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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Infantin Margarita.
erste Spuren einer unschönen Veränderung der Züge zu erkennen.
Zur Linken steht ein Putztischchen (bufetillo) mit schwerer zu-
sammengenestelter bis zum Boden herabgleitender Decke; darauf
eine Standuhr von Ebenholz, ruhend auf vergoldeten Bronze-
löwen, flankirt von schwarz und rothen Balustersäulen. In der
Mitte ist ein rundes Gemälde eingelassen, welches auf blauem
Grund den Sonnenwagen vorstellt, nebst einem Zifferblatt. Ihre
Hände ruhen auf dem Guardainfante, die Linke hält einen riesigen
Muff. Die Farbe des Anzugs, der Bänder im Haar, der Busen-
schleife, ist dunkles Olivengrün.

Obwol dieses Bildniss das bestbezeugte ist, so kann man
es doch nach wiederholter Betrachtung nur für ein Werk
des Mazo unter Leitung des Velazquez halten. Eine Ver-
gleichung mit dem vorigen (619) lässt darüber keinen Zweifel.
Die dunkle stumpfe Farbe, die nachlässige Zeichnung, das üble
Zusammengehn der Züge (die Augen stehn nicht in einer Linie),
das leblose Auge, die Verwischung der eigenthümlichen Form
von Näschen und Mündchen, das kreidige Weiss im Gesicht, die
unvollkommene Modellirung, die Haare ohne Glanz, die nicht
überzeugende Verkürzung des linken Arms -- verrathen den
Schüler, der indess bei aller nicht nachzuholenden Ungründlich-
keit der Schulung die bravura del tocco seinem Schwiegervater
gut abgesehn hat.

Im Saal Isabella II (Nr. 1084) pflegt ein ikonographisch
räthselhaftes Kniestück die erstaunten und zugleich aufgeheiter-
ten Blicke der Besucher anzuziehen, dessen ungeheuerlichem
Kostüm man wohl die erste Nummer der Geschmacklosigkeit
selbst unter den Damen jener Zeit zuerkennen kann. Wer indess
ein Auge hat für Farbe, wird sich dadurch nicht stören lassen
im Genuss der erstaunlichen Wahrheit des in vollem Licht
schimmernden weissen und silbergestickten Seidenkleids mit dem
funkelnden Brillanten- und Goldschmucke und den oben brennend
rothen, unten zart rosa Schleifen und Bändern, auf dem Grund
eines wie drohende Felsenmassen überhangenden, karmesinrothen
Brokatvorhangs.

Die Figur heisst in Madrid Maria Theresia. Diese Be-
nennung ist aber aus mehreren Gründen unhaltbar. Was kann
man dafür anführen? In dem Inventar des Schlosses von 1772
wird ein in den Maassen übereinstimmendes Gemälde so genannt;
aber zur Zeit Philipp V hiess ja auch die Infantin der Meninas
Maria Theresia. Wer aber ihre beglaubigten Bildnisse von Mig-

II. 20

Die Infantin Margarita.
erste Spuren einer unschönen Veränderung der Züge zu erkennen.
Zur Linken steht ein Putztischchen (bufetillo) mit schwerer zu-
sammengenestelter bis zum Boden herabgleitender Decke; darauf
eine Standuhr von Ebenholz, ruhend auf vergoldeten Bronze-
löwen, flankirt von schwarz und rothen Balustersäulen. In der
Mitte ist ein rundes Gemälde eingelassen, welches auf blauem
Grund den Sonnenwagen vorstellt, nebst einem Zifferblatt. Ihre
Hände ruhen auf dem Guardainfante, die Linke hält einen riesigen
Muff. Die Farbe des Anzugs, der Bänder im Haar, der Busen-
schleife, ist dunkles Olivengrün.

Obwol dieses Bildniss das bestbezeugte ist, so kann man
es doch nach wiederholter Betrachtung nur für ein Werk
des Mazo unter Leitung des Velazquez halten. Eine Ver-
gleichung mit dem vorigen (619) lässt darüber keinen Zweifel.
Die dunkle stumpfe Farbe, die nachlässige Zeichnung, das üble
Zusammengehn der Züge (die Augen stehn nicht in einer Linie),
das leblose Auge, die Verwischung der eigenthümlichen Form
von Näschen und Mündchen, das kreidige Weiss im Gesicht, die
unvollkommene Modellirung, die Haare ohne Glanz, die nicht
überzeugende Verkürzung des linken Arms — verrathen den
Schüler, der indess bei aller nicht nachzuholenden Ungründlich-
keit der Schulung die bravura del tocco seinem Schwiegervater
gut abgesehn hat.

Im Saal Isabella II (Nr. 1084) pflegt ein ikonographisch
räthselhaftes Kniestück die erstaunten und zugleich aufgeheiter-
ten Blicke der Besucher anzuziehen, dessen ungeheuerlichem
Kostüm man wohl die erste Nummer der Geschmacklosigkeit
selbst unter den Damen jener Zeit zuerkennen kann. Wer indess
ein Auge hat für Farbe, wird sich dadurch nicht stören lassen
im Genuss der erstaunlichen Wahrheit des in vollem Licht
schimmernden weissen und silbergestickten Seidenkleids mit dem
funkelnden Brillanten- und Goldschmucke und den oben brennend
rothen, unten zart rosa Schleifen und Bändern, auf dem Grund
eines wie drohende Felsenmassen überhangenden, karmesinrothen
Brokatvorhangs.

Die Figur heisst in Madrid Maria Theresia. Diese Be-
nennung ist aber aus mehreren Gründen unhaltbar. Was kann
man dafür anführen? In dem Inventar des Schlosses von 1772
wird ein in den Maassen übereinstimmendes Gemälde so genannt;
aber zur Zeit Philipp V hiess ja auch die Infantin der Meninas
Maria Theresia. Wer aber ihre beglaubigten Bildnisse von Mig-

II. 20
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[305/0325] Die Infantin Margarita. erste Spuren einer unschönen Veränderung der Züge zu erkennen. Zur Linken steht ein Putztischchen (bufetillo) mit schwerer zu- sammengenestelter bis zum Boden herabgleitender Decke; darauf eine Standuhr von Ebenholz, ruhend auf vergoldeten Bronze- löwen, flankirt von schwarz und rothen Balustersäulen. In der Mitte ist ein rundes Gemälde eingelassen, welches auf blauem Grund den Sonnenwagen vorstellt, nebst einem Zifferblatt. Ihre Hände ruhen auf dem Guardainfante, die Linke hält einen riesigen Muff. Die Farbe des Anzugs, der Bänder im Haar, der Busen- schleife, ist dunkles Olivengrün. Obwol dieses Bildniss das bestbezeugte ist, so kann man es doch nach wiederholter Betrachtung nur für ein Werk des Mazo unter Leitung des Velazquez halten. Eine Ver- gleichung mit dem vorigen (619) lässt darüber keinen Zweifel. Die dunkle stumpfe Farbe, die nachlässige Zeichnung, das üble Zusammengehn der Züge (die Augen stehn nicht in einer Linie), das leblose Auge, die Verwischung der eigenthümlichen Form von Näschen und Mündchen, das kreidige Weiss im Gesicht, die unvollkommene Modellirung, die Haare ohne Glanz, die nicht überzeugende Verkürzung des linken Arms — verrathen den Schüler, der indess bei aller nicht nachzuholenden Ungründlich- keit der Schulung die bravura del tocco seinem Schwiegervater gut abgesehn hat. Im Saal Isabella II (Nr. 1084) pflegt ein ikonographisch räthselhaftes Kniestück die erstaunten und zugleich aufgeheiter- ten Blicke der Besucher anzuziehen, dessen ungeheuerlichem Kostüm man wohl die erste Nummer der Geschmacklosigkeit selbst unter den Damen jener Zeit zuerkennen kann. Wer indess ein Auge hat für Farbe, wird sich dadurch nicht stören lassen im Genuss der erstaunlichen Wahrheit des in vollem Licht schimmernden weissen und silbergestickten Seidenkleids mit dem funkelnden Brillanten- und Goldschmucke und den oben brennend rothen, unten zart rosa Schleifen und Bändern, auf dem Grund eines wie drohende Felsenmassen überhangenden, karmesinrothen Brokatvorhangs. Die Figur heisst in Madrid Maria Theresia. Diese Be- nennung ist aber aus mehreren Gründen unhaltbar. Was kann man dafür anführen? In dem Inventar des Schlosses von 1772 wird ein in den Maassen übereinstimmendes Gemälde so genannt; aber zur Zeit Philipp V hiess ja auch die Infantin der Meninas Maria Theresia. Wer aber ihre beglaubigten Bildnisse von Mig- II. 20

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/325>, abgerufen am 20.04.2024.