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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
1651). In jenen Jahren unaufhaltsamen Niedergangs und schmach-
voller Katastrophen war sie dem für die Sünden seiner Jugend
gestraften König ein letzter Sonnenblick seines umdunkelten
Lebensabends. Das Kind war von seltenem Reiz, und selbst
der stolze und spöttische Grammont, der ein groteskes Bild der
Hofgesellschaft jener Tage entwirft (1659), nennt sie in seinem
Brief an die Königin Anna "einen kleinen Engel", und an Lud-
wig XIV: "so lebhaft und hübsch wie nur möglich". Auch heute
noch fühlt man vor ihrem Bild die siegreiche Macht des immerdar
sich verjüngenden Lebens, das stets so frisch und hoffnungsreich
wieder beginnt, wie der Morgen. Solange noch der Saft in
einen letzten Zweig emporsteigt, solange wird er auch an dem
morschen Baum eine Blüte erzeugen können den duftigsten des
Frühlings gleich.

Und Dank der Magie der Kunst, steht sie noch so thaufrisch
und lebenathmend vor uns, wie vor zweihundertdreissig Jahren.
Wir begleiten ihr Emporblühen durch sechs Jahre. Mindestens
sieben Originalporträts sind uns zu Gesicht gekommen. Wie hat
doch der fünfzigjährige Mann, der sonst nur für den Reiz der
dunkelaugigen Kinder des Südens empfängliche Spanier die Mi-
schungen gefunden für diess Wesen von fremdem, nordischen Ge-
blüt und Farbe, -- Mischungen, die ihm noch keiner abgesehn hat.
Er triumphirt sogar über die groteske Mode, sie berührt uns
hier wie ein Maskenscherz; die Kleine schüttelt sich und schwebt
empor, um den Wagen der Eos zu umflattern.

Von allen Bildnissen dieses Kindes sind nur zwei im
elterlichen Hause zu Madrid geblieben, eines in der Mitte
des grossen Familienbildes. Aber da sie schon in der Wiege
einem österreichischen Vetter bestimmt war, so wurden von Zeit
zu Zeit Bildnisse nach Wien gesandt, und die kaiserliche Galerie
bewahrt deren drei oder vier, darunter das erste und das letzte.

Das früheste (Nr. 615) zeigt sie im Alter von drei bis vier
Jahren 1). Es ist ein feines Kind, die Farben zart und blass,
die Augen etwas matt und noch ausdruckslos, das Oval kindlich
gedunsen, der Ton kühl und silberig. Von allen ist diess Bild
wol das heiterste, schimmerndste, farbigste. Das sparsam ver-
tretene Schwarz der Spitzen und der dunklen Edelsteine scheint

1) Sie heisst dort Maria Theresia, aber die Züge sind dem ihrer dreizehn
Jahre ältern Stiefschwester eben so fremd, wie ihren beglaubigten Bildnissen ähnlich;
überdiess ist der Stil der der fünfziger Jahre, und nicht des Jahres 1641 etwa.

Siebentes Buch.
1651). In jenen Jahren unaufhaltsamen Niedergangs und schmach-
voller Katastrophen war sie dem für die Sünden seiner Jugend
gestraften König ein letzter Sonnenblick seines umdunkelten
Lebensabends. Das Kind war von seltenem Reiz, und selbst
der stolze und spöttische Grammont, der ein groteskes Bild der
Hofgesellschaft jener Tage entwirft (1659), nennt sie in seinem
Brief an die Königin Anna „einen kleinen Engel“, und an Lud-
wig XIV: „so lebhaft und hübsch wie nur möglich“. Auch heute
noch fühlt man vor ihrem Bild die siegreiche Macht des immerdar
sich verjüngenden Lebens, das stets so frisch und hoffnungsreich
wieder beginnt, wie der Morgen. Solange noch der Saft in
einen letzten Zweig emporsteigt, solange wird er auch an dem
morschen Baum eine Blüte erzeugen können den duftigsten des
Frühlings gleich.

Und Dank der Magie der Kunst, steht sie noch so thaufrisch
und lebenathmend vor uns, wie vor zweihundertdreissig Jahren.
Wir begleiten ihr Emporblühen durch sechs Jahre. Mindestens
sieben Originalporträts sind uns zu Gesicht gekommen. Wie hat
doch der fünfzigjährige Mann, der sonst nur für den Reiz der
dunkelaugigen Kinder des Südens empfängliche Spanier die Mi-
schungen gefunden für diess Wesen von fremdem, nordischen Ge-
blüt und Farbe, — Mischungen, die ihm noch keiner abgesehn hat.
Er triumphirt sogar über die groteske Mode, sie berührt uns
hier wie ein Maskenscherz; die Kleine schüttelt sich und schwebt
empor, um den Wagen der Eos zu umflattern.

Von allen Bildnissen dieses Kindes sind nur zwei im
elterlichen Hause zu Madrid geblieben, eines in der Mitte
des grossen Familienbildes. Aber da sie schon in der Wiege
einem österreichischen Vetter bestimmt war, so wurden von Zeit
zu Zeit Bildnisse nach Wien gesandt, und die kaiserliche Galerie
bewahrt deren drei oder vier, darunter das erste und das letzte.

Das früheste (Nr. 615) zeigt sie im Alter von drei bis vier
Jahren 1). Es ist ein feines Kind, die Farben zart und blass,
die Augen etwas matt und noch ausdruckslos, das Oval kindlich
gedunsen, der Ton kühl und silberig. Von allen ist diess Bild
wol das heiterste, schimmerndste, farbigste. Das sparsam ver-
tretene Schwarz der Spitzen und der dunklen Edelsteine scheint

1) Sie heisst dort Maria Theresia, aber die Züge sind dem ihrer dreizehn
Jahre ältern Stiefschwester eben so fremd, wie ihren beglaubigten Bildnissen ähnlich;
überdiess ist der Stil der der fünfziger Jahre, und nicht des Jahres 1641 etwa.
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[302/0322] Siebentes Buch. 1651). In jenen Jahren unaufhaltsamen Niedergangs und schmach- voller Katastrophen war sie dem für die Sünden seiner Jugend gestraften König ein letzter Sonnenblick seines umdunkelten Lebensabends. Das Kind war von seltenem Reiz, und selbst der stolze und spöttische Grammont, der ein groteskes Bild der Hofgesellschaft jener Tage entwirft (1659), nennt sie in seinem Brief an die Königin Anna „einen kleinen Engel“, und an Lud- wig XIV: „so lebhaft und hübsch wie nur möglich“. Auch heute noch fühlt man vor ihrem Bild die siegreiche Macht des immerdar sich verjüngenden Lebens, das stets so frisch und hoffnungsreich wieder beginnt, wie der Morgen. Solange noch der Saft in einen letzten Zweig emporsteigt, solange wird er auch an dem morschen Baum eine Blüte erzeugen können den duftigsten des Frühlings gleich. Und Dank der Magie der Kunst, steht sie noch so thaufrisch und lebenathmend vor uns, wie vor zweihundertdreissig Jahren. Wir begleiten ihr Emporblühen durch sechs Jahre. Mindestens sieben Originalporträts sind uns zu Gesicht gekommen. Wie hat doch der fünfzigjährige Mann, der sonst nur für den Reiz der dunkelaugigen Kinder des Südens empfängliche Spanier die Mi- schungen gefunden für diess Wesen von fremdem, nordischen Ge- blüt und Farbe, — Mischungen, die ihm noch keiner abgesehn hat. Er triumphirt sogar über die groteske Mode, sie berührt uns hier wie ein Maskenscherz; die Kleine schüttelt sich und schwebt empor, um den Wagen der Eos zu umflattern. Von allen Bildnissen dieses Kindes sind nur zwei im elterlichen Hause zu Madrid geblieben, eines in der Mitte des grossen Familienbildes. Aber da sie schon in der Wiege einem österreichischen Vetter bestimmt war, so wurden von Zeit zu Zeit Bildnisse nach Wien gesandt, und die kaiserliche Galerie bewahrt deren drei oder vier, darunter das erste und das letzte. Das früheste (Nr. 615) zeigt sie im Alter von drei bis vier Jahren 1). Es ist ein feines Kind, die Farben zart und blass, die Augen etwas matt und noch ausdruckslos, das Oval kindlich gedunsen, der Ton kühl und silberig. Von allen ist diess Bild wol das heiterste, schimmerndste, farbigste. Das sparsam ver- tretene Schwarz der Spitzen und der dunklen Edelsteine scheint 1) Sie heisst dort Maria Theresia, aber die Züge sind dem ihrer dreizehn Jahre ältern Stiefschwester eben so fremd, wie ihren beglaubigten Bildnissen ähnlich; überdiess ist der Stil der der fünfziger Jahre, und nicht des Jahres 1641 etwa.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/322>, abgerufen am 28.03.2024.