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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Der Bildhauer Montannes.
stimmen ziemlich zu dem bekannten unsteten, heftigen und
streitsüchtigen Wesen des Mannes, unser Kopf dagegen lässt
auf einen sehr gesetzten Charakter schliessen. Ferner könnte
diess Bildniss eines Greises frühstens 1656 gemacht sein, als
Cano noch einmal von Granada nach Madrid kam, um die
Gnade des Königs in seinem Streit mit dem Kapitel der Ka-
thedrale anzurufen. Zu dieser Zeit stimmt aber die über-
lebensgrosse Büste nicht, welche der Bildhauer zu modelliren
im Begriff ist. Ihre Formen sind zwar nur mit wenigen Stri-
chen angedeutet, dennoch sind die charakteristischen Linien des
Kopfs Philipp IV und seiner Frisur im Alter von etwa dreissig
Jahren unverkennbar. Auch die lebhafte Wendung des Haupts,
welche ja die Reiterfigur Tacca's von fast allen sonstigen Bild-
nissen dieses Königs unterscheidet, ist zu beachten.

Meine Vermuthung 1) wurde zur Gewissheit als ich kurz
darauf in der Akademie zu Sevilla das Porträt des Montannes
von Varela sah. Denn hier ist, bei allen Veränderungen welche
mehr als zwanzig Jahre in einem Gesicht anrichten, der unver-
änderliche Grundbau ganz derselbe. Nur sind die harten, ja häss-
lichen Formen durch das Alter gemildert worden. Merkwürdig
ist, dass die rechte Hand mit dem Modellirstift ganz ebenso
gestellt und gezeichnet ist, wie in unserm Bildniss. Die Linke
hält hier eine Statuette, oder vielmehr eine Skizze, wahrschein-
lich eines büssenden h. Hieronymus.

Hiernach dürfte man also ein Bildniss des gefeiertsten Mei-
sters der Estofadosculptur in Andalusien der Porträtgalerie des
Velazquez zufügen dürfen. Montannes, der schon 1607 ein Jesuskind
für den Sagrario der Kathedrale arbeitete, und sich 1648 viejo
nennt, muss damals ein hoher Fünfziger gewesen sein.

Man hat das Gemälde, wahrscheinlich um es mit dem Alter
Cano's in Einklang zu bringen, in die letzten Jahre des Meisters
setzen wollen. Der unvollendete Zustand (retrato por acabar) giebt
ihm eine scheinbare Aehnlichkeit mit der sogenannten dritten
Manier. Die leicht eingeriebene Braununtermalung der schmalen
Schatten ist einfach stehn gelassen, auch in den gelb- und röth-
lichen Fleischtönen ist das Korn der Leinwand in die Augen fal-
lend. Dennoch sind diese Lichtflächen von so sonniger Helle,

des Louvre) stellt einen alten Geistlichen dar; der Kopf in der Ermitage (353) ist
total verschieden. In den Espannoles illustres ist ein Stich zon J. Bazquez.
1) Auf die auch P. Lefort unabhängig gekommen ist: Qui pourrait bien etre
celui de M. M. Gazette des B.-A. 1882 II. 409.

Der Bildhauer Montañes.
stimmen ziemlich zu dem bekannten unsteten, heftigen und
streitsüchtigen Wesen des Mannes, unser Kopf dagegen lässt
auf einen sehr gesetzten Charakter schliessen. Ferner könnte
diess Bildniss eines Greises frühstens 1656 gemacht sein, als
Cano noch einmal von Granada nach Madrid kam, um die
Gnade des Königs in seinem Streit mit dem Kapitel der Ka-
thedrale anzurufen. Zu dieser Zeit stimmt aber die über-
lebensgrosse Büste nicht, welche der Bildhauer zu modelliren
im Begriff ist. Ihre Formen sind zwar nur mit wenigen Stri-
chen angedeutet, dennoch sind die charakteristischen Linien des
Kopfs Philipp IV und seiner Frisur im Alter von etwa dreissig
Jahren unverkennbar. Auch die lebhafte Wendung des Haupts,
welche ja die Reiterfigur Tacca’s von fast allen sonstigen Bild-
nissen dieses Königs unterscheidet, ist zu beachten.

Meine Vermuthung 1) wurde zur Gewissheit als ich kurz
darauf in der Akademie zu Sevilla das Porträt des Montañes
von Varela sah. Denn hier ist, bei allen Veränderungen welche
mehr als zwanzig Jahre in einem Gesicht anrichten, der unver-
änderliche Grundbau ganz derselbe. Nur sind die harten, ja häss-
lichen Formen durch das Alter gemildert worden. Merkwürdig
ist, dass die rechte Hand mit dem Modellirstift ganz ebenso
gestellt und gezeichnet ist, wie in unserm Bildniss. Die Linke
hält hier eine Statuette, oder vielmehr eine Skizze, wahrschein-
lich eines büssenden h. Hieronymus.

Hiernach dürfte man also ein Bildniss des gefeiertsten Mei-
sters der Estofadosculptur in Andalusien der Porträtgalerie des
Velazquez zufügen dürfen. Montañes, der schon 1607 ein Jesuskind
für den Sagrario der Kathedrale arbeitete, und sich 1648 viejo
nennt, muss damals ein hoher Fünfziger gewesen sein.

Man hat das Gemälde, wahrscheinlich um es mit dem Alter
Cano’s in Einklang zu bringen, in die letzten Jahre des Meisters
setzen wollen. Der unvollendete Zustand (retrato por acabar) giebt
ihm eine scheinbare Aehnlichkeit mit der sogenannten dritten
Manier. Die leicht eingeriebene Braununtermalung der schmalen
Schatten ist einfach stehn gelassen, auch in den gelb- und röth-
lichen Fleischtönen ist das Korn der Leinwand in die Augen fal-
lend. Dennoch sind diese Lichtflächen von so sonniger Helle,

des Louvre) stellt einen alten Geistlichen dar; der Kopf in der Ermitage (353) ist
total verschieden. In den Españoles illustres ist ein Stich zon J. Bazquez.
1) Auf die auch P. Lefort unabhängig gekommen ist: Qui pourrait bien être
celui de M. M. Gazette des B.-A. 1882 II. 409.
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[51/0071] Der Bildhauer Montañes. stimmen ziemlich zu dem bekannten unsteten, heftigen und streitsüchtigen Wesen des Mannes, unser Kopf dagegen lässt auf einen sehr gesetzten Charakter schliessen. Ferner könnte diess Bildniss eines Greises frühstens 1656 gemacht sein, als Cano noch einmal von Granada nach Madrid kam, um die Gnade des Königs in seinem Streit mit dem Kapitel der Ka- thedrale anzurufen. Zu dieser Zeit stimmt aber die über- lebensgrosse Büste nicht, welche der Bildhauer zu modelliren im Begriff ist. Ihre Formen sind zwar nur mit wenigen Stri- chen angedeutet, dennoch sind die charakteristischen Linien des Kopfs Philipp IV und seiner Frisur im Alter von etwa dreissig Jahren unverkennbar. Auch die lebhafte Wendung des Haupts, welche ja die Reiterfigur Tacca’s von fast allen sonstigen Bild- nissen dieses Königs unterscheidet, ist zu beachten. Meine Vermuthung 1) wurde zur Gewissheit als ich kurz darauf in der Akademie zu Sevilla das Porträt des Montañes von Varela sah. Denn hier ist, bei allen Veränderungen welche mehr als zwanzig Jahre in einem Gesicht anrichten, der unver- änderliche Grundbau ganz derselbe. Nur sind die harten, ja häss- lichen Formen durch das Alter gemildert worden. Merkwürdig ist, dass die rechte Hand mit dem Modellirstift ganz ebenso gestellt und gezeichnet ist, wie in unserm Bildniss. Die Linke hält hier eine Statuette, oder vielmehr eine Skizze, wahrschein- lich eines büssenden h. Hieronymus. Hiernach dürfte man also ein Bildniss des gefeiertsten Mei- sters der Estofadosculptur in Andalusien der Porträtgalerie des Velazquez zufügen dürfen. Montañes, der schon 1607 ein Jesuskind für den Sagrario der Kathedrale arbeitete, und sich 1648 viejo nennt, muss damals ein hoher Fünfziger gewesen sein. Man hat das Gemälde, wahrscheinlich um es mit dem Alter Cano’s in Einklang zu bringen, in die letzten Jahre des Meisters setzen wollen. Der unvollendete Zustand (retrato por acabar) giebt ihm eine scheinbare Aehnlichkeit mit der sogenannten dritten Manier. Die leicht eingeriebene Braununtermalung der schmalen Schatten ist einfach stehn gelassen, auch in den gelb- und röth- lichen Fleischtönen ist das Korn der Leinwand in die Augen fal- lend. Dennoch sind diese Lichtflächen von so sonniger Helle, 2) 1) Auf die auch P. Lefort unabhängig gekommen ist: Qui pourrait bien être celui de M. M. Gazette des B.-A. 1882 II. 409. 2) des Louvre) stellt einen alten Geistlichen dar; der Kopf in der Ermitage (353) ist total verschieden. In den Españoles illustres ist ein Stich zon J. Bazquez.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/71>, abgerufen am 28.03.2024.