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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Spinnerinnen.
Frauenarbeit eignet sich mehr als Männerarbeit zu malerischen
Darstellungen. Wie hübsch hat Pinturicchio die Penelope am
Webstuhl, umgeben von ihren Mägden, in dem Gemälde der
Nationalgalerie (Nr. 911) in seiner zierlichen Weise dargestellt.
Mancher der z. B. die grosse Fabrica de tabacos in Sevilla ge-
sehen hat, wird sich gefragt haben, warum man früher nicht öfter
aus solchen Quellen geschöpft hat. Man denke an die Beliebtheit
von Scenen wie die Zimmermannswerkstätte des h. Joseph, Guido's
Kind Maria im Tempel inmitten einer Gesellschaft von Nähte-
rinnen, die Schmiede Vulcan's. Allein von den italienischen
Naturalisten des Jahrhunderts ist keiner auf ein Arbeiterbild ver-
fallen. Die Holländer malten das Volk nur in seinen Erholungen.
Ohne Zweifel, weil gerade Realisten oft stark auf den Reiz der
Ideenverbindungen des Stoffs rechnen. Fabrikarbeit ist ohne
Humor, prosaisch, ernst, ja sauer; dabei staubig und farblos.
Hogarth hat eine Weberwerkstatt radirt, und selbst er in einem
Cyklus moralischer Tendenz, einem gemalten Traktätchen.

Arme Tagelöhnerinnen zum Gegenstand eines grossen Ge-
mäldes machen, die Durchbrechung des die Gegenstände der
Kunst so eng umschliessenden Konventionalismus gerade nach
dieser Seite hin, das ist gewiss etwas Auffallendes bei einem
Spanier und Kammermaler. Bettler waren dort Respects-
personen, Banditen Volkshelden, Gauner Romanfiguren, aber am
Handwerk haftete das gothische Vorurtheil. --

Neuheit in Erfindung bemerkt man übrigens nicht bloss bei
diesen beiden letzten Meisterwerken; sie ist allen Historien des
Velazquez in ungewöhnlichem Grad eigen. Er muss ein grosser
Verächter des Banalen, der Wiederholung andrer und seiner
selbst gewesen sein. Dafür hat er freilich auch wenig Historien
zu Stande gebracht. Sein kühles Temperament konnte, scheint
es, durch nichts geringeres als eine mit allem Vorhandenem un-
vergleichbare Idee zum Schaffen aufgeregt werden. Der Gegen-
stand musste Veranlassung geben zur Einführung besondrer,
noch ungebrauchter Modelle, zu neuen Problemen der Beleuch-
tung und Experimenten des Malerischen. Das Bild musste so
ausschliesslich ihm gehören, wie seine Nase und seine Frau.
Nicht als wenn er Originalität gesucht hätte. Er hat über-
haupt seine Erfindungen nicht gesucht, sie haben ihn überrascht,
der Zufall hat sie ihm in die Hand gespielt. Wenn der Zufall
auf sich warten liess, so hatte er Geduld, er liess Jahre ver-
streichen, ohne anderes als seine Hofbildnisse zu machen. Dabei

Die Spinnerinnen.
Frauenarbeit eignet sich mehr als Männerarbeit zu malerischen
Darstellungen. Wie hübsch hat Pinturicchio die Penelope am
Webstuhl, umgeben von ihren Mägden, in dem Gemälde der
Nationalgalerie (Nr. 911) in seiner zierlichen Weise dargestellt.
Mancher der z. B. die grosse Fábrica de tabacos in Sevilla ge-
sehen hat, wird sich gefragt haben, warum man früher nicht öfter
aus solchen Quellen geschöpft hat. Man denke an die Beliebtheit
von Scenen wie die Zimmermannswerkstätte des h. Joseph, Guido’s
Kind Maria im Tempel inmitten einer Gesellschaft von Nähte-
rinnen, die Schmiede Vulcan’s. Allein von den italienischen
Naturalisten des Jahrhunderts ist keiner auf ein Arbeiterbild ver-
fallen. Die Holländer malten das Volk nur in seinen Erholungen.
Ohne Zweifel, weil gerade Realisten oft stark auf den Reiz der
Ideenverbindungen des Stoffs rechnen. Fabrikarbeit ist ohne
Humor, prosaisch, ernst, ja sauer; dabei staubig und farblos.
Hogarth hat eine Weberwerkstatt radirt, und selbst er in einem
Cyklus moralischer Tendenz, einem gemalten Traktätchen.

Arme Tagelöhnerinnen zum Gegenstand eines grossen Ge-
mäldes machen, die Durchbrechung des die Gegenstände der
Kunst so eng umschliessenden Konventionalismus gerade nach
dieser Seite hin, das ist gewiss etwas Auffallendes bei einem
Spanier und Kammermaler. Bettler waren dort Respects-
personen, Banditen Volkshelden, Gauner Romanfiguren, aber am
Handwerk haftete das gothische Vorurtheil. —

Neuheit in Erfindung bemerkt man übrigens nicht bloss bei
diesen beiden letzten Meisterwerken; sie ist allen Historien des
Velazquez in ungewöhnlichem Grad eigen. Er muss ein grosser
Verächter des Banalen, der Wiederholung andrer und seiner
selbst gewesen sein. Dafür hat er freilich auch wenig Historien
zu Stande gebracht. Sein kühles Temperament konnte, scheint
es, durch nichts geringeres als eine mit allem Vorhandenem un-
vergleichbare Idee zum Schaffen aufgeregt werden. Der Gegen-
stand musste Veranlassung geben zur Einführung besondrer,
noch ungebrauchter Modelle, zu neuen Problemen der Beleuch-
tung und Experimenten des Malerischen. Das Bild musste so
ausschliesslich ihm gehören, wie seine Nase und seine Frau.
Nicht als wenn er Originalität gesucht hätte. Er hat über-
haupt seine Erfindungen nicht gesucht, sie haben ihn überrascht,
der Zufall hat sie ihm in die Hand gespielt. Wenn der Zufall
auf sich warten liess, so hatte er Geduld, er liess Jahre ver-
streichen, ohne anderes als seine Hofbildnisse zu machen. Dabei

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[333/0357] Die Spinnerinnen. Frauenarbeit eignet sich mehr als Männerarbeit zu malerischen Darstellungen. Wie hübsch hat Pinturicchio die Penelope am Webstuhl, umgeben von ihren Mägden, in dem Gemälde der Nationalgalerie (Nr. 911) in seiner zierlichen Weise dargestellt. Mancher der z. B. die grosse Fábrica de tabacos in Sevilla ge- sehen hat, wird sich gefragt haben, warum man früher nicht öfter aus solchen Quellen geschöpft hat. Man denke an die Beliebtheit von Scenen wie die Zimmermannswerkstätte des h. Joseph, Guido’s Kind Maria im Tempel inmitten einer Gesellschaft von Nähte- rinnen, die Schmiede Vulcan’s. Allein von den italienischen Naturalisten des Jahrhunderts ist keiner auf ein Arbeiterbild ver- fallen. Die Holländer malten das Volk nur in seinen Erholungen. Ohne Zweifel, weil gerade Realisten oft stark auf den Reiz der Ideenverbindungen des Stoffs rechnen. Fabrikarbeit ist ohne Humor, prosaisch, ernst, ja sauer; dabei staubig und farblos. Hogarth hat eine Weberwerkstatt radirt, und selbst er in einem Cyklus moralischer Tendenz, einem gemalten Traktätchen. Arme Tagelöhnerinnen zum Gegenstand eines grossen Ge- mäldes machen, die Durchbrechung des die Gegenstände der Kunst so eng umschliessenden Konventionalismus gerade nach dieser Seite hin, das ist gewiss etwas Auffallendes bei einem Spanier und Kammermaler. Bettler waren dort Respects- personen, Banditen Volkshelden, Gauner Romanfiguren, aber am Handwerk haftete das gothische Vorurtheil. — Neuheit in Erfindung bemerkt man übrigens nicht bloss bei diesen beiden letzten Meisterwerken; sie ist allen Historien des Velazquez in ungewöhnlichem Grad eigen. Er muss ein grosser Verächter des Banalen, der Wiederholung andrer und seiner selbst gewesen sein. Dafür hat er freilich auch wenig Historien zu Stande gebracht. Sein kühles Temperament konnte, scheint es, durch nichts geringeres als eine mit allem Vorhandenem un- vergleichbare Idee zum Schaffen aufgeregt werden. Der Gegen- stand musste Veranlassung geben zur Einführung besondrer, noch ungebrauchter Modelle, zu neuen Problemen der Beleuch- tung und Experimenten des Malerischen. Das Bild musste so ausschliesslich ihm gehören, wie seine Nase und seine Frau. Nicht als wenn er Originalität gesucht hätte. Er hat über- haupt seine Erfindungen nicht gesucht, sie haben ihn überrascht, der Zufall hat sie ihm in die Hand gespielt. Wenn der Zufall auf sich warten liess, so hatte er Geduld, er liess Jahre ver- streichen, ohne anderes als seine Hofbildnisse zu machen. Dabei

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/357>, abgerufen am 18.04.2024.