Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Buch.
nur farblose Dämmerung zu sehn, mit einzelnen Lichtoasen.
Beim Verweilen scheint in der Fläche ein geheimnissvolles Leben
sich zu regen; das Unbestimmte klärt sich auf, geht auseinander;
die Farben kommen hervor; eine Gestalt nach der andern rundet
sich, ja einige scheinen sich zu drehen, die Züge, die Augen
sich zu bewegen; der goldne Rahmen wird zur Einfassung eines
Zauberspiegels, der die Jahrhunderte vernichtet, ein Teleskop für
die Zeitferne, das uns das gespensterhafte Treiben der Insassen
des alten Schlosses enthüllt. Das Ideal des Historikers ist in
diesem Bild That und Wahrheit geworden.

Und mit was für Mitteln ist das alles erreicht? Bringt man
das Auge dicht vor die Fläche, so erstaunt man, mit wie ein-
fachen. Das Bild ist auf grober Leinwand, mit langen Borsten-
pinseln, breit, wie mit wilder Hast angelegt, -- obwol es im Ein-
druck von allen das ruhigste und mildeste ist. Bei keinem liegen
die Proceduren so offen zu Tage. Man unterscheidet in den
Schatten die braunen eingeriebenen Partien der Untermalung;
die in Mischungen mit weiss darüber gelegten grauen Flächen,
die bald auf einen Wurf, fett, eckig, formlos aufgesetzten, bald
weich vertriebenen Lokalfarben und Lichter. Wie immer ist das
System: ruhige, gleichmässige, mehr neutrale Massen mit einzelnen
farbigen und lichtstarken Erhöhungen oder Durchbrechungen.
In solchen breiten, grauen Zügen sind die Gestalten geschaffen,
und dann ihrem noch dämmerhaften Dasein, oft mit wenigen
scharfen Strichen, volle körperliche Wirklichkeit und Lebenspuls
verliehen. Die Lokalfarbe ist zurückgestellt: es wird hauptsäch-
lich mit Hell und Dunkel gearbeitet; ein gedämpftes grünliches
Blau, Dunkelgrün, Weiss legt sich leicht darüber, hier und da
springen kleine rothe Stücke hervor. Das Geheimniss liegt in
jenen dünnen Farbenschichten, dunkel auf hell, hell auf dunkel,
unverschmolzen stehen sie, schweben übereinander, die Umrisse
erhalten durch breite, braune, wie punktirte Pinselzüge einen Schein
vibrirender Bewegung. -- Das ist bald gesagt -- die Hauptsache
sind die Nüancen, welche der Augenblick, das Feuer der mit den

a besoin d'etre analysee dans ses infiniment petits. On ne juge ce tableau que
par le ridicule de ses personnages; ou n'etudie jamais la qualite de ses tons, de
son harmonie generale, de l'air ambiant qui y circule, la maniere dont les gris sont
manies; en un mot, la qualite de la peinture, l'audace, la verve et la grande science
de l'execution. Au premier abord, les mains paraissent parfaites; mais pour obtenir
un pareil resultat a si peu de frais, il faut etre un peintre de premier ordre.
P. L. Imbert, L'Espagne. Paris 1875. 213.

Siebentes Buch.
nur farblose Dämmerung zu sehn, mit einzelnen Lichtoasen.
Beim Verweilen scheint in der Fläche ein geheimnissvolles Leben
sich zu regen; das Unbestimmte klärt sich auf, geht auseinander;
die Farben kommen hervor; eine Gestalt nach der andern rundet
sich, ja einige scheinen sich zu drehen, die Züge, die Augen
sich zu bewegen; der goldne Rahmen wird zur Einfassung eines
Zauberspiegels, der die Jahrhunderte vernichtet, ein Teleskop für
die Zeitferne, das uns das gespensterhafte Treiben der Insassen
des alten Schlosses enthüllt. Das Ideal des Historikers ist in
diesem Bild That und Wahrheit geworden.

Und mit was für Mitteln ist das alles erreicht? Bringt man
das Auge dicht vor die Fläche, so erstaunt man, mit wie ein-
fachen. Das Bild ist auf grober Leinwand, mit langen Borsten-
pinseln, breit, wie mit wilder Hast angelegt, — obwol es im Ein-
druck von allen das ruhigste und mildeste ist. Bei keinem liegen
die Proceduren so offen zu Tage. Man unterscheidet in den
Schatten die braunen eingeriebenen Partien der Untermalung;
die in Mischungen mit weiss darüber gelegten grauen Flächen,
die bald auf einen Wurf, fett, eckig, formlos aufgesetzten, bald
weich vertriebenen Lokalfarben und Lichter. Wie immer ist das
System: ruhige, gleichmässige, mehr neutrale Massen mit einzelnen
farbigen und lichtstarken Erhöhungen oder Durchbrechungen.
In solchen breiten, grauen Zügen sind die Gestalten geschaffen,
und dann ihrem noch dämmerhaften Dasein, oft mit wenigen
scharfen Strichen, volle körperliche Wirklichkeit und Lebenspuls
verliehen. Die Lokalfarbe ist zurückgestellt: es wird hauptsäch-
lich mit Hell und Dunkel gearbeitet; ein gedämpftes grünliches
Blau, Dunkelgrün, Weiss legt sich leicht darüber, hier und da
springen kleine rothe Stücke hervor. Das Geheimniss liegt in
jenen dünnen Farbenschichten, dunkel auf hell, hell auf dunkel,
unverschmolzen stehen sie, schweben übereinander, die Umrisse
erhalten durch breite, braune, wie punktirte Pinselzüge einen Schein
vibrirender Bewegung. — Das ist bald gesagt — die Hauptsache
sind die Nüancen, welche der Augenblick, das Feuer der mit den

a besoin d’être analysée dans ses infiniment petits. On ne juge ce tableau que
par le ridicule de ses personnages; ou n’étudie jamais la qualité de ses tons, de
son harmonie générale, de l’air ambiant qui y circule, la manière dont les gris sont
maniés; en un mot, la qualité de la peinture, l’audace, la verve et la grande science
de l’exécution. Au premier abord, les mains paraissent parfaites; mais pour obtenir
un pareil résultat à si peu de frais, il faut être un peintre de premier ordre.
P. L. Imbert, L’Espagne. Paris 1875. 213.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0340" n="318"/><fw place="top" type="header">Siebentes Buch.</fw><lb/>
nur farblose Dämmerung zu sehn, mit einzelnen Lichtoasen.<lb/>
Beim Verweilen scheint in der Fläche ein geheimnissvolles Leben<lb/>
sich zu regen; das Unbestimmte klärt sich auf, geht auseinander;<lb/>
die Farben kommen hervor; eine Gestalt nach der andern rundet<lb/>
sich, ja einige scheinen sich zu drehen, die Züge, die Augen<lb/>
sich zu bewegen; der goldne Rahmen wird zur Einfassung eines<lb/>
Zauberspiegels, der die Jahrhunderte vernichtet, ein Teleskop für<lb/>
die Zeitferne, das uns das gespensterhafte Treiben der Insassen<lb/>
des alten Schlosses enthüllt. Das Ideal des Historikers ist in<lb/>
diesem Bild That und Wahrheit geworden.</p><lb/>
            <p>Und mit was für Mitteln ist das alles erreicht? Bringt man<lb/>
das Auge dicht vor die Fläche, so erstaunt man, mit wie ein-<lb/>
fachen. Das Bild ist auf grober Leinwand, mit langen Borsten-<lb/>
pinseln, breit, wie mit wilder Hast angelegt, &#x2014; obwol es im Ein-<lb/>
druck von allen das ruhigste und mildeste ist. Bei keinem liegen<lb/>
die Proceduren so offen zu Tage. Man unterscheidet in den<lb/>
Schatten die braunen eingeriebenen Partien der Untermalung;<lb/>
die in Mischungen mit weiss darüber gelegten grauen Flächen,<lb/>
die bald auf einen Wurf, fett, eckig, formlos aufgesetzten, bald<lb/>
weich vertriebenen Lokalfarben und Lichter. Wie immer ist das<lb/>
System: ruhige, gleichmässige, mehr neutrale Massen mit einzelnen<lb/>
farbigen und lichtstarken Erhöhungen oder Durchbrechungen.<lb/>
In solchen breiten, grauen Zügen sind die Gestalten geschaffen,<lb/>
und dann ihrem noch dämmerhaften Dasein, oft mit wenigen<lb/>
scharfen Strichen, volle körperliche Wirklichkeit und Lebenspuls<lb/>
verliehen. Die Lokalfarbe ist zurückgestellt: es wird hauptsäch-<lb/>
lich mit Hell und Dunkel gearbeitet; ein gedämpftes grünliches<lb/>
Blau, Dunkelgrün, Weiss legt sich leicht darüber, hier und da<lb/>
springen kleine rothe Stücke hervor. Das Geheimniss liegt in<lb/>
jenen dünnen Farbenschichten, dunkel auf hell, hell auf dunkel,<lb/>
unverschmolzen stehen sie, schweben übereinander, die Umrisse<lb/>
erhalten durch breite, braune, wie punktirte Pinselzüge einen Schein<lb/>
vibrirender Bewegung. &#x2014; Das ist bald gesagt &#x2014; die Hauptsache<lb/>
sind die Nüancen, welche der Augenblick, das Feuer der mit den<lb/><note xml:id="seg2pn_15_2" prev="#seg2pn_15_1" place="foot" n="1)">a besoin d&#x2019;être analysée dans ses infiniment petits. On ne juge ce tableau que<lb/>
par le ridicule de ses personnages; ou n&#x2019;étudie jamais la qualité de ses tons, de<lb/>
son harmonie générale, de l&#x2019;air ambiant qui y circule, la manière dont les gris sont<lb/>
maniés; en un mot, la qualité de la peinture, l&#x2019;audace, la verve et la grande science<lb/>
de l&#x2019;exécution. Au premier abord, les mains paraissent parfaites; mais pour obtenir<lb/>
un pareil résultat à si peu de frais, il faut être un peintre de premier ordre.<lb/><hi rendition="#i">P. L. Imbert</hi>, L&#x2019;Espagne. Paris 1875. 213.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[318/0340] Siebentes Buch. nur farblose Dämmerung zu sehn, mit einzelnen Lichtoasen. Beim Verweilen scheint in der Fläche ein geheimnissvolles Leben sich zu regen; das Unbestimmte klärt sich auf, geht auseinander; die Farben kommen hervor; eine Gestalt nach der andern rundet sich, ja einige scheinen sich zu drehen, die Züge, die Augen sich zu bewegen; der goldne Rahmen wird zur Einfassung eines Zauberspiegels, der die Jahrhunderte vernichtet, ein Teleskop für die Zeitferne, das uns das gespensterhafte Treiben der Insassen des alten Schlosses enthüllt. Das Ideal des Historikers ist in diesem Bild That und Wahrheit geworden. Und mit was für Mitteln ist das alles erreicht? Bringt man das Auge dicht vor die Fläche, so erstaunt man, mit wie ein- fachen. Das Bild ist auf grober Leinwand, mit langen Borsten- pinseln, breit, wie mit wilder Hast angelegt, — obwol es im Ein- druck von allen das ruhigste und mildeste ist. Bei keinem liegen die Proceduren so offen zu Tage. Man unterscheidet in den Schatten die braunen eingeriebenen Partien der Untermalung; die in Mischungen mit weiss darüber gelegten grauen Flächen, die bald auf einen Wurf, fett, eckig, formlos aufgesetzten, bald weich vertriebenen Lokalfarben und Lichter. Wie immer ist das System: ruhige, gleichmässige, mehr neutrale Massen mit einzelnen farbigen und lichtstarken Erhöhungen oder Durchbrechungen. In solchen breiten, grauen Zügen sind die Gestalten geschaffen, und dann ihrem noch dämmerhaften Dasein, oft mit wenigen scharfen Strichen, volle körperliche Wirklichkeit und Lebenspuls verliehen. Die Lokalfarbe ist zurückgestellt: es wird hauptsäch- lich mit Hell und Dunkel gearbeitet; ein gedämpftes grünliches Blau, Dunkelgrün, Weiss legt sich leicht darüber, hier und da springen kleine rothe Stücke hervor. Das Geheimniss liegt in jenen dünnen Farbenschichten, dunkel auf hell, hell auf dunkel, unverschmolzen stehen sie, schweben übereinander, die Umrisse erhalten durch breite, braune, wie punktirte Pinselzüge einen Schein vibrirender Bewegung. — Das ist bald gesagt — die Hauptsache sind die Nüancen, welche der Augenblick, das Feuer der mit den 1) 1) a besoin d’être analysée dans ses infiniment petits. On ne juge ce tableau que par le ridicule de ses personnages; ou n’étudie jamais la qualité de ses tons, de son harmonie générale, de l’air ambiant qui y circule, la manière dont les gris sont maniés; en un mot, la qualité de la peinture, l’audace, la verve et la grande science de l’exécution. Au premier abord, les mains paraissent parfaites; mais pour obtenir un pareil résultat à si peu de frais, il faut être un peintre de premier ordre. P. L. Imbert, L’Espagne. Paris 1875. 213.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/340
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/340>, abgerufen am 29.03.2024.