Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Quevedo.
Gläsern, wie hier zu sehen ist, einen festen, kalten, stetigen,
durchdringenden Blick. Der Maler hat diesen Blick von dem ihm
sonst geläufigen vornehmen Seitenblick bloss repräsentirender
Persönlichkeiten wol unterschieden. Es ist nicht der Blick des
Dichters oder des Philosophen, mehr der des Politikers, des
Menschenkenners, vor dem der Schein zergeht und hinter Wor-
ten und Handlungen die Motive durchsichtig werden, ein verwir-
render Blick, mit einem Hauch von Verachtung, wie auch der Mund
Geringschätzung und Trotz ausdrückt 1). In Folge des Reflexes
der Brillengläser scheint er aus einem tiefern, dunklen Hinter-
grund hervorzudringen. Als sich sein Gönner und Geistesver-
wandter, Osuna, dessen rechte Hand er gewesen war bei der
Verwaltung Siciliens, um den Posten in Neapel bewarb, war
es Don Francisco, den er mit der nöthigen Kassa an den Hof
sandte (30000 Dukaten); er hat also die Grossen "in der Mensch-
heit trauriger Blösse" vor sich gesehn.

Trotz dieses Beobachterblicks liegt in dem Ganzen des Ge-
sichts, der Kopfhaltung, etwas Schlagfertiges, etwas vom Mann
des Degens (der ihm die Stirnnarben verschaffte), des prompten
und witzigen Erwiderers. Die Gaben persönlichen Muths fehlten
ihm nicht, auch des moralischen. Damalige Leser mögen seine
in usum delphini reproducirten Verse römischer Satiriker und
so manche Sätze der Monarquia de Christo und des Lebens des
M. Brutus, zu welchen ihm Don Philipp und Don Gaspar gesessen,
nicht ohne Schrecken angeblickt haben. Obwol gelegentlich
Meister in unwiderstehlicher Schmeichelei und diplomatischer
Verschleierung bedenklicher Wahrheiten, Hofpoet, war doch das
"freie Wort" bei ihm s. z. s. Temperamentseigenschaft 2); aber er
besass auch durch Erfahrung und ungeheures Wissen die Kom-
petenz, "die Wahrheit zu sagen", die durch Rede- und Press-
freiheit augenscheinlich nicht ausgetheilt wird. Denn er hatte
nicht nur die Bänke des Kollegs, sondern die schwerere Schule
der Geschäfte durchgemacht. Dass ein solcher Mann bis zu
seinem sechzigsten Jahre am Hofe möglich war, beweist übrigens,
dass der Despotismus Philipp IV jedenfalls nicht kleinlich war.

1) Er sagt bei Gelegenheit seiner Schultern, "que causa el verme al mas
valiente asombro!"
2) Man warf ihm Undank vor, selbst gegen Osuna. Questo cavaliere, schreibt
der toskanische Gesandte bei seiner Gefangennehmung, era di buonissima conver-
sazione, pero piccante, e dicono ingrato. Depesche vom 17. Dec. 1639.

Quevedo.
Gläsern, wie hier zu sehen ist, einen festen, kalten, stetigen,
durchdringenden Blick. Der Maler hat diesen Blick von dem ihm
sonst geläufigen vornehmen Seitenblick bloss repräsentirender
Persönlichkeiten wol unterschieden. Es ist nicht der Blick des
Dichters oder des Philosophen, mehr der des Politikers, des
Menschenkenners, vor dem der Schein zergeht und hinter Wor-
ten und Handlungen die Motive durchsichtig werden, ein verwir-
render Blick, mit einem Hauch von Verachtung, wie auch der Mund
Geringschätzung und Trotz ausdrückt 1). In Folge des Reflexes
der Brillengläser scheint er aus einem tiefern, dunklen Hinter-
grund hervorzudringen. Als sich sein Gönner und Geistesver-
wandter, Osuna, dessen rechte Hand er gewesen war bei der
Verwaltung Siciliens, um den Posten in Neapel bewarb, war
es Don Francisco, den er mit der nöthigen Kassa an den Hof
sandte (30000 Dukaten); er hat also die Grossen „in der Mensch-
heit trauriger Blösse“ vor sich gesehn.

Trotz dieses Beobachterblicks liegt in dem Ganzen des Ge-
sichts, der Kopfhaltung, etwas Schlagfertiges, etwas vom Mann
des Degens (der ihm die Stirnnarben verschaffte), des prompten
und witzigen Erwiderers. Die Gaben persönlichen Muths fehlten
ihm nicht, auch des moralischen. Damalige Leser mögen seine
in usum delphini reproducirten Verse römischer Satiriker und
so manche Sätze der Monarquía de Christo und des Lebens des
M. Brutus, zu welchen ihm Don Philipp und Don Gaspar gesessen,
nicht ohne Schrecken angeblickt haben. Obwol gelegentlich
Meister in unwiderstehlicher Schmeichelei und diplomatischer
Verschleierung bedenklicher Wahrheiten, Hofpoet, war doch das
„freie Wort“ bei ihm s. z. s. Temperamentseigenschaft 2); aber er
besass auch durch Erfahrung und ungeheures Wissen die Kom-
petenz, „die Wahrheit zu sagen“, die durch Rede- und Press-
freiheit augenscheinlich nicht ausgetheilt wird. Denn er hatte
nicht nur die Bänke des Kollegs, sondern die schwerere Schule
der Geschäfte durchgemacht. Dass ein solcher Mann bis zu
seinem sechzigsten Jahre am Hofe möglich war, beweist übrigens,
dass der Despotismus Philipp IV jedenfalls nicht kleinlich war.

1) Er sagt bei Gelegenheit seiner Schultern, „que causa el verme al mas
valiente asombro!“
2) Man warf ihm Undank vor, selbst gegen Osuna. Questo cavaliere, schreibt
der toskanische Gesandte bei seiner Gefangennehmung, era di buonissima conver-
sazione, pero piccante, e dicono ingrato. Depesche vom 17. Dec. 1639.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0067" n="47"/><fw place="top" type="header">Quevedo.</fw><lb/>
Gläsern, wie hier zu sehen ist, einen festen, kalten, stetigen,<lb/>
durchdringenden Blick. Der Maler hat diesen Blick von dem ihm<lb/>
sonst geläufigen vornehmen Seitenblick bloss repräsentirender<lb/>
Persönlichkeiten wol unterschieden. Es ist nicht der Blick des<lb/>
Dichters oder des Philosophen, mehr der des Politikers, des<lb/>
Menschenkenners, vor dem der Schein zergeht und hinter Wor-<lb/>
ten und Handlungen die Motive durchsichtig werden, ein verwir-<lb/>
render Blick, mit einem Hauch von Verachtung, wie auch der Mund<lb/>
Geringschätzung und Trotz ausdrückt <note place="foot" n="1)">Er sagt bei Gelegenheit seiner Schultern, &#x201E;que causa el verme al mas<lb/>
valiente asombro!&#x201C;</note>. In Folge des Reflexes<lb/>
der Brillengläser scheint er aus einem tiefern, dunklen Hinter-<lb/>
grund hervorzudringen. Als sich sein Gönner und Geistesver-<lb/>
wandter, Osuna, dessen rechte Hand er gewesen war bei der<lb/>
Verwaltung Siciliens, um den Posten in Neapel bewarb, war<lb/>
es Don Francisco, den er mit der nöthigen Kassa an den Hof<lb/>
sandte (30000 Dukaten); er hat also die Grossen &#x201E;in der Mensch-<lb/>
heit trauriger Blösse&#x201C; vor sich gesehn.</p><lb/>
            <p>Trotz dieses Beobachterblicks liegt in dem Ganzen des Ge-<lb/>
sichts, der Kopfhaltung, etwas Schlagfertiges, etwas vom Mann<lb/>
des Degens (der ihm die Stirnnarben verschaffte), des prompten<lb/>
und witzigen Erwiderers. Die Gaben persönlichen Muths fehlten<lb/>
ihm nicht, auch des moralischen. Damalige Leser mögen seine<lb/><hi rendition="#i">in usum delphini</hi> reproducirten Verse römischer Satiriker und<lb/>
so manche Sätze der <hi rendition="#i">Monarquía de Christo</hi> und des Lebens des<lb/>
M. Brutus, zu welchen ihm Don Philipp und Don Gaspar gesessen,<lb/>
nicht ohne Schrecken angeblickt haben. Obwol gelegentlich<lb/>
Meister in unwiderstehlicher Schmeichelei und diplomatischer<lb/>
Verschleierung bedenklicher Wahrheiten, Hofpoet, war doch das<lb/>
&#x201E;freie Wort&#x201C; bei ihm s. z. s. Temperamentseigenschaft <note place="foot" n="2)">Man warf ihm Undank vor, selbst gegen Osuna. Questo cavaliere, schreibt<lb/>
der toskanische Gesandte bei seiner Gefangennehmung, era di buonissima conver-<lb/>
sazione, pero piccante, e dicono ingrato. Depesche vom 17. Dec. 1639.</note>; aber er<lb/>
besass auch durch Erfahrung und ungeheures Wissen die Kom-<lb/>
petenz, &#x201E;die Wahrheit zu sagen&#x201C;, die durch Rede- und Press-<lb/>
freiheit augenscheinlich nicht ausgetheilt wird. Denn er hatte<lb/>
nicht nur die Bänke des Kollegs, sondern die schwerere Schule<lb/>
der Geschäfte durchgemacht. Dass ein solcher Mann bis zu<lb/>
seinem sechzigsten Jahre am Hofe möglich war, beweist übrigens,<lb/>
dass der Despotismus Philipp IV jedenfalls nicht kleinlich war.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0067] Quevedo. Gläsern, wie hier zu sehen ist, einen festen, kalten, stetigen, durchdringenden Blick. Der Maler hat diesen Blick von dem ihm sonst geläufigen vornehmen Seitenblick bloss repräsentirender Persönlichkeiten wol unterschieden. Es ist nicht der Blick des Dichters oder des Philosophen, mehr der des Politikers, des Menschenkenners, vor dem der Schein zergeht und hinter Wor- ten und Handlungen die Motive durchsichtig werden, ein verwir- render Blick, mit einem Hauch von Verachtung, wie auch der Mund Geringschätzung und Trotz ausdrückt 1). In Folge des Reflexes der Brillengläser scheint er aus einem tiefern, dunklen Hinter- grund hervorzudringen. Als sich sein Gönner und Geistesver- wandter, Osuna, dessen rechte Hand er gewesen war bei der Verwaltung Siciliens, um den Posten in Neapel bewarb, war es Don Francisco, den er mit der nöthigen Kassa an den Hof sandte (30000 Dukaten); er hat also die Grossen „in der Mensch- heit trauriger Blösse“ vor sich gesehn. Trotz dieses Beobachterblicks liegt in dem Ganzen des Ge- sichts, der Kopfhaltung, etwas Schlagfertiges, etwas vom Mann des Degens (der ihm die Stirnnarben verschaffte), des prompten und witzigen Erwiderers. Die Gaben persönlichen Muths fehlten ihm nicht, auch des moralischen. Damalige Leser mögen seine in usum delphini reproducirten Verse römischer Satiriker und so manche Sätze der Monarquía de Christo und des Lebens des M. Brutus, zu welchen ihm Don Philipp und Don Gaspar gesessen, nicht ohne Schrecken angeblickt haben. Obwol gelegentlich Meister in unwiderstehlicher Schmeichelei und diplomatischer Verschleierung bedenklicher Wahrheiten, Hofpoet, war doch das „freie Wort“ bei ihm s. z. s. Temperamentseigenschaft 2); aber er besass auch durch Erfahrung und ungeheures Wissen die Kom- petenz, „die Wahrheit zu sagen“, die durch Rede- und Press- freiheit augenscheinlich nicht ausgetheilt wird. Denn er hatte nicht nur die Bänke des Kollegs, sondern die schwerere Schule der Geschäfte durchgemacht. Dass ein solcher Mann bis zu seinem sechzigsten Jahre am Hofe möglich war, beweist übrigens, dass der Despotismus Philipp IV jedenfalls nicht kleinlich war. 1) Er sagt bei Gelegenheit seiner Schultern, „que causa el verme al mas valiente asombro!“ 2) Man warf ihm Undank vor, selbst gegen Osuna. Questo cavaliere, schreibt der toskanische Gesandte bei seiner Gefangennehmung, era di buonissima conver- sazione, pero piccante, e dicono ingrato. Depesche vom 17. Dec. 1639.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/67
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/67>, abgerufen am 29.03.2024.