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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
dazwischen, ausklingend in dem Köpfchen und in dem ausge-
streckten, nur skizzirten Fuss: dieser Kontour giebt einen unver-
gleichlichen Eindruck von Schlankheit, Geschmeidigkeit und anmu-
thiger Beweglichkeit. Es ist ein orientalischer Hauch darin, wie
aus dem westöstlichen Divan:

Wie Wurzelfasern schleicht ihr Fuss
und buhlet mit dem Boden.

Der Bau dieser zierlichen Gestalt weicht von veneziani-
schem Geschmack ab, nicht aber die Modellirung in vollem
Licht, -- nur einige schmale Randschatten mit leuchtenden
Reflexen finden sich an den Einbiegungen der untern Kon-
tour. Ja in dem Einklang von Zartheit und Bestimmtheit der
Undulationen innerer Flächen ist sie jenen überlegen. Nur ist
der Ton erheblich kühler, an die Stelle der gelblich warmen
Hautfarbe tritt ein helles Karmin. Dieser Ton ist wahrer als
jener, aber die Farben der Umgebung: der gesättigte Purpur
des Vorhangs, das hellrosa Band des Spiegels, die blaue
Schärpe des Knaben stimmen nicht recht dazu. Kein Vene-
zianer würde in die Nachbarschaft des Nackten jenes schwarze
Tuch gebracht haben, das die untere Linie entlang in einer
flachen Kreislinie herabhängt. Es sollte wohl die Helle des
Incarnats kontrastlich heben und von dem weissen Leinentuch
trennen. Es ist daher nicht ganz zutreffend, wenn W. Burger,
der übrigens das Gemälde in Manchester (aus Prüderie) sehr
hoch gehängt sah, behauptet, in Qualität der Farbe und Har-
monie könnten wenige so distinguirte Velazquez genannt werden.

Dieses Gemälde würde seinem damals verstorbenen Lehrer
Pacheco wenig Freude gemacht haben, der rieth, weibliche Mo-
delle nur für Antlitz und Hände zu benutzen und für das übrige
sich mit plastischen und zeichnenden Quellen zweiten Rangs zu
behelfen (El Arte I, 354 f.). Velazquez ist ja auch der einzige
unter den frühern Spaniern, welcher sich an die Teufelin Venus
gewagt hat, obwol auch die dortigen Maler seit Vargas ge-
wusst haben, dass ihr Können sich eigentlich im Nackten, diesem
"Depositum aller körperlichen Vollkommenheiten" zu zeigen
habe, und dazu fast nur in Mythologien Gelegenheit gegeben
sei. Ribera hat einmal den Tod des Adonis gemalt, aber seine
ganz bekleidete Göttin könnte ebensogut eine Magdalena vor-
stellen 1). Ihre zahlreichen Darstellungen in den königlichen

1) Am Ende des siebzehnten Jahrhunderts in Buen Retiro; vielleicht das jetzt
in der Galerie Corsini zu Rom befindliche Gemälde.

Siebentes Buch.
dazwischen, ausklingend in dem Köpfchen und in dem ausge-
streckten, nur skizzirten Fuss: dieser Kontour giebt einen unver-
gleichlichen Eindruck von Schlankheit, Geschmeidigkeit und anmu-
thiger Beweglichkeit. Es ist ein orientalischer Hauch darin, wie
aus dem westöstlichen Divan:

Wie Wurzelfasern schleicht ihr Fuss
und buhlet mit dem Boden.

Der Bau dieser zierlichen Gestalt weicht von veneziani-
schem Geschmack ab, nicht aber die Modellirung in vollem
Licht, — nur einige schmale Randschatten mit leuchtenden
Reflexen finden sich an den Einbiegungen der untern Kon-
tour. Ja in dem Einklang von Zartheit und Bestimmtheit der
Undulationen innerer Flächen ist sie jenen überlegen. Nur ist
der Ton erheblich kühler, an die Stelle der gelblich warmen
Hautfarbe tritt ein helles Karmin. Dieser Ton ist wahrer als
jener, aber die Farben der Umgebung: der gesättigte Purpur
des Vorhangs, das hellrosa Band des Spiegels, die blaue
Schärpe des Knaben stimmen nicht recht dazu. Kein Vene-
zianer würde in die Nachbarschaft des Nackten jenes schwarze
Tuch gebracht haben, das die untere Linie entlang in einer
flachen Kreislinie herabhängt. Es sollte wohl die Helle des
Incarnats kontrastlich heben und von dem weissen Leinentuch
trennen. Es ist daher nicht ganz zutreffend, wenn W. Burger,
der übrigens das Gemälde in Manchester (aus Prüderie) sehr
hoch gehängt sah, behauptet, in Qualität der Farbe und Har-
monie könnten wenige so distinguirte Velazquez genannt werden.

Dieses Gemälde würde seinem damals verstorbenen Lehrer
Pacheco wenig Freude gemacht haben, der rieth, weibliche Mo-
delle nur für Antlitz und Hände zu benutzen und für das übrige
sich mit plastischen und zeichnenden Quellen zweiten Rangs zu
behelfen (El Arte I, 354 f.). Velazquez ist ja auch der einzige
unter den frühern Spaniern, welcher sich an die Teufelin Venus
gewagt hat, obwol auch die dortigen Maler seit Vargas ge-
wusst haben, dass ihr Können sich eigentlich im Nackten, diesem
„Depositum aller körperlichen Vollkommenheiten“ zu zeigen
habe, und dazu fast nur in Mythologien Gelegenheit gegeben
sei. Ribera hat einmal den Tod des Adonis gemalt, aber seine
ganz bekleidete Göttin könnte ebensogut eine Magdalena vor-
stellen 1). Ihre zahlreichen Darstellungen in den königlichen

1) Am Ende des siebzehnten Jahrhunderts in Buen Retiro; vielleicht das jetzt
in der Galerie Corsini zu Rom befindliche Gemälde.
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[370/0394] Siebentes Buch. dazwischen, ausklingend in dem Köpfchen und in dem ausge- streckten, nur skizzirten Fuss: dieser Kontour giebt einen unver- gleichlichen Eindruck von Schlankheit, Geschmeidigkeit und anmu- thiger Beweglichkeit. Es ist ein orientalischer Hauch darin, wie aus dem westöstlichen Divan: Wie Wurzelfasern schleicht ihr Fuss und buhlet mit dem Boden. Der Bau dieser zierlichen Gestalt weicht von veneziani- schem Geschmack ab, nicht aber die Modellirung in vollem Licht, — nur einige schmale Randschatten mit leuchtenden Reflexen finden sich an den Einbiegungen der untern Kon- tour. Ja in dem Einklang von Zartheit und Bestimmtheit der Undulationen innerer Flächen ist sie jenen überlegen. Nur ist der Ton erheblich kühler, an die Stelle der gelblich warmen Hautfarbe tritt ein helles Karmin. Dieser Ton ist wahrer als jener, aber die Farben der Umgebung: der gesättigte Purpur des Vorhangs, das hellrosa Band des Spiegels, die blaue Schärpe des Knaben stimmen nicht recht dazu. Kein Vene- zianer würde in die Nachbarschaft des Nackten jenes schwarze Tuch gebracht haben, das die untere Linie entlang in einer flachen Kreislinie herabhängt. Es sollte wohl die Helle des Incarnats kontrastlich heben und von dem weissen Leinentuch trennen. Es ist daher nicht ganz zutreffend, wenn W. Burger, der übrigens das Gemälde in Manchester (aus Prüderie) sehr hoch gehängt sah, behauptet, in Qualität der Farbe und Har- monie könnten wenige so distinguirte Velazquez genannt werden. Dieses Gemälde würde seinem damals verstorbenen Lehrer Pacheco wenig Freude gemacht haben, der rieth, weibliche Mo- delle nur für Antlitz und Hände zu benutzen und für das übrige sich mit plastischen und zeichnenden Quellen zweiten Rangs zu behelfen (El Arte I, 354 f.). Velazquez ist ja auch der einzige unter den frühern Spaniern, welcher sich an die Teufelin Venus gewagt hat, obwol auch die dortigen Maler seit Vargas ge- wusst haben, dass ihr Können sich eigentlich im Nackten, diesem „Depositum aller körperlichen Vollkommenheiten“ zu zeigen habe, und dazu fast nur in Mythologien Gelegenheit gegeben sei. Ribera hat einmal den Tod des Adonis gemalt, aber seine ganz bekleidete Göttin könnte ebensogut eine Magdalena vor- stellen 1). Ihre zahlreichen Darstellungen in den königlichen 1) Am Ende des siebzehnten Jahrhunderts in Buen Retiro; vielleicht das jetzt in der Galerie Corsini zu Rom befindliche Gemälde.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/394>, abgerufen am 19.04.2024.