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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Frauenbildnisse.
Darstellung der Schönheit. Die Eifersucht gehörte mit zur
orientalischen Ausstattung spanischen Wesens. Wer sich in ihre
wunderliche Psychologie und Pathologie der Eifersucht (celos)
hineinstudirt hat, begreift, dass ein Kunstwerk, welches seinem
Gegenstande doch einen gewissen Allgemeinbesitz verleiht, dort
anstössig sein musste. Nathanael Hawthorne sagt von der kö-
niglichen Schönheit seiner Zenobia: "Das Bild ihrer Form und
ihres Gesichts hätte über die ganze Erde verbreitet werden
müssen. Es war ein Unrecht gegen die übrige Menschheit, sie
als Schauspiel für nur Wenige zurückzuhalten ... Sie hätte es
für ihre Pflicht achten müssen, unaufhörlich Malern und Bild-
hauern zu sitzen." ... Aber wie schwer mochte ein Spanier aus
Calderons Zeit einem Wesen, das Niemand mit gleichgiltigen
Augen ansehen konnte, dem Maler zu sitzen erlauben! Eine Reiz-
barkeit, wie sie in seinen und Tirso's Komödien geschildert wird,
die jeder Ueberlegung so unzugänglich ist, dass sie Huldigungen
zum Verbrechen des an ihnen ganz unschuldigen Gegenstands
macht und an diesem rächt, hätte sie Darstellungen ertragen
können, wie sie Tizian von Fürstinnen seiner Zeit wagen durfte?
Freilich war die Ehre dort von zarterer Konstitution. Schönheiten,
selbst von Stande, waren in Madrid steten Verfolgungen ausge-
setzt, und man hielt die Macht des Goldes für unwiderstehlich 1).
Die Frauen von Stande lebten in einer halb klösterlichen, halb
orientalischen Zurückgezogenheit 2), weder auf Promenaden noch
Corsos zeigten sie sich öffentlich, wie in Italien. Der Verkehr
ausser dem Hause beschränkte sich auf Besuche in Sänften, be-
sonders in reichen Nonnenklöstern; selbst die Messe pflegte man
zu Hause zu hören.

Da man jedoch in den Hofkreisen die europäischen Sitten
mitmachte, so wurden die Bildnisse wenigstens mit starken Vor-
richtungen der Abwehr ausgerüstet. Ihre Originale scheinen
den liebenswürdigen Schwächen des Geschlechts unzugänglich.
Jene Eigenschaften, welche nach den Dichtern wenigstens die
eine Hälfte weiblichen Reizes ausmachten, die Anmut Tirso's,

1) Camillo Guidi erzählt von einer solchen Dame: non resto esenta da quelle
persecuzioni che senza risparmio patiscono in questa corte le donne di acclamata
bellezza. (1643.)
2) Graf Ottonelli aus Modena sagt von der schönen Antonia, Tochter des
Ministers Haro, sie sei hinter den Mauern des väterlichen Palastes erzogen worden
con maggior riserva che in un monasterio. (1653.)

Frauenbildnisse.
Darstellung der Schönheit. Die Eifersucht gehörte mit zur
orientalischen Ausstattung spanischen Wesens. Wer sich in ihre
wunderliche Psychologie und Pathologie der Eifersucht (celos)
hineinstudirt hat, begreift, dass ein Kunstwerk, welches seinem
Gegenstande doch einen gewissen Allgemeinbesitz verleiht, dort
anstössig sein musste. Nathanael Hawthorne sagt von der kö-
niglichen Schönheit seiner Zenobia: „Das Bild ihrer Form und
ihres Gesichts hätte über die ganze Erde verbreitet werden
müssen. Es war ein Unrecht gegen die übrige Menschheit, sie
als Schauspiel für nur Wenige zurückzuhalten … Sie hätte es
für ihre Pflicht achten müssen, unaufhörlich Malern und Bild-
hauern zu sitzen.“ … Aber wie schwer mochte ein Spanier aus
Calderons Zeit einem Wesen, das Niemand mit gleichgiltigen
Augen ansehen konnte, dem Maler zu sitzen erlauben! Eine Reiz-
barkeit, wie sie in seinen und Tirso’s Komödien geschildert wird,
die jeder Ueberlegung so unzugänglich ist, dass sie Huldigungen
zum Verbrechen des an ihnen ganz unschuldigen Gegenstands
macht und an diesem rächt, hätte sie Darstellungen ertragen
können, wie sie Tizian von Fürstinnen seiner Zeit wagen durfte?
Freilich war die Ehre dort von zarterer Konstitution. Schönheiten,
selbst von Stande, waren in Madrid steten Verfolgungen ausge-
setzt, und man hielt die Macht des Goldes für unwiderstehlich 1).
Die Frauen von Stande lebten in einer halb klösterlichen, halb
orientalischen Zurückgezogenheit 2), weder auf Promenaden noch
Corsos zeigten sie sich öffentlich, wie in Italien. Der Verkehr
ausser dem Hause beschränkte sich auf Besuche in Sänften, be-
sonders in reichen Nonnenklöstern; selbst die Messe pflegte man
zu Hause zu hören.

Da man jedoch in den Hofkreisen die europäischen Sitten
mitmachte, so wurden die Bildnisse wenigstens mit starken Vor-
richtungen der Abwehr ausgerüstet. Ihre Originale scheinen
den liebenswürdigen Schwächen des Geschlechts unzugänglich.
Jene Eigenschaften, welche nach den Dichtern wenigstens die
eine Hälfte weiblichen Reizes ausmachten, die Anmut Tirso’s,

1) Camillo Guidi erzählt von einer solchen Dame: non restò esenta da quelle
persecuzioni che senza risparmio patiscono in questa corte le donne di acclamata
bellezza. (1643.)
2) Graf Ottonelli aus Modena sagt von der schönen Antonia, Tochter des
Ministers Haro, sie sei hinter den Mauern des väterlichen Palastes erzogen worden
con maggior riserva che in un monasterio. (1653.)
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[21/0041] Frauenbildnisse. Darstellung der Schönheit. Die Eifersucht gehörte mit zur orientalischen Ausstattung spanischen Wesens. Wer sich in ihre wunderliche Psychologie und Pathologie der Eifersucht (celos) hineinstudirt hat, begreift, dass ein Kunstwerk, welches seinem Gegenstande doch einen gewissen Allgemeinbesitz verleiht, dort anstössig sein musste. Nathanael Hawthorne sagt von der kö- niglichen Schönheit seiner Zenobia: „Das Bild ihrer Form und ihres Gesichts hätte über die ganze Erde verbreitet werden müssen. Es war ein Unrecht gegen die übrige Menschheit, sie als Schauspiel für nur Wenige zurückzuhalten … Sie hätte es für ihre Pflicht achten müssen, unaufhörlich Malern und Bild- hauern zu sitzen.“ … Aber wie schwer mochte ein Spanier aus Calderons Zeit einem Wesen, das Niemand mit gleichgiltigen Augen ansehen konnte, dem Maler zu sitzen erlauben! Eine Reiz- barkeit, wie sie in seinen und Tirso’s Komödien geschildert wird, die jeder Ueberlegung so unzugänglich ist, dass sie Huldigungen zum Verbrechen des an ihnen ganz unschuldigen Gegenstands macht und an diesem rächt, hätte sie Darstellungen ertragen können, wie sie Tizian von Fürstinnen seiner Zeit wagen durfte? Freilich war die Ehre dort von zarterer Konstitution. Schönheiten, selbst von Stande, waren in Madrid steten Verfolgungen ausge- setzt, und man hielt die Macht des Goldes für unwiderstehlich 1). Die Frauen von Stande lebten in einer halb klösterlichen, halb orientalischen Zurückgezogenheit 2), weder auf Promenaden noch Corsos zeigten sie sich öffentlich, wie in Italien. Der Verkehr ausser dem Hause beschränkte sich auf Besuche in Sänften, be- sonders in reichen Nonnenklöstern; selbst die Messe pflegte man zu Hause zu hören. Da man jedoch in den Hofkreisen die europäischen Sitten mitmachte, so wurden die Bildnisse wenigstens mit starken Vor- richtungen der Abwehr ausgerüstet. Ihre Originale scheinen den liebenswürdigen Schwächen des Geschlechts unzugänglich. Jene Eigenschaften, welche nach den Dichtern wenigstens die eine Hälfte weiblichen Reizes ausmachten, die Anmut Tirso’s, 1) Camillo Guidi erzählt von einer solchen Dame: non restò esenta da quelle persecuzioni che senza risparmio patiscono in questa corte le donne di acclamata bellezza. (1643.) 2) Graf Ottonelli aus Modena sagt von der schönen Antonia, Tochter des Ministers Haro, sie sei hinter den Mauern des väterlichen Palastes erzogen worden con maggior riserva che in un monasterio. (1653.)

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/41>, abgerufen am 28.03.2024.