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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
Ebenen liegt eine Weihe und Feier, in welcher die Natur ihre
Göttlichkeit wieder an sich genommen hat, ohne der bunten Ge-
staltenwelt zu bedürfen, deren Niedergang Schiller beredt be-
klagte.

Noch wilder, noch verwandter der Thebais sind die Des-
poblados Castiliens und Estremaduras. Ueberragt von der Sierra,
welche den Ort vor der Welt draussen hütet, liegt ein enges
Thal, das ein Quell zur Oase umgeschaffen hat. Diess grüne
Thal mit dem Gebüsch und den aromatischen Kräutern seiner
Abhänge mündet in eine enge, von überhangenden Kalkstein-
massen beschattete Schlucht, wie ein Engpass, der aus der
sonnigen Welt draussen in die unzugängliche Burg der Ent-
sagung führt, von der ein Ausgang nur ins Jenseits offen steht.
Die vorderste Masse, wie ein Stück Cyklopenmauer, raubt uns
zwei Drittel der Landschaft. In ihr liegt die Höhle des Heiligen,
die herabsickernde Feuchtigkeit hat dem Fels einen grünlichen
Ueberzug gegeben. Der Maler wollte, ohne sich um den orien-
talischen Charakter Sorge zu machen, wie immer der Leben-
digkeit zu Liebe Motive einer ihm bekannten Gegend benutzen.
In den meilenlangen Kalksteinwänden des Thals, durch das er
oft von den Forsten Balsain's nach Segovia geritten, finden sich
oft weiche Sand- und Thonschichten, die das Wasser ausspült
und in Höhlen verwandelt. Sie umgeben das blühende Thal des
Flüsschens Eresma, in das der Bach Clamores mündet. In einer
solchen Höhle war es, wohin S. Fruto, der Patron von Segovia,
nachdem er alle seine Habe den Armen gegeben, sich zurück-
zog, dort beschloss er sein Leben, hierher sollten sich in der
maurischen Zeit die mozarabischen Christen geflüchtet haben.
Die Palme mit deren Blättern Paulus sich kleidete und die
eigentlich beide Greise beschatten sollte, ist hoch oben in
der Ecke angebracht, wie ein Emblem. Ihre Stelle vertritt eine
schlanke, dünnbelaubte Erle, von Schlingpflanzen umrankt und
von Brombeersträuchern umgeben, die alle Pfade im Norden
Spaniens säumen. Darüber wölkt sich ein hoher, von leichtem
Gewölk durchzogener Himmel, von dem eine Gras und Gehirn
versengende Sonne ihre Strahlen sendet. Ein Wüstenhimmel,
der die Vorstellung des Unendlichen, das Endliche zu Nichts er-
drückend, in den Menschengeist pflanzt. Diess übermächtige
Firmament giebt den Raumverhältnissen des Bilds den Charakter.

Die Malweise ist von unsäglichem Reiz. So schreibt nur eine
Hand die vierzig Jahre den Pinsel geführt. Es ist das dünnst-

Siebentes Buch.
Ebenen liegt eine Weihe und Feier, in welcher die Natur ihre
Göttlichkeit wieder an sich genommen hat, ohne der bunten Ge-
staltenwelt zu bedürfen, deren Niedergang Schiller beredt be-
klagte.

Noch wilder, noch verwandter der Thebais sind die Des-
poblados Castiliens und Estremaduras. Ueberragt von der Sierra,
welche den Ort vor der Welt draussen hütet, liegt ein enges
Thal, das ein Quell zur Oase umgeschaffen hat. Diess grüne
Thal mit dem Gebüsch und den aromatischen Kräutern seiner
Abhänge mündet in eine enge, von überhangenden Kalkstein-
massen beschattete Schlucht, wie ein Engpass, der aus der
sonnigen Welt draussen in die unzugängliche Burg der Ent-
sagung führt, von der ein Ausgang nur ins Jenseits offen steht.
Die vorderste Masse, wie ein Stück Cyklopenmauer, raubt uns
zwei Drittel der Landschaft. In ihr liegt die Höhle des Heiligen,
die herabsickernde Feuchtigkeit hat dem Fels einen grünlichen
Ueberzug gegeben. Der Maler wollte, ohne sich um den orien-
talischen Charakter Sorge zu machen, wie immer der Leben-
digkeit zu Liebe Motive einer ihm bekannten Gegend benutzen.
In den meilenlangen Kalksteinwänden des Thals, durch das er
oft von den Forsten Balsain’s nach Segovia geritten, finden sich
oft weiche Sand- und Thonschichten, die das Wasser ausspült
und in Höhlen verwandelt. Sie umgeben das blühende Thal des
Flüsschens Eresma, in das der Bach Clamores mündet. In einer
solchen Höhle war es, wohin S. Fruto, der Patron von Segovia,
nachdem er alle seine Habe den Armen gegeben, sich zurück-
zog, dort beschloss er sein Leben, hierher sollten sich in der
maurischen Zeit die mozarabischen Christen geflüchtet haben.
Die Palme mit deren Blättern Paulus sich kleidete und die
eigentlich beide Greise beschatten sollte, ist hoch oben in
der Ecke angebracht, wie ein Emblem. Ihre Stelle vertritt eine
schlanke, dünnbelaubte Erle, von Schlingpflanzen umrankt und
von Brombeersträuchern umgeben, die alle Pfade im Norden
Spaniens säumen. Darüber wölkt sich ein hoher, von leichtem
Gewölk durchzogener Himmel, von dem eine Gras und Gehirn
versengende Sonne ihre Strahlen sendet. Ein Wüstenhimmel,
der die Vorstellung des Unendlichen, das Endliche zu Nichts er-
drückend, in den Menschengeist pflanzt. Diess übermächtige
Firmament giebt den Raumverhältnissen des Bilds den Charakter.

Die Malweise ist von unsäglichem Reiz. So schreibt nur eine
Hand die vierzig Jahre den Pinsel geführt. Es ist das dünnst-

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[380/0406] Siebentes Buch. Ebenen liegt eine Weihe und Feier, in welcher die Natur ihre Göttlichkeit wieder an sich genommen hat, ohne der bunten Ge- staltenwelt zu bedürfen, deren Niedergang Schiller beredt be- klagte. Noch wilder, noch verwandter der Thebais sind die Des- poblados Castiliens und Estremaduras. Ueberragt von der Sierra, welche den Ort vor der Welt draussen hütet, liegt ein enges Thal, das ein Quell zur Oase umgeschaffen hat. Diess grüne Thal mit dem Gebüsch und den aromatischen Kräutern seiner Abhänge mündet in eine enge, von überhangenden Kalkstein- massen beschattete Schlucht, wie ein Engpass, der aus der sonnigen Welt draussen in die unzugängliche Burg der Ent- sagung führt, von der ein Ausgang nur ins Jenseits offen steht. Die vorderste Masse, wie ein Stück Cyklopenmauer, raubt uns zwei Drittel der Landschaft. In ihr liegt die Höhle des Heiligen, die herabsickernde Feuchtigkeit hat dem Fels einen grünlichen Ueberzug gegeben. Der Maler wollte, ohne sich um den orien- talischen Charakter Sorge zu machen, wie immer der Leben- digkeit zu Liebe Motive einer ihm bekannten Gegend benutzen. In den meilenlangen Kalksteinwänden des Thals, durch das er oft von den Forsten Balsain’s nach Segovia geritten, finden sich oft weiche Sand- und Thonschichten, die das Wasser ausspült und in Höhlen verwandelt. Sie umgeben das blühende Thal des Flüsschens Eresma, in das der Bach Clamores mündet. In einer solchen Höhle war es, wohin S. Fruto, der Patron von Segovia, nachdem er alle seine Habe den Armen gegeben, sich zurück- zog, dort beschloss er sein Leben, hierher sollten sich in der maurischen Zeit die mozarabischen Christen geflüchtet haben. Die Palme mit deren Blättern Paulus sich kleidete und die eigentlich beide Greise beschatten sollte, ist hoch oben in der Ecke angebracht, wie ein Emblem. Ihre Stelle vertritt eine schlanke, dünnbelaubte Erle, von Schlingpflanzen umrankt und von Brombeersträuchern umgeben, die alle Pfade im Norden Spaniens säumen. Darüber wölkt sich ein hoher, von leichtem Gewölk durchzogener Himmel, von dem eine Gras und Gehirn versengende Sonne ihre Strahlen sendet. Ein Wüstenhimmel, der die Vorstellung des Unendlichen, das Endliche zu Nichts er- drückend, in den Menschengeist pflanzt. Diess übermächtige Firmament giebt den Raumverhältnissen des Bilds den Charakter. Die Malweise ist von unsäglichem Reiz. So schreibt nur eine Hand die vierzig Jahre den Pinsel geführt. Es ist das dünnst-

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/406>, abgerufen am 29.03.2024.