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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
als die Gestalt unbeweglich blieb, habe er sich zu Velazquez
gewandt mit den Worten: "Ich versichere Euch, dass ich mich
getäuscht hatte".

Ich weiss nicht ob eine solche Täuschung möglich ist. Vasari
erzählt bekanntlich dasselbe von Tizian's Bildniss Paul III mit
seinen beiden Nepoten, das viele, als es zum Trocknen in der
Sonne auf einer Terrasse gestanden, für lebendig gehalten und
ihm ihre Reverenz bezeigt hätten; er drückt sich aus als habe
er es selbst gesehen (Abbiamo visto ingannare molti occhi etc.
Vite XIII, 35). Die Worte des Königs klingen etwas nach Erfin-
dung. Vielleicht ist unsere Anekdote die Umbildung irgend eines
Bonmots, einer Umschreibung des damals oft gebrauchten Worts:
Verdad, no pintura. In der That ragt das Bildniss, was Kraft
und Leben betrifft, selbst unter Velazquez Werken hervor; er
hat hier seinen uns bekannten Mitteln eine ganz ungewöhnliche
Wirkung abgewonnen.

Er knüpft wieder an seine früheren Versuche an. Der helle,
gelbgraue, nach oben dunklere Grund, ohne Bezeichnung selbst
der Grenze zwischen Boden und Wand ist eigens für den schwar-
zen Sammt der Figur präparirt. Don Adrian steht etwas
nach links, den Blick dem Beschauer zugewandt. Die Beine
wieder nahe beisammen, die Füsse fast in rechtem Winkel. Die
Farbe ist freigebiger als gewöhnlich verwandt: der Illusion gün-
stig sind die sonst seltenen blendend weissen Stücke: der breite,
umgelegte Spitzenkragen, die geblümten Aermel, die Federn,
die Knieschleifen, das Wehrgehänge. Auch in der Stellung ist
nichts vom Hofmann: er hält sich schlicht und straff wie ein Kriegs-
mann der vor seinem General Front macht. Es ist ein breit-
schultriger stämmiger Mann, ähnlich der Murillo'schen Figur des
Andres de Andrade in der Northbrook Galerie. Man sieht ihm
an, dass er sich nicht bedenken wird, sein und andrer Leben
im Todesrachen einer Bresche zu wagen. Das gebräunte Ant-
litz, mit weissen Glanzlichtern, gehört zu einem nicht seltenen
kastilischen Typus, aber hier in einem besonders robusten,
stutzigen, grimmigen Exemplar. Die dicken, schwarzen, nahe-
zusammentretenden, stark gerunzelten, die Augen beschattenden
Brauen, die lothrechte Furche in der Mitte der Stirn, der in
die Höhe geknickte Schnurrbart, das Ganze umrahmt von einer
mächtigen schwarzen Mähne, die, seitlich gescheitelt, unbändig
emporwuchernd, den Trotzkopf bekrönt: so stand er auf den
Mauern von Fuenterrabia, so wird er auf dem Halbdeck seines

Fünftes Buch.
als die Gestalt unbeweglich blieb, habe er sich zu Velazquez
gewandt mit den Worten: „Ich versichere Euch, dass ich mich
getäuscht hatte“.

Ich weiss nicht ob eine solche Täuschung möglich ist. Vasari
erzählt bekanntlich dasselbe von Tizian’s Bildniss Paul III mit
seinen beiden Nepoten, das viele, als es zum Trocknen in der
Sonne auf einer Terrasse gestanden, für lebendig gehalten und
ihm ihre Reverenz bezeigt hätten; er drückt sich aus als habe
er es selbst gesehen (Abbiamo visto ingannare molti occhi etc.
Vite XIII, 35). Die Worte des Königs klingen etwas nach Erfin-
dung. Vielleicht ist unsere Anekdote die Umbildung irgend eines
Bonmots, einer Umschreibung des damals oft gebrauchten Worts:
Verdad, no pintura. In der That ragt das Bildniss, was Kraft
und Leben betrifft, selbst unter Velazquez Werken hervor; er
hat hier seinen uns bekannten Mitteln eine ganz ungewöhnliche
Wirkung abgewonnen.

Er knüpft wieder an seine früheren Versuche an. Der helle,
gelbgraue, nach oben dunklere Grund, ohne Bezeichnung selbst
der Grenze zwischen Boden und Wand ist eigens für den schwar-
zen Sammt der Figur präparirt. Don Adrian steht etwas
nach links, den Blick dem Beschauer zugewandt. Die Beine
wieder nahe beisammen, die Füsse fast in rechtem Winkel. Die
Farbe ist freigebiger als gewöhnlich verwandt: der Illusion gün-
stig sind die sonst seltenen blendend weissen Stücke: der breite,
umgelegte Spitzenkragen, die geblümten Aermel, die Federn,
die Knieschleifen, das Wehrgehänge. Auch in der Stellung ist
nichts vom Hofmann: er hält sich schlicht und straff wie ein Kriegs-
mann der vor seinem General Front macht. Es ist ein breit-
schultriger stämmiger Mann, ähnlich der Murillo’schen Figur des
Andres de Andrade in der Northbrook Galerie. Man sieht ihm
an, dass er sich nicht bedenken wird, sein und andrer Leben
im Todesrachen einer Bresche zu wagen. Das gebräunte Ant-
litz, mit weissen Glanzlichtern, gehört zu einem nicht seltenen
kastilischen Typus, aber hier in einem besonders robusten,
stutzigen, grimmigen Exemplar. Die dicken, schwarzen, nahe-
zusammentretenden, stark gerunzelten, die Augen beschattenden
Brauen, die lothrechte Furche in der Mitte der Stirn, der in
die Höhe geknickte Schnurrbart, das Ganze umrahmt von einer
mächtigen schwarzen Mähne, die, seitlich gescheitelt, unbändig
emporwuchernd, den Trotzkopf bekrönt: so stand er auf den
Mauern von Fuenterrabia, so wird er auf dem Halbdeck seines

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[72/0092] Fünftes Buch. als die Gestalt unbeweglich blieb, habe er sich zu Velazquez gewandt mit den Worten: „Ich versichere Euch, dass ich mich getäuscht hatte“. Ich weiss nicht ob eine solche Täuschung möglich ist. Vasari erzählt bekanntlich dasselbe von Tizian’s Bildniss Paul III mit seinen beiden Nepoten, das viele, als es zum Trocknen in der Sonne auf einer Terrasse gestanden, für lebendig gehalten und ihm ihre Reverenz bezeigt hätten; er drückt sich aus als habe er es selbst gesehen (Abbiamo visto ingannare molti occhi etc. Vite XIII, 35). Die Worte des Königs klingen etwas nach Erfin- dung. Vielleicht ist unsere Anekdote die Umbildung irgend eines Bonmots, einer Umschreibung des damals oft gebrauchten Worts: Verdad, no pintura. In der That ragt das Bildniss, was Kraft und Leben betrifft, selbst unter Velazquez Werken hervor; er hat hier seinen uns bekannten Mitteln eine ganz ungewöhnliche Wirkung abgewonnen. Er knüpft wieder an seine früheren Versuche an. Der helle, gelbgraue, nach oben dunklere Grund, ohne Bezeichnung selbst der Grenze zwischen Boden und Wand ist eigens für den schwar- zen Sammt der Figur präparirt. Don Adrian steht etwas nach links, den Blick dem Beschauer zugewandt. Die Beine wieder nahe beisammen, die Füsse fast in rechtem Winkel. Die Farbe ist freigebiger als gewöhnlich verwandt: der Illusion gün- stig sind die sonst seltenen blendend weissen Stücke: der breite, umgelegte Spitzenkragen, die geblümten Aermel, die Federn, die Knieschleifen, das Wehrgehänge. Auch in der Stellung ist nichts vom Hofmann: er hält sich schlicht und straff wie ein Kriegs- mann der vor seinem General Front macht. Es ist ein breit- schultriger stämmiger Mann, ähnlich der Murillo’schen Figur des Andres de Andrade in der Northbrook Galerie. Man sieht ihm an, dass er sich nicht bedenken wird, sein und andrer Leben im Todesrachen einer Bresche zu wagen. Das gebräunte Ant- litz, mit weissen Glanzlichtern, gehört zu einem nicht seltenen kastilischen Typus, aber hier in einem besonders robusten, stutzigen, grimmigen Exemplar. Die dicken, schwarzen, nahe- zusammentretenden, stark gerunzelten, die Augen beschattenden Brauen, die lothrechte Furche in der Mitte der Stirn, der in die Höhe geknickte Schnurrbart, das Ganze umrahmt von einer mächtigen schwarzen Mähne, die, seitlich gescheitelt, unbändig emporwuchernd, den Trotzkopf bekrönt: so stand er auf den Mauern von Fuenterrabia, so wird er auf dem Halbdeck seines

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/92>, abgerufen am 29.03.2024.