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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die zwei kleinen Mädchen.
aus der Verbildung ihrer Zeit den Weg zu reiner Kindlichkeit
zurückzufinden suchten.

Ueberraschend ist, dass Velazquez der leichte, weiche, durch-
sichtige Pinsel des Kindermalers wie wenigen zu Gebote ge-
standen hat, dass er in der Kinderstube seine frischesten Lor-
beern gepflückt hat. Aber der strenge Charakteristiker war ja
auch der Maler der Luft und des Lichts.

Wol den wärmsten Beifall seiner Gönner hat er geerntet in
den Darstellungen des kleinen Prinzen Balthasar und dessen
spätgeborenen Schwesterchens. Die Schwärmerei der schwachen
Eltern und des Hofs, bezeugt durch zahllose Wiederholungen,
ist hier von der Nachwelt getheilt worden. Ihre Bildnisse wer-
den noch heute von Studirenden und Kopisten belagert, und die
allgemeine Stimme weiss von einem reizenden Blondinchen kaum
schmeichelhafteres zu sagen, als dass es wie eine Infantin des
Velazquez aussehe.

Allein diess waren Kinder teutonischen Stamms. Warum
haben wir nur ein Kind spanischer Race? "Die kleinen spanischen
Mädchen, sagt Mad. d'Aulnoy, sind weisser als Alabaster und so
vollkommen schön, dass man sie für Engel hält, freilich ändern
sie sich auffallend, geröstet von der Sonne, vergilbt von der
Luft."

Die zwei Halbfiguren im Museum zu Madrid (Nr. 1087 und 88,
0,58 x 0,46) sehen sich so ähnlich, dass man sie auf jeden Fall
für Schwestern halten muss, -- wenn sie nicht, wie fast gewiss,
eine und dieselbe Person vorstellen. Und da nun der Maler
zwei Töchter gehabt hat, die im Alter nur zwanzig Monate aus-
einanderlagen (1619 und 1621), so wäre es zu verwundern, wenn
die Namensucher diese zwei Kinder nicht für Francisca und
Ignacia erklärt hatten. Allein das Jahr 1626 will weder zu dem
Kostüm noch zu dem Stil passen. Was den letztern betrifft,
so hat ein Kritiker denen, die einen Blick thun wollen in das Ge-
heimniss der touche des Malers, gerathen, diese Bilder sich anzu-
sehn. Aber im Jahre 1626 war von dieser touche noch wenig
zu sehn.

Das besser gezeichnete und feiner gemalte von beiden,
also spätere, ist Nr. 1087. Das Kind fasst mit beiden Händen in
die Schürze voll Rosen. In ähnlicher Situation sieht man Damen
und Kinder in Parkansichten wandeln oder im Grase sitzen.
Ist es ein vornehmes Kind, das diese Rosen für sich erbeutet
hat, und bedeutet der beinahe wehmüthige, bittende Blick, dass

Die zwei kleinen Mädchen.
aus der Verbildung ihrer Zeit den Weg zu reiner Kindlichkeit
zurückzufinden suchten.

Ueberraschend ist, dass Velazquez der leichte, weiche, durch-
sichtige Pinsel des Kindermalers wie wenigen zu Gebote ge-
standen hat, dass er in der Kinderstube seine frischesten Lor-
beern gepflückt hat. Aber der strenge Charakteristiker war ja
auch der Maler der Luft und des Lichts.

Wol den wärmsten Beifall seiner Gönner hat er geerntet in
den Darstellungen des kleinen Prinzen Balthasar und dessen
spätgeborenen Schwesterchens. Die Schwärmerei der schwachen
Eltern und des Hofs, bezeugt durch zahllose Wiederholungen,
ist hier von der Nachwelt getheilt worden. Ihre Bildnisse wer-
den noch heute von Studirenden und Kopisten belagert, und die
allgemeine Stimme weiss von einem reizenden Blondinchen kaum
schmeichelhafteres zu sagen, als dass es wie eine Infantin des
Velazquez aussehe.

Allein diess waren Kinder teutonischen Stamms. Warum
haben wir nur ein Kind spanischer Race? „Die kleinen spanischen
Mädchen, sagt Mad. d’Aulnoy, sind weisser als Alabaster und so
vollkommen schön, dass man sie für Engel hält, freilich ändern
sie sich auffallend, geröstet von der Sonne, vergilbt von der
Luft.“

Die zwei Halbfiguren im Museum zu Madrid (Nr. 1087 und 88,
0,58 × 0,46) sehen sich so ähnlich, dass man sie auf jeden Fall
für Schwestern halten muss, — wenn sie nicht, wie fast gewiss,
eine und dieselbe Person vorstellen. Und da nun der Maler
zwei Töchter gehabt hat, die im Alter nur zwanzig Monate aus-
einanderlagen (1619 und 1621), so wäre es zu verwundern, wenn
die Namensucher diese zwei Kinder nicht für Francisca und
Ignacia erklärt hatten. Allein das Jahr 1626 will weder zu dem
Kostüm noch zu dem Stil passen. Was den letztern betrifft,
so hat ein Kritiker denen, die einen Blick thun wollen in das Ge-
heimniss der touche des Malers, gerathen, diese Bilder sich anzu-
sehn. Aber im Jahre 1626 war von dieser touche noch wenig
zu sehn.

Das besser gezeichnete und feiner gemalte von beiden,
also spätere, ist Nr. 1087. Das Kind fasst mit beiden Händen in
die Schürze voll Rosen. In ähnlicher Situation sieht man Damen
und Kinder in Parkansichten wandeln oder im Grase sitzen.
Ist es ein vornehmes Kind, das diese Rosen für sich erbeutet
hat, und bedeutet der beinahe wehmüthige, bittende Blick, dass

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[39/0059] Die zwei kleinen Mädchen. aus der Verbildung ihrer Zeit den Weg zu reiner Kindlichkeit zurückzufinden suchten. Ueberraschend ist, dass Velazquez der leichte, weiche, durch- sichtige Pinsel des Kindermalers wie wenigen zu Gebote ge- standen hat, dass er in der Kinderstube seine frischesten Lor- beern gepflückt hat. Aber der strenge Charakteristiker war ja auch der Maler der Luft und des Lichts. Wol den wärmsten Beifall seiner Gönner hat er geerntet in den Darstellungen des kleinen Prinzen Balthasar und dessen spätgeborenen Schwesterchens. Die Schwärmerei der schwachen Eltern und des Hofs, bezeugt durch zahllose Wiederholungen, ist hier von der Nachwelt getheilt worden. Ihre Bildnisse wer- den noch heute von Studirenden und Kopisten belagert, und die allgemeine Stimme weiss von einem reizenden Blondinchen kaum schmeichelhafteres zu sagen, als dass es wie eine Infantin des Velazquez aussehe. Allein diess waren Kinder teutonischen Stamms. Warum haben wir nur ein Kind spanischer Race? „Die kleinen spanischen Mädchen, sagt Mad. d’Aulnoy, sind weisser als Alabaster und so vollkommen schön, dass man sie für Engel hält, freilich ändern sie sich auffallend, geröstet von der Sonne, vergilbt von der Luft.“ Die zwei Halbfiguren im Museum zu Madrid (Nr. 1087 und 88, 0,58 × 0,46) sehen sich so ähnlich, dass man sie auf jeden Fall für Schwestern halten muss, — wenn sie nicht, wie fast gewiss, eine und dieselbe Person vorstellen. Und da nun der Maler zwei Töchter gehabt hat, die im Alter nur zwanzig Monate aus- einanderlagen (1619 und 1621), so wäre es zu verwundern, wenn die Namensucher diese zwei Kinder nicht für Francisca und Ignacia erklärt hatten. Allein das Jahr 1626 will weder zu dem Kostüm noch zu dem Stil passen. Was den letztern betrifft, so hat ein Kritiker denen, die einen Blick thun wollen in das Ge- heimniss der touche des Malers, gerathen, diese Bilder sich anzu- sehn. Aber im Jahre 1626 war von dieser touche noch wenig zu sehn. Das besser gezeichnete und feiner gemalte von beiden, also spätere, ist Nr. 1087. Das Kind fasst mit beiden Händen in die Schürze voll Rosen. In ähnlicher Situation sieht man Damen und Kinder in Parkansichten wandeln oder im Grase sitzen. Ist es ein vornehmes Kind, das diese Rosen für sich erbeutet hat, und bedeutet der beinahe wehmüthige, bittende Blick, dass

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/59>, abgerufen am 28.03.2024.