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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Krönung der Maria.
nen; indess sind grade solche Handbewegungen unter dem spani-
schen Volk verbreitet, und oft auch im gewöhnlichsten Gespräch
zu beobachten. Die Hände sind ferner vollkommen schön, von
reizender Linienbiegung und zarter Beweglichkeit. Man findet sie
ebenso bei jenem geistvollen Darsteller spanischen Wesens, Do-
menico Greco. Sieht man sich nun noch einmal um, so wird man
Anklänge an diesen Maler auch in Gruppirung und Draperie,
in Colorit und Lichtern erkennen.

Der Christus erinnert an den des Krucifix von S. Placido;
wieder fallen die langen dunklen Locken, rechts hinters Ohr ge-
strichen, an der linken Seite über das Gesicht herab, als Grund
für die edle Profillinie. Der Blick ist schwermüthig ernst. Man
könnte die vorgebeugte Gestalt ohne weiteres in ein Verhör vor
dem Hohenpriester versetzen.

In dem "Alten der Tage", wie Jehova im Buch Daniel
heisst, hat er seinem realistischen Sinn keine Schranken auferlegt.
Während Pacheco hier einen ernsten schönen Alten, keinen Kahl-
kopf (Arte II, 178) forderte, wählte er ein greisenhaftes Modell,
dasselbe welches er passender hernach für Paul den Eremiten
verwandte. Geröthete Augenlider, zahnloser Mund, kein seelischer
Hauch in den verknöcherten Zügen.

Am wunderlichsten hat der Maler experimentirt in Gewan-
dung und Farbe. In Gemälden der Dreifaltigkeit pflegte man
sonst (z. B. im Prado 990) die erste Person in hohepriester-
lichem Mantel, Christus als Auferstandenen darzustellen, halb-
nackt, mit sichtbarer Seitenwunde. Hier haben beide lange und
weite Tuniken und Mäntel angelegt, die aber zu schwere und
faltenreiche Massen geben, mit zu sehr gehäuften Motiven für die
beabsichtigte feierliche Wirkung. Man glaubt die mühsamen
Versuche am Gliedermann zu sehn; denn solche Mäntel gab es
in Spanien nicht und die Aehnlichkeit mit der straffen Capa
musste als profan vermieden werden. Die Gewandung der Ma-
donna ist besser.

Diese ungeheuren Tuchmassen haben drei Noten: die langen
Röcke der Männer violett, ihre Mäntel purpurartiges Karmin,
die Frauenkleider wie herkömmlich Roth und Blau. Violett
ist durch blaue Lasuren über dem Karmin gewonnen. Eine
Triade die wohl ohne Beispiel in der neuern Malerei dasteht.
Velazquez bevorzugte diese in der kalten und dunklen Seite des
Spectrums liegenden Farben ohne Zweifel, um den Grundton feier-
lichen Ernstes zu bekommen; die kirchliche Symbolik würde sie

Die Krönung der Maria.
nen; indess sind grade solche Handbewegungen unter dem spani-
schen Volk verbreitet, und oft auch im gewöhnlichsten Gespräch
zu beobachten. Die Hände sind ferner vollkommen schön, von
reizender Linienbiegung und zarter Beweglichkeit. Man findet sie
ebenso bei jenem geistvollen Darsteller spanischen Wesens, Do-
menico Greco. Sieht man sich nun noch einmal um, so wird man
Anklänge an diesen Maler auch in Gruppirung und Draperie,
in Colorit und Lichtern erkennen.

Der Christus erinnert an den des Krucifix von S. Placido;
wieder fallen die langen dunklen Locken, rechts hinters Ohr ge-
strichen, an der linken Seite über das Gesicht herab, als Grund
für die edle Profillinie. Der Blick ist schwermüthig ernst. Man
könnte die vorgebeugte Gestalt ohne weiteres in ein Verhör vor
dem Hohenpriester versetzen.

In dem „Alten der Tage“, wie Jehova im Buch Daniel
heisst, hat er seinem realistischen Sinn keine Schranken auferlegt.
Während Pacheco hier einen ernsten schönen Alten, keinen Kahl-
kopf (Arte II, 178) forderte, wählte er ein greisenhaftes Modell,
dasselbe welches er passender hernach für Paul den Eremiten
verwandte. Geröthete Augenlider, zahnloser Mund, kein seelischer
Hauch in den verknöcherten Zügen.

Am wunderlichsten hat der Maler experimentirt in Gewan-
dung und Farbe. In Gemälden der Dreifaltigkeit pflegte man
sonst (z. B. im Prado 990) die erste Person in hohepriester-
lichem Mantel, Christus als Auferstandenen darzustellen, halb-
nackt, mit sichtbarer Seitenwunde. Hier haben beide lange und
weite Tuniken und Mäntel angelegt, die aber zu schwere und
faltenreiche Massen geben, mit zu sehr gehäuften Motiven für die
beabsichtigte feierliche Wirkung. Man glaubt die mühsamen
Versuche am Gliedermann zu sehn; denn solche Mäntel gab es
in Spanien nicht und die Aehnlichkeit mit der straffen Capa
musste als profan vermieden werden. Die Gewandung der Ma-
donna ist besser.

Diese ungeheuren Tuchmassen haben drei Noten: die langen
Röcke der Männer violett, ihre Mäntel purpurartiges Karmin,
die Frauenkleider wie herkömmlich Roth und Blau. Violett
ist durch blaue Lasuren über dem Karmin gewonnen. Eine
Triade die wohl ohne Beispiel in der neuern Malerei dasteht.
Velazquez bevorzugte diese in der kalten und dunklen Seite des
Spectrums liegenden Farben ohne Zweifel, um den Grundton feier-
lichen Ernstes zu bekommen; die kirchliche Symbolik würde sie

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[375/0399] Die Krönung der Maria. nen; indess sind grade solche Handbewegungen unter dem spani- schen Volk verbreitet, und oft auch im gewöhnlichsten Gespräch zu beobachten. Die Hände sind ferner vollkommen schön, von reizender Linienbiegung und zarter Beweglichkeit. Man findet sie ebenso bei jenem geistvollen Darsteller spanischen Wesens, Do- menico Greco. Sieht man sich nun noch einmal um, so wird man Anklänge an diesen Maler auch in Gruppirung und Draperie, in Colorit und Lichtern erkennen. Der Christus erinnert an den des Krucifix von S. Placido; wieder fallen die langen dunklen Locken, rechts hinters Ohr ge- strichen, an der linken Seite über das Gesicht herab, als Grund für die edle Profillinie. Der Blick ist schwermüthig ernst. Man könnte die vorgebeugte Gestalt ohne weiteres in ein Verhör vor dem Hohenpriester versetzen. In dem „Alten der Tage“, wie Jehova im Buch Daniel heisst, hat er seinem realistischen Sinn keine Schranken auferlegt. Während Pacheco hier einen ernsten schönen Alten, keinen Kahl- kopf (Arte II, 178) forderte, wählte er ein greisenhaftes Modell, dasselbe welches er passender hernach für Paul den Eremiten verwandte. Geröthete Augenlider, zahnloser Mund, kein seelischer Hauch in den verknöcherten Zügen. Am wunderlichsten hat der Maler experimentirt in Gewan- dung und Farbe. In Gemälden der Dreifaltigkeit pflegte man sonst (z. B. im Prado 990) die erste Person in hohepriester- lichem Mantel, Christus als Auferstandenen darzustellen, halb- nackt, mit sichtbarer Seitenwunde. Hier haben beide lange und weite Tuniken und Mäntel angelegt, die aber zu schwere und faltenreiche Massen geben, mit zu sehr gehäuften Motiven für die beabsichtigte feierliche Wirkung. Man glaubt die mühsamen Versuche am Gliedermann zu sehn; denn solche Mäntel gab es in Spanien nicht und die Aehnlichkeit mit der straffen Capa musste als profan vermieden werden. Die Gewandung der Ma- donna ist besser. Diese ungeheuren Tuchmassen haben drei Noten: die langen Röcke der Männer violett, ihre Mäntel purpurartiges Karmin, die Frauenkleider wie herkömmlich Roth und Blau. Violett ist durch blaue Lasuren über dem Karmin gewonnen. Eine Triade die wohl ohne Beispiel in der neuern Malerei dasteht. Velazquez bevorzugte diese in der kalten und dunklen Seite des Spectrums liegenden Farben ohne Zweifel, um den Grundton feier- lichen Ernstes zu bekommen; die kirchliche Symbolik würde sie

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/399>, abgerufen am 18.04.2024.