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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
nard (es giebt deren mehrere im Prado) sich angesehn hat, wird
eine solche Verwandlung der Züge nicht für möglich halten.
Auch vermisst man jede Aehnlichkeit mit ihrer Mutter Isabella.
Es ist ein rein habsburgisches Gesicht. Ihr Kopf fällt auf durch
grosse, sehr offene runde Augen; Maria Theresia hat eher ver-
schleierte, mandelförmige; jene blicken lebhaft, die ihrigen sanft
und phlegmatisch, jene erbte den hässlichen Mund ihres Vaters,
diese hat kleine, aber gut gezeichnete Lippen.

Das Kostüm gehört der Mode, die Malweise dem Stil der
fünfziger Jahre an; das Gesicht aber ist nach dem Madrider
Katalog sogar das eines zehnjährigen (?) Kinds; sie müsste also
um 1648 vor der italienischen Reise gemalt sein. Derselbe Ka-
talog erklärt deshalb den Kopf für den Rest einer früheren Auf-
nahme, zu diesem Kinderkopf wären später kurz vor den franzö-
sischen Heirathsverhandlungen Körper, Anzug, Frisur, Hände hin-
zugemalt worden. Man versuche sich das auszudenken! Zu einer
Zeit wo sie auf der Schwelle der Reife jungfräulicher Schön-
heit steht und Braut des Königs von Frankreich werden soll,
richtet man aus einem alten Kinderkopf ein prunkvolles Kostüm-
stück her. Man hat hinreichend Zeit einen umständlichen reich-
geschmückten Anzug nebst Haarputz und Umgebung nach der
Natur neu zu malen, nicht aber das Gesicht! Ein zehnjähriger
Kinderkopf auf der Figur einer zwanzigjährigen Dame!

Man sagt, das Gesicht sei in einem ältern, auffällig von dem
des übrigen abweichenden Stil gemalt. In einem andern Stil
wohl, aber nicht in einem ältern, am wenigsten des Velazquez.
Das Gesicht ist in grauem Ton, glatt und hart gemalt und ohne
Reflexe; man wird vergebens einen ähnlichen Kopf aus den
vierziger Jahren suchen. Zudem ist keine Spur einer früheren
Figur unter der jetzigen zu entdecken. Endlich ist neuerdings
ein bis auf Kürzungen oben und an den Seiten völlig überein-
stimmendes Gemälde in Wien zum Vorschein gekommen, wo
das Verhältniss des Gesichts zum Uebrigen genau wiederkehrt.
Auch hier war E. v. Engerth die verschiedene Behandlung des
Kopfes aufgefallen, der fleissiger, aber schwerer, in einem stein-
grauen Ton gemalt sei. Hat es in Madrid zwei grosse Leinwand-
rahmen gegeben, in deren Mitte nur ein Kopf stand und hat man
zweimal nach zehn Jahren das übrige hinzugemalt?

Nun aber stimmt das Gesicht ganz gut zu den Bildnissen
der Infantin Margaretha. Die Züge haben sich allerdings etwas
verändert, die Formen ihrer Mutter sind stärker hervorgetreten,

Siebentes Buch.
nard (es giebt deren mehrere im Prado) sich angesehn hat, wird
eine solche Verwandlung der Züge nicht für möglich halten.
Auch vermisst man jede Aehnlichkeit mit ihrer Mutter Isabella.
Es ist ein rein habsburgisches Gesicht. Ihr Kopf fällt auf durch
grosse, sehr offene runde Augen; Maria Theresia hat eher ver-
schleierte, mandelförmige; jene blicken lebhaft, die ihrigen sanft
und phlegmatisch, jene erbte den hässlichen Mund ihres Vaters,
diese hat kleine, aber gut gezeichnete Lippen.

Das Kostüm gehört der Mode, die Malweise dem Stil der
fünfziger Jahre an; das Gesicht aber ist nach dem Madrider
Katalog sogar das eines zehnjährigen (?) Kinds; sie müsste also
um 1648 vor der italienischen Reise gemalt sein. Derselbe Ka-
talog erklärt deshalb den Kopf für den Rest einer früheren Auf-
nahme, zu diesem Kinderkopf wären später kurz vor den franzö-
sischen Heirathsverhandlungen Körper, Anzug, Frisur, Hände hin-
zugemalt worden. Man versuche sich das auszudenken! Zu einer
Zeit wo sie auf der Schwelle der Reife jungfräulicher Schön-
heit steht und Braut des Königs von Frankreich werden soll,
richtet man aus einem alten Kinderkopf ein prunkvolles Kostüm-
stück her. Man hat hinreichend Zeit einen umständlichen reich-
geschmückten Anzug nebst Haarputz und Umgebung nach der
Natur neu zu malen, nicht aber das Gesicht! Ein zehnjähriger
Kinderkopf auf der Figur einer zwanzigjährigen Dame!

Man sagt, das Gesicht sei in einem ältern, auffällig von dem
des übrigen abweichenden Stil gemalt. In einem andern Stil
wohl, aber nicht in einem ältern, am wenigsten des Velazquez.
Das Gesicht ist in grauem Ton, glatt und hart gemalt und ohne
Reflexe; man wird vergebens einen ähnlichen Kopf aus den
vierziger Jahren suchen. Zudem ist keine Spur einer früheren
Figur unter der jetzigen zu entdecken. Endlich ist neuerdings
ein bis auf Kürzungen oben und an den Seiten völlig überein-
stimmendes Gemälde in Wien zum Vorschein gekommen, wo
das Verhältniss des Gesichts zum Uebrigen genau wiederkehrt.
Auch hier war E. v. Engerth die verschiedene Behandlung des
Kopfes aufgefallen, der fleissiger, aber schwerer, in einem stein-
grauen Ton gemalt sei. Hat es in Madrid zwei grosse Leinwand-
rahmen gegeben, in deren Mitte nur ein Kopf stand und hat man
zweimal nach zehn Jahren das übrige hinzugemalt?

Nun aber stimmt das Gesicht ganz gut zu den Bildnissen
der Infantin Margaretha. Die Züge haben sich allerdings etwas
verändert, die Formen ihrer Mutter sind stärker hervorgetreten,

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[306/0326] Siebentes Buch. nard (es giebt deren mehrere im Prado) sich angesehn hat, wird eine solche Verwandlung der Züge nicht für möglich halten. Auch vermisst man jede Aehnlichkeit mit ihrer Mutter Isabella. Es ist ein rein habsburgisches Gesicht. Ihr Kopf fällt auf durch grosse, sehr offene runde Augen; Maria Theresia hat eher ver- schleierte, mandelförmige; jene blicken lebhaft, die ihrigen sanft und phlegmatisch, jene erbte den hässlichen Mund ihres Vaters, diese hat kleine, aber gut gezeichnete Lippen. Das Kostüm gehört der Mode, die Malweise dem Stil der fünfziger Jahre an; das Gesicht aber ist nach dem Madrider Katalog sogar das eines zehnjährigen (?) Kinds; sie müsste also um 1648 vor der italienischen Reise gemalt sein. Derselbe Ka- talog erklärt deshalb den Kopf für den Rest einer früheren Auf- nahme, zu diesem Kinderkopf wären später kurz vor den franzö- sischen Heirathsverhandlungen Körper, Anzug, Frisur, Hände hin- zugemalt worden. Man versuche sich das auszudenken! Zu einer Zeit wo sie auf der Schwelle der Reife jungfräulicher Schön- heit steht und Braut des Königs von Frankreich werden soll, richtet man aus einem alten Kinderkopf ein prunkvolles Kostüm- stück her. Man hat hinreichend Zeit einen umständlichen reich- geschmückten Anzug nebst Haarputz und Umgebung nach der Natur neu zu malen, nicht aber das Gesicht! Ein zehnjähriger Kinderkopf auf der Figur einer zwanzigjährigen Dame! Man sagt, das Gesicht sei in einem ältern, auffällig von dem des übrigen abweichenden Stil gemalt. In einem andern Stil wohl, aber nicht in einem ältern, am wenigsten des Velazquez. Das Gesicht ist in grauem Ton, glatt und hart gemalt und ohne Reflexe; man wird vergebens einen ähnlichen Kopf aus den vierziger Jahren suchen. Zudem ist keine Spur einer früheren Figur unter der jetzigen zu entdecken. Endlich ist neuerdings ein bis auf Kürzungen oben und an den Seiten völlig überein- stimmendes Gemälde in Wien zum Vorschein gekommen, wo das Verhältniss des Gesichts zum Uebrigen genau wiederkehrt. Auch hier war E. v. Engerth die verschiedene Behandlung des Kopfes aufgefallen, der fleissiger, aber schwerer, in einem stein- grauen Ton gemalt sei. Hat es in Madrid zwei grosse Leinwand- rahmen gegeben, in deren Mitte nur ein Kopf stand und hat man zweimal nach zehn Jahren das übrige hinzugemalt? Nun aber stimmt das Gesicht ganz gut zu den Bildnissen der Infantin Margaretha. Die Züge haben sich allerdings etwas verändert, die Formen ihrer Mutter sind stärker hervorgetreten,

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/326>, abgerufen am 28.03.2024.