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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
kompromittirt, dass ihn der Hof gegenüber der von Neapel aus er-
hobenen Anklage und der Feindschaft Venedigs nicht halten konnte.
Man beschloss ihn zu entfernen, aber auf möglichst schonende
Weise. Borja wurde damit beauftragt: er mochte zusehn, wie er
mit dem unberechenbaren und unbändigen Mann fertig werde.

Osuna, im Bewusstsein seines grossen Namens und seiner
Verdienste war überzeugt, dass er sich durch Entschiedenheit
des Auftretens der Halbheit des Cabinets in Madrid gegenüber
behaupten werde. Man traute ihm den tollkühnen Plan zu, sich
dort ein unabhängiges Fürstenthum zu gründen; allerdings hatte
er durch demagogische Praktiken und Persönlichkeiten schon
erreicht, dass der neapolitanische Pöbel im Frühjahr 1620 den
Toledo durchzog mit dem Geschrei: "Wir wollen keinen andern
Regenten, als Osuna". Der Adel, Plünderung und Brand be-
sorgend, befestigte sich in seinen Palästen und mobilisirte die
Dienerschaft. Den Brief, in welchem ihm Borja seine Ankunft
meldete, zerriss er und rief: "Ich bin Don Pedro Giron, und
werde Jedermann zeigen was ich in Spanien kann". Er hoffe
Borja in ein Schiff packen und nach seiner Diöcese Sevilla be-
fördern zu lassen.

Der Cardinal erinnerte sich, wie es einst Mendoza mit dem
Cardinal Granvella gemacht, er beschloss ihn zu überlisten und
mit der vollendeten Thatsache seines eigenen possesso zu über-
raschen und zu vernichten. Er kam nach Procida, verständigte sich
mit dem Kommandanten des Castel nuovo, D. Alvaro de Mendoza,
liess sich huldigen und fuhr am 3. Juni Abends heimlich in einer
Barke nach Nisida und von da zu Wagen ins Castell. Eine Stunde
vor Sonnenaufgang verkündigten die Kanonen der Castelle und
die Glocken der Kirchen die Gegenwart des neuen Vicekönigs.
Osuna, aus dem Schlaf geschreckt, eilte nach dem Castell um zu
hören, dass der Vicekönig drinnen sei. Es war ein jäher Sturz,
in einer Stunde sah er sich von allen verlassen 1).

Als Borja die ohne Blutvergiessen gelungene Lösung dieser
gefahrvollen Krisis nach Madrid berichtete, wagte er dem
Könige die Schuld derselben mit dürren Worten vorzuhalten.
Er ermahnte Philipp III sich um die Regierung seiner Reiche
in Zukunft besser zu bekümmern, sonst würden ähnliche und
schlimmere Verwickelungen nicht ausbleiben. Diese Keckheit
sowie die für den sonst so ruhmreichen Statthalter beschim-

1) Depeschen des venezianischen Agenten Gaspar Spinelli im Archiv der Frari.

Fünftes Buch.
kompromittirt, dass ihn der Hof gegenüber der von Neapel aus er-
hobenen Anklage und der Feindschaft Venedigs nicht halten konnte.
Man beschloss ihn zu entfernen, aber auf möglichst schonende
Weise. Borja wurde damit beauftragt: er mochte zusehn, wie er
mit dem unberechenbaren und unbändigen Mann fertig werde.

Osuna, im Bewusstsein seines grossen Namens und seiner
Verdienste war überzeugt, dass er sich durch Entschiedenheit
des Auftretens der Halbheit des Cabinets in Madrid gegenüber
behaupten werde. Man traute ihm den tollkühnen Plan zu, sich
dort ein unabhängiges Fürstenthum zu gründen; allerdings hatte
er durch demagogische Praktiken und Persönlichkeiten schon
erreicht, dass der neapolitanische Pöbel im Frühjahr 1620 den
Toledo durchzog mit dem Geschrei: „Wir wollen keinen andern
Regenten, als Osuna“. Der Adel, Plünderung und Brand be-
sorgend, befestigte sich in seinen Palästen und mobilisirte die
Dienerschaft. Den Brief, in welchem ihm Borja seine Ankunft
meldete, zerriss er und rief: „Ich bin Don Pedro Giron, und
werde Jedermann zeigen was ich in Spanien kann“. Er hoffe
Borja in ein Schiff packen und nach seiner Diöcese Sevilla be-
fördern zu lassen.

Der Cardinal erinnerte sich, wie es einst Mendoza mit dem
Cardinal Granvella gemacht, er beschloss ihn zu überlisten und
mit der vollendeten Thatsache seines eigenen possesso zu über-
raschen und zu vernichten. Er kam nach Procida, verständigte sich
mit dem Kommandanten des Castel nuovo, D. Alvaro de Mendoza,
liess sich huldigen und fuhr am 3. Juni Abends heimlich in einer
Barke nach Nisida und von da zu Wagen ins Castell. Eine Stunde
vor Sonnenaufgang verkündigten die Kanonen der Castelle und
die Glocken der Kirchen die Gegenwart des neuen Vicekönigs.
Osuna, aus dem Schlaf geschreckt, eilte nach dem Castell um zu
hören, dass der Vicekönig drinnen sei. Es war ein jäher Sturz,
in einer Stunde sah er sich von allen verlassen 1).

Als Borja die ohne Blutvergiessen gelungene Lösung dieser
gefahrvollen Krisis nach Madrid berichtete, wagte er dem
Könige die Schuld derselben mit dürren Worten vorzuhalten.
Er ermahnte Philipp III sich um die Regierung seiner Reiche
in Zukunft besser zu bekümmern, sonst würden ähnliche und
schlimmere Verwickelungen nicht ausbleiben. Diese Keckheit
sowie die für den sonst so ruhmreichen Statthalter beschim-

1) Depeschen des venezianischen Agenten Gaspar Spinelli im Archiv der Frari.
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[56/0076] Fünftes Buch. kompromittirt, dass ihn der Hof gegenüber der von Neapel aus er- hobenen Anklage und der Feindschaft Venedigs nicht halten konnte. Man beschloss ihn zu entfernen, aber auf möglichst schonende Weise. Borja wurde damit beauftragt: er mochte zusehn, wie er mit dem unberechenbaren und unbändigen Mann fertig werde. Osuna, im Bewusstsein seines grossen Namens und seiner Verdienste war überzeugt, dass er sich durch Entschiedenheit des Auftretens der Halbheit des Cabinets in Madrid gegenüber behaupten werde. Man traute ihm den tollkühnen Plan zu, sich dort ein unabhängiges Fürstenthum zu gründen; allerdings hatte er durch demagogische Praktiken und Persönlichkeiten schon erreicht, dass der neapolitanische Pöbel im Frühjahr 1620 den Toledo durchzog mit dem Geschrei: „Wir wollen keinen andern Regenten, als Osuna“. Der Adel, Plünderung und Brand be- sorgend, befestigte sich in seinen Palästen und mobilisirte die Dienerschaft. Den Brief, in welchem ihm Borja seine Ankunft meldete, zerriss er und rief: „Ich bin Don Pedro Giron, und werde Jedermann zeigen was ich in Spanien kann“. Er hoffe Borja in ein Schiff packen und nach seiner Diöcese Sevilla be- fördern zu lassen. Der Cardinal erinnerte sich, wie es einst Mendoza mit dem Cardinal Granvella gemacht, er beschloss ihn zu überlisten und mit der vollendeten Thatsache seines eigenen possesso zu über- raschen und zu vernichten. Er kam nach Procida, verständigte sich mit dem Kommandanten des Castel nuovo, D. Alvaro de Mendoza, liess sich huldigen und fuhr am 3. Juni Abends heimlich in einer Barke nach Nisida und von da zu Wagen ins Castell. Eine Stunde vor Sonnenaufgang verkündigten die Kanonen der Castelle und die Glocken der Kirchen die Gegenwart des neuen Vicekönigs. Osuna, aus dem Schlaf geschreckt, eilte nach dem Castell um zu hören, dass der Vicekönig drinnen sei. Es war ein jäher Sturz, in einer Stunde sah er sich von allen verlassen 1). Als Borja die ohne Blutvergiessen gelungene Lösung dieser gefahrvollen Krisis nach Madrid berichtete, wagte er dem Könige die Schuld derselben mit dürren Worten vorzuhalten. Er ermahnte Philipp III sich um die Regierung seiner Reiche in Zukunft besser zu bekümmern, sonst würden ähnliche und schlimmere Verwickelungen nicht ausbleiben. Diese Keckheit sowie die für den sonst so ruhmreichen Statthalter beschim- 1) Depeschen des venezianischen Agenten Gaspar Spinelli im Archiv der Frari.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/76>, abgerufen am 25.04.2024.