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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
durch einen schweren rothen Vorhang grösstentheils verhängt ist.
Die volle Ladung empfangen nur die weissen Arme, der aus den
weichen Schultern aufsteigende feine Hals des zurückgelehnten
jungen Mädchens, welches ein Gebinde Garn vom Haspel ab zu
Knäueln wickelt. Man hat in ihr das Modell seiner Venus wieder-
erkennen wollen; auch diese dreht uns den Rücken zu. Den
schönen Fuss nicht zu übersehen! Aus der dunklen Thür hinter
ihr ist eine andere Dirne eingetreten, einen Korb auf den Boden
setzend. Die Alte mit dem Rücken am Spinnrad gegenüber,
sowie das Mädchen, welches wie es scheint auf ihre Bitten den
Vorhang etwas zurückschlägt, empfangen nur ein starkes, durch
die Stoffe in der Nähe roth gefärbtes Reflexlicht. Endlich
die Kleine in der Mitte, welche halbkniend mit dem Wollkamm
arbeitet, ist ebenfalls durch den hohen Haufen Rohwolle von
dem Fensterlicht links getrennt und bloss vom Wiederschein
erhellt; aber wir sehn ihr Gesicht und ihre Figur, in Folge der
Blendung durch das hinter ihr ausgebreitete Sonnenlicht, fast nur
als Silhouette: die inneren Züge sind bis zur Unkenntlichkeit
verschwommen. Durch Wiedergabe dieser optischen Täuschung,
die nur das wirkliche, nicht das gemalte Licht hervorzubringen
vermag, hat der Maler die scheinbare Intensität des Sonnenlichts
noch verstärkt. Alle diese helldunkeln Köpfe erscheinen in
Folge des Lichts aus dem Hintergrund von hellen Lichtkontouren
umgeben.

Während in den Meninas das allmähliche Versinken des
Lichts nach dem Hintergrund zu der Hauptzug ist, so haben
wir hier den Triumph des die spanischen und niederländischen
Maler jener Zeit beschäftigenden Motivs der Durchbrechung des
Grunds durch die höchste Lichtpotenz, mit Zerstreuung und Ab-
schwächung nach vorn. Nur wurde zur Milderung des Gegen-
satzes, dort im dunklen Hintergrund, hier im dämmrigen Vorder-
grund, ein begrenzter Punkt für das volle, reine Licht reservirt.

Es sollten also in diesem Gemälde verschiedene Arten der
Beleuchtung vereinigt, schwer darstellbare und bisher noch nie
dargestellte Lichtphänomene zu malen versucht werden. Das
direkte, von hellen Körpern abprallende Sonnenlicht; das durch-
scheinende (in einem gerötheten Ohr); das indirekte farbige Reflex-
licht im Schatten; die Unklarheit durch Strahlenzerstreuung oder
Irradiation; der durch Brechung an den in der Luft schwebenden
Staubkörperchen sichtbar werdende Strahl; die zu concentrischen
Kreisen zusammengeronnenen Speichen des schwingenden Rads;

Siebentes Buch.
durch einen schweren rothen Vorhang grösstentheils verhängt ist.
Die volle Ladung empfangen nur die weissen Arme, der aus den
weichen Schultern aufsteigende feine Hals des zurückgelehnten
jungen Mädchens, welches ein Gebinde Garn vom Haspel ab zu
Knäueln wickelt. Man hat in ihr das Modell seiner Venus wieder-
erkennen wollen; auch diese dreht uns den Rücken zu. Den
schönen Fuss nicht zu übersehen! Aus der dunklen Thür hinter
ihr ist eine andere Dirne eingetreten, einen Korb auf den Boden
setzend. Die Alte mit dem Rücken am Spinnrad gegenüber,
sowie das Mädchen, welches wie es scheint auf ihre Bitten den
Vorhang etwas zurückschlägt, empfangen nur ein starkes, durch
die Stoffe in der Nähe roth gefärbtes Reflexlicht. Endlich
die Kleine in der Mitte, welche halbkniend mit dem Wollkamm
arbeitet, ist ebenfalls durch den hohen Haufen Rohwolle von
dem Fensterlicht links getrennt und bloss vom Wiederschein
erhellt; aber wir sehn ihr Gesicht und ihre Figur, in Folge der
Blendung durch das hinter ihr ausgebreitete Sonnenlicht, fast nur
als Silhouette: die inneren Züge sind bis zur Unkenntlichkeit
verschwommen. Durch Wiedergabe dieser optischen Täuschung,
die nur das wirkliche, nicht das gemalte Licht hervorzubringen
vermag, hat der Maler die scheinbare Intensität des Sonnenlichts
noch verstärkt. Alle diese helldunkeln Köpfe erscheinen in
Folge des Lichts aus dem Hintergrund von hellen Lichtkontouren
umgeben.

Während in den Meninas das allmähliche Versinken des
Lichts nach dem Hintergrund zu der Hauptzug ist, so haben
wir hier den Triumph des die spanischen und niederländischen
Maler jener Zeit beschäftigenden Motivs der Durchbrechung des
Grunds durch die höchste Lichtpotenz, mit Zerstreuung und Ab-
schwächung nach vorn. Nur wurde zur Milderung des Gegen-
satzes, dort im dunklen Hintergrund, hier im dämmrigen Vorder-
grund, ein begrenzter Punkt für das volle, reine Licht reservirt.

Es sollten also in diesem Gemälde verschiedene Arten der
Beleuchtung vereinigt, schwer darstellbare und bisher noch nie
dargestellte Lichtphänomene zu malen versucht werden. Das
direkte, von hellen Körpern abprallende Sonnenlicht; das durch-
scheinende (in einem gerötheten Ohr); das indirekte farbige Reflex-
licht im Schatten; die Unklarheit durch Strahlenzerstreuung oder
Irradiation; der durch Brechung an den in der Luft schwebenden
Staubkörperchen sichtbar werdende Strahl; die zu concentrischen
Kreisen zusammengeronnenen Speichen des schwingenden Rads;

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[330/0354] Siebentes Buch. durch einen schweren rothen Vorhang grösstentheils verhängt ist. Die volle Ladung empfangen nur die weissen Arme, der aus den weichen Schultern aufsteigende feine Hals des zurückgelehnten jungen Mädchens, welches ein Gebinde Garn vom Haspel ab zu Knäueln wickelt. Man hat in ihr das Modell seiner Venus wieder- erkennen wollen; auch diese dreht uns den Rücken zu. Den schönen Fuss nicht zu übersehen! Aus der dunklen Thür hinter ihr ist eine andere Dirne eingetreten, einen Korb auf den Boden setzend. Die Alte mit dem Rücken am Spinnrad gegenüber, sowie das Mädchen, welches wie es scheint auf ihre Bitten den Vorhang etwas zurückschlägt, empfangen nur ein starkes, durch die Stoffe in der Nähe roth gefärbtes Reflexlicht. Endlich die Kleine in der Mitte, welche halbkniend mit dem Wollkamm arbeitet, ist ebenfalls durch den hohen Haufen Rohwolle von dem Fensterlicht links getrennt und bloss vom Wiederschein erhellt; aber wir sehn ihr Gesicht und ihre Figur, in Folge der Blendung durch das hinter ihr ausgebreitete Sonnenlicht, fast nur als Silhouette: die inneren Züge sind bis zur Unkenntlichkeit verschwommen. Durch Wiedergabe dieser optischen Täuschung, die nur das wirkliche, nicht das gemalte Licht hervorzubringen vermag, hat der Maler die scheinbare Intensität des Sonnenlichts noch verstärkt. Alle diese helldunkeln Köpfe erscheinen in Folge des Lichts aus dem Hintergrund von hellen Lichtkontouren umgeben. Während in den Meninas das allmähliche Versinken des Lichts nach dem Hintergrund zu der Hauptzug ist, so haben wir hier den Triumph des die spanischen und niederländischen Maler jener Zeit beschäftigenden Motivs der Durchbrechung des Grunds durch die höchste Lichtpotenz, mit Zerstreuung und Ab- schwächung nach vorn. Nur wurde zur Milderung des Gegen- satzes, dort im dunklen Hintergrund, hier im dämmrigen Vorder- grund, ein begrenzter Punkt für das volle, reine Licht reservirt. Es sollten also in diesem Gemälde verschiedene Arten der Beleuchtung vereinigt, schwer darstellbare und bisher noch nie dargestellte Lichtphänomene zu malen versucht werden. Das direkte, von hellen Körpern abprallende Sonnenlicht; das durch- scheinende (in einem gerötheten Ohr); das indirekte farbige Reflex- licht im Schatten; die Unklarheit durch Strahlenzerstreuung oder Irradiation; der durch Brechung an den in der Luft schwebenden Staubkörperchen sichtbar werdende Strahl; die zu concentrischen Kreisen zusammengeronnenen Speichen des schwingenden Rads;

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/354>, abgerufen am 18.04.2024.