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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Aesop und Menipp.
er, dem es doch an Modellen für Verwachsene nicht fehlte, ver-
gessen, dass Aesop ein Buckliger war? Vielleicht bezeichnen die
kurzgeschnittenen grauen Haare und die Bartlosigkeit den Sklaven
des Alterthums (1,79 x 0,94).

Ein bärtiger Mann von ähnlichem Alter steht in einer Zelle,
deren einziges Geräth der Wasserkrug ist, ruhend auf einem über
zwei abgerundeten Kieseln balancirten Brett, vielleicht eine
statische Leistung, auf die der Besitzer stolz ist. Dagegen
liegen zu seinen Füssen einige Werthgegenstände möglicher
Weise: ein aufgeschlagener Foliant, eine Rolle und angelehnt
ein Oktavbändchen in Pergament. Mit der Würde des spa-
nischen Bettlers hat er den schwarzen Mantel über die Schulter
geworfen; um das Gesicht hängt ein völlig schlapper Filzhut,
dessen Krempe über der Stirn aufgesteckt ist. Er steht fast im
Profil, wendet sich aber mit einem halb cynisch-vertraulichen,
halb kriechenden, vielleicht auch höhnischen Blick nach vorn.
Ist es ein rothäugiger Trödler, dem hinausgehenden Licenciaten
nachsehend, welchem er eine falsche Kaisermünze verkauft hat?
Oder selbst ein Liebhaber, dem ein Canonicus vergebens Gold
für eine Incunabel bot? Nein, die Bände an der Erde sind Com-
pendien der von ihm verachteten Schulweisheit, die er liest wie
Swift schlechte Bücher zur Nahrung seiner satirischen Galle;
denn oben lesen wir: MOENIPPVS. Velazquez ist also wol ein-
mal eine Uebersetzung des Lucian in die Hände gefallen, dieses
klassischen Vorläufers des Cervantes. Der Cyniker der Todten-
gespräche, der einzige Lacher in Charon's Nachen, dessen Dürf-
tigkeit nicht einmal den Obolus erübrigt hatte, der dem Pytha-
goras zum Trotz von Bohnen lebte, dieser freche Verhöhner der
Götter und Helden blieb ihm im Gedächtniss haften, er glaubte
ihn wiederzuerkennen in einem Trödler des rastro von Madrid.

Beide Philosophen befanden sich früher in der Torre de la pa-
rada, wo sie im Inventar von 1703 erwähnt werden. Wahrschein-
lich war der Künstler angeregt worden durch die ebenda aufge-
hängten Figuren des Heraklit und Demokrit, welche Rubens im
Jahre 1603 aus Mantua mitgebracht hatte. Der alte Gegensatz also
der beiden pessimistischen Narren, dessen der die menschliche
Narrheit beweint, und dessen der sie belacht. In der That ist
ein durchgeführter Kontrast beabsichtigt: Würde und Vernach-
lässigung; Appetit (er sucht im Sack nach seinen Bohnen) und
Magenkatarrh; kurze krause Borstenhaare und lange weich ge-
wellte Mähne; das unruhig leuchtende Auge des aufdringlichen

Aesop und Menipp.
er, dem es doch an Modellen für Verwachsene nicht fehlte, ver-
gessen, dass Aesop ein Buckliger war? Vielleicht bezeichnen die
kurzgeschnittenen grauen Haare und die Bartlosigkeit den Sklaven
des Alterthums (1,79 × 0,94).

Ein bärtiger Mann von ähnlichem Alter steht in einer Zelle,
deren einziges Geräth der Wasserkrug ist, ruhend auf einem über
zwei abgerundeten Kieseln balancirten Brett, vielleicht eine
statische Leistung, auf die der Besitzer stolz ist. Dagegen
liegen zu seinen Füssen einige Werthgegenstände möglicher
Weise: ein aufgeschlagener Foliant, eine Rolle und angelehnt
ein Oktavbändchen in Pergament. Mit der Würde des spa-
nischen Bettlers hat er den schwarzen Mantel über die Schulter
geworfen; um das Gesicht hängt ein völlig schlapper Filzhut,
dessen Krempe über der Stirn aufgesteckt ist. Er steht fast im
Profil, wendet sich aber mit einem halb cynisch-vertraulichen,
halb kriechenden, vielleicht auch höhnischen Blick nach vorn.
Ist es ein rothäugiger Trödler, dem hinausgehenden Licenciaten
nachsehend, welchem er eine falsche Kaisermünze verkauft hat?
Oder selbst ein Liebhaber, dem ein Canonicus vergebens Gold
für eine Incunabel bot? Nein, die Bände an der Erde sind Com-
pendien der von ihm verachteten Schulweisheit, die er liest wie
Swift schlechte Bücher zur Nahrung seiner satirischen Galle;
denn oben lesen wir: MOENIPPVS. Velazquez ist also wol ein-
mal eine Uebersetzung des Lucian in die Hände gefallen, dieses
klassischen Vorläufers des Cervantes. Der Cyniker der Todten-
gespräche, der einzige Lacher in Charon’s Nachen, dessen Dürf-
tigkeit nicht einmal den Obolus erübrigt hatte, der dem Pytha-
goras zum Trotz von Bohnen lebte, dieser freche Verhöhner der
Götter und Helden blieb ihm im Gedächtniss haften, er glaubte
ihn wiederzuerkennen in einem Trödler des rastro von Madrid.

Beide Philosophen befanden sich früher in der Torre de la pa-
rada, wo sie im Inventar von 1703 erwähnt werden. Wahrschein-
lich war der Künstler angeregt worden durch die ebenda aufge-
hängten Figuren des Heraklit und Demokrit, welche Rubens im
Jahre 1603 aus Mantua mitgebracht hatte. Der alte Gegensatz also
der beiden pessimistischen Narren, dessen der die menschliche
Narrheit beweint, und dessen der sie belacht. In der That ist
ein durchgeführter Kontrast beabsichtigt: Würde und Vernach-
lässigung; Appetit (er sucht im Sack nach seinen Bohnen) und
Magenkatarrh; kurze krause Borstenhaare und lange weich ge-
wellte Mähne; das unruhig leuchtende Auge des aufdringlichen

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[359/0383] Aesop und Menipp. er, dem es doch an Modellen für Verwachsene nicht fehlte, ver- gessen, dass Aesop ein Buckliger war? Vielleicht bezeichnen die kurzgeschnittenen grauen Haare und die Bartlosigkeit den Sklaven des Alterthums (1,79 × 0,94). Ein bärtiger Mann von ähnlichem Alter steht in einer Zelle, deren einziges Geräth der Wasserkrug ist, ruhend auf einem über zwei abgerundeten Kieseln balancirten Brett, vielleicht eine statische Leistung, auf die der Besitzer stolz ist. Dagegen liegen zu seinen Füssen einige Werthgegenstände möglicher Weise: ein aufgeschlagener Foliant, eine Rolle und angelehnt ein Oktavbändchen in Pergament. Mit der Würde des spa- nischen Bettlers hat er den schwarzen Mantel über die Schulter geworfen; um das Gesicht hängt ein völlig schlapper Filzhut, dessen Krempe über der Stirn aufgesteckt ist. Er steht fast im Profil, wendet sich aber mit einem halb cynisch-vertraulichen, halb kriechenden, vielleicht auch höhnischen Blick nach vorn. Ist es ein rothäugiger Trödler, dem hinausgehenden Licenciaten nachsehend, welchem er eine falsche Kaisermünze verkauft hat? Oder selbst ein Liebhaber, dem ein Canonicus vergebens Gold für eine Incunabel bot? Nein, die Bände an der Erde sind Com- pendien der von ihm verachteten Schulweisheit, die er liest wie Swift schlechte Bücher zur Nahrung seiner satirischen Galle; denn oben lesen wir: MOENIPPVS. Velazquez ist also wol ein- mal eine Uebersetzung des Lucian in die Hände gefallen, dieses klassischen Vorläufers des Cervantes. Der Cyniker der Todten- gespräche, der einzige Lacher in Charon’s Nachen, dessen Dürf- tigkeit nicht einmal den Obolus erübrigt hatte, der dem Pytha- goras zum Trotz von Bohnen lebte, dieser freche Verhöhner der Götter und Helden blieb ihm im Gedächtniss haften, er glaubte ihn wiederzuerkennen in einem Trödler des rastro von Madrid. Beide Philosophen befanden sich früher in der Torre de la pa- rada, wo sie im Inventar von 1703 erwähnt werden. Wahrschein- lich war der Künstler angeregt worden durch die ebenda aufge- hängten Figuren des Heraklit und Demokrit, welche Rubens im Jahre 1603 aus Mantua mitgebracht hatte. Der alte Gegensatz also der beiden pessimistischen Narren, dessen der die menschliche Narrheit beweint, und dessen der sie belacht. In der That ist ein durchgeführter Kontrast beabsichtigt: Würde und Vernach- lässigung; Appetit (er sucht im Sack nach seinen Bohnen) und Magenkatarrh; kurze krause Borstenhaare und lange weich ge- wellte Mähne; das unruhig leuchtende Auge des aufdringlichen

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/383>, abgerufen am 19.04.2024.