Betreff des Charakters eines Bürgers, die öffentliche Erziehung vortheilhafter, als die häusliche zu seyn. Die letztere bringt gar oft nicht nur Familienfehler hervor, sondern pflanzt dieselben auch fort. Wie lange aber soll die Erziehung denn dauren? Bis zu der Zeit, da die Natur selbst den Menschen bestimmt hat, sich selbst zu führen; da der Instinkt zum Geschlechte sich bey ihm entwickelt; da er selbst Vater werden kann, und selbst erziehen soll; ohngefähr bis zu dem sechzehnten Jahre. Nach dieser Zeit kann man wohl noch Hülfsmittel der Kultur gebrauchen und eine versteckte Disciplin ausüben, aber keine ordentliche Erziehung mehr. Die Unterwürfigkeit des Zöglings ist entweder positiv, da er thun muß, was ihm vorgeschrieben wird, weil er nicht selbst urtheilen kann, und die bloße Fähigkeit der Nachahmung noch in ihm fortdauert, oder negativ, da er thun muß, was Andere wollen, wenn er will, daß Andere ihm wieder etwas zu Gefallen thun sollen. Bey der ersten tritt Strafe ein, bey der anderen dies, daß man nicht thut, was er will; er ist

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-12-05T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-12-05T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-12-05T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/26
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Über Pädagogik. Königsberg, 1803, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_paedagogik_1803/26>, abgerufen am 29.03.2024.