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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
die Plastik so unübertrefflich, dass man sagen kann: der Maler
stellte die weitere Ausführung ein, weil er seinen Zweck er-
reicht sah. Der alte Bildschnitzer modellirt mit der keck skizzirten
Hand die mit einem Minimum von Linien auf der Grundirung
angedeutete Büste; auf dieser Leinwand ist alles im Werden, und
in allen Stadien des Werdens, denn es giebt auch ausgeführte
Theile, z. B. der schwarze Anzug.

Jene Hand ist gewiss nach der Natur -- mit farbenschwan-

[Abbildung]

Der Bildhauer Montannes.

gerem Pinsel -- auf ein-
mal improvisirt. Vier Fin-
ger legen sich um das
Holz, der kleine Finger
dagegen steht frei ab, und
ist durch einen fetten ge-
schlängelten Lichtstreifen
ausgezeichnet. Obwol mit
Nichts gemacht, giebt es
wenig Hände die so spre-
chend sind wie diese. Sie
zittert von Leben. Sie
macht jetzt eine Pause.
Das forschende Auge
lernt die Formen der Na-
tur ab, memorirt gleich-
sam: diese modellirende
Thätigkeit des Gehirns
wird im nächsten Augen-
blick von dem Impuls der modellirenden Hand ausgelöst werden.
Die Linke legt er auf den Scheitel der Büste.

Der Kopf gehört zu einem in Castilien sehr häufig vor-
kommenden Typus; der Verfasser sah an einem der ersten Tage
seiner Ankunft in Madrid über einer Logenbrüstung des Theaters
Variedades seinen Doppelgänger. Breite, schön gewölbte, scharf
vorgedachte Stirn, dicke buschige nahezusammenrückende
Brauen, kleine etwas auseinanderstehende Augen überschattend;
zwischen starken Backenknochen ein breiter etwas gedrückter
Nasenrücken. Die grauen Haare (auch Schnurr- und Knebelbart
fast weiss) sind bereits sehr dünn, besonders auf der Stirn. Man
liest in diesen Zügen die Arbeit eines langen Lebens, dessen
Frucht noch in jenen zahlreichen Werken Sevilla's und seiner
Provinz so vollständig beisammen ist. Werke die nun schon

Fünftes Buch.
die Plastik so unübertrefflich, dass man sagen kann: der Maler
stellte die weitere Ausführung ein, weil er seinen Zweck er-
reicht sah. Der alte Bildschnitzer modellirt mit der keck skizzirten
Hand die mit einem Minimum von Linien auf der Grundirung
angedeutete Büste; auf dieser Leinwand ist alles im Werden, und
in allen Stadien des Werdens, denn es giebt auch ausgeführte
Theile, z. B. der schwarze Anzug.

Jene Hand ist gewiss nach der Natur — mit farbenschwan-

[Abbildung]

Der Bildhauer Montañes.

gerem Pinsel — auf ein-
mal improvisirt. Vier Fin-
ger legen sich um das
Holz, der kleine Finger
dagegen steht frei ab, und
ist durch einen fetten ge-
schlängelten Lichtstreifen
ausgezeichnet. Obwol mit
Nichts gemacht, giebt es
wenig Hände die so spre-
chend sind wie diese. Sie
zittert von Leben. Sie
macht jetzt eine Pause.
Das forschende Auge
lernt die Formen der Na-
tur ab, memorirt gleich-
sam: diese modellirende
Thätigkeit des Gehirns
wird im nächsten Augen-
blick von dem Impuls der modellirenden Hand ausgelöst werden.
Die Linke legt er auf den Scheitel der Büste.

Der Kopf gehört zu einem in Castilien sehr häufig vor-
kommenden Typus; der Verfasser sah an einem der ersten Tage
seiner Ankunft in Madrid über einer Logenbrüstung des Theaters
Variedades seinen Doppelgänger. Breite, schön gewölbte, scharf
vorgedachte Stirn, dicke buschige nahezusammenrückende
Brauen, kleine etwas auseinanderstehende Augen überschattend;
zwischen starken Backenknochen ein breiter etwas gedrückter
Nasenrücken. Die grauen Haare (auch Schnurr- und Knebelbart
fast weiss) sind bereits sehr dünn, besonders auf der Stirn. Man
liest in diesen Zügen die Arbeit eines langen Lebens, dessen
Frucht noch in jenen zahlreichen Werken Sevilla’s und seiner
Provinz so vollständig beisammen ist. Werke die nun schon

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[52/0072] Fünftes Buch. die Plastik so unübertrefflich, dass man sagen kann: der Maler stellte die weitere Ausführung ein, weil er seinen Zweck er- reicht sah. Der alte Bildschnitzer modellirt mit der keck skizzirten Hand die mit einem Minimum von Linien auf der Grundirung angedeutete Büste; auf dieser Leinwand ist alles im Werden, und in allen Stadien des Werdens, denn es giebt auch ausgeführte Theile, z. B. der schwarze Anzug. Jene Hand ist gewiss nach der Natur — mit farbenschwan- [Abbildung Der Bildhauer Montañes.] gerem Pinsel — auf ein- mal improvisirt. Vier Fin- ger legen sich um das Holz, der kleine Finger dagegen steht frei ab, und ist durch einen fetten ge- schlängelten Lichtstreifen ausgezeichnet. Obwol mit Nichts gemacht, giebt es wenig Hände die so spre- chend sind wie diese. Sie zittert von Leben. Sie macht jetzt eine Pause. Das forschende Auge lernt die Formen der Na- tur ab, memorirt gleich- sam: diese modellirende Thätigkeit des Gehirns wird im nächsten Augen- blick von dem Impuls der modellirenden Hand ausgelöst werden. Die Linke legt er auf den Scheitel der Büste. Der Kopf gehört zu einem in Castilien sehr häufig vor- kommenden Typus; der Verfasser sah an einem der ersten Tage seiner Ankunft in Madrid über einer Logenbrüstung des Theaters Variedades seinen Doppelgänger. Breite, schön gewölbte, scharf vorgedachte Stirn, dicke buschige nahezusammenrückende Brauen, kleine etwas auseinanderstehende Augen überschattend; zwischen starken Backenknochen ein breiter etwas gedrückter Nasenrücken. Die grauen Haare (auch Schnurr- und Knebelbart fast weiss) sind bereits sehr dünn, besonders auf der Stirn. Man liest in diesen Zügen die Arbeit eines langen Lebens, dessen Frucht noch in jenen zahlreichen Werken Sevilla’s und seiner Provinz so vollständig beisammen ist. Werke die nun schon

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/72>, abgerufen am 18.04.2024.