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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
eindruck, als andere mit weiten Niederungen. In Rubens' Bildnis-
sen, wo der Augenpunkt wenig über dem Horizont liegt, stellen sich
die Fernen manchmal wie schmale übereinandergelegte Streifen
dar. Indessen sind die niederländischen Landschaften, mit ihrer
feuchten, mehr lichtbrechenden Atmosphäre duftiger, lichtge-
tränkter, poetischer, verglichen mit jenem erbarmungslos klaren
und kalten Blau spanischer Tafelländer.

Der wichtigste Punkt ist das System der Beleuchtung. An
die Stelle der bisher allgemein üblichen Nachmittags- und
Abendbeleuchtung setzte er das Morgenlicht. In seinen herr-
lichsten Reiterbildnissen zerfällt das Gemälde in zwei grosse Mas-
sen, die Figur und ihr Standort in warmem, gelbem, blassrothem
und bräunlichem, die Landschaft in kaltem blauem Ton, beide sich
gegenseitig steigernd. In diesem satten, cyanblauen Luftton
berührt sich Velazquez mit den ältern flandrischen Landschaftern.
Carducho, der seine Dialoge an die Ufer des Mansanares verlegt,
vergleicht die Gegend mit den Tafeln des Paul Bril 1).

Auf diese Weise vermochte der Maler bei allverbreitetem
gleichmässigem Tageslicht doch seine Figuren mit gutem
Erfolg, mit voller Körperlichkeit vom Grund zu lösen. Eine
Lokalfarbe wie das Kastanienbraun eines Pferdes bleibt auch
in vollem Tageslicht hinreichend stark, um die Gestalt der
Ferne mit allem Nachdruck entgegenzusetzen. Niemals hat er
aber die Wahrheit der Lokalfarbe solchen Zwecken geopfert,
etwa indem er, wie van Dyck, dem Gesicht einen warm-
bräunlichen Ton gab. Philipp IV blondes, weissliches, in's bläu-
liche schimmerndes Profil steht auf dem blauen Firmament. Es
wäre ein leichtes gewesen, die Masse des Vordergrunds durch
tiefe Abschattung mit dem Hintergrund zu contrastiren: er thut das
Gegentheil. Fast immer steht hinter dem Reiter am Rand der
Bildfläche ein Baum, vergleichbar der Säule in den Innenansichten.
Aber es ist nicht die dunkle, zurückschiebende Masse der conven-
tionellen Landschaftsmaler; sein Werth ist dem des Hintergrunds
gleich: es ist ein dünner Stamm, mit sparsamem Geäst, von stau-
bigem, silbrigen Laub umkränzt. Er hatte lange vor Constable
die Entdeckung gemacht, dass es den berühmten braunen Baum
in der Natur nicht gebe 2). Die erdfarbige Fläche des Vorder-

1) V. Carducho, Dialogos p. 115.
2) Sir George Beaumont sagte einmal: "Je suis embarrasse pour placer mon
arbre brun". Constable ouvrit la fenetre de l'atelier donnant sur un parc et dit: --
"Ou diable voyez-vous la votre arbre brun?" W. Burger, Salons I, 208.

Fünftes Buch.
eindruck, als andere mit weiten Niederungen. In Rubens’ Bildnis-
sen, wo der Augenpunkt wenig über dem Horizont liegt, stellen sich
die Fernen manchmal wie schmale übereinandergelegte Streifen
dar. Indessen sind die niederländischen Landschaften, mit ihrer
feuchten, mehr lichtbrechenden Atmosphäre duftiger, lichtge-
tränkter, poetischer, verglichen mit jenem erbarmungslos klaren
und kalten Blau spanischer Tafelländer.

Der wichtigste Punkt ist das System der Beleuchtung. An
die Stelle der bisher allgemein üblichen Nachmittags- und
Abendbeleuchtung setzte er das Morgenlicht. In seinen herr-
lichsten Reiterbildnissen zerfällt das Gemälde in zwei grosse Mas-
sen, die Figur und ihr Standort in warmem, gelbem, blassrothem
und bräunlichem, die Landschaft in kaltem blauem Ton, beide sich
gegenseitig steigernd. In diesem satten, cyanblauen Luftton
berührt sich Velazquez mit den ältern flandrischen Landschaftern.
Carducho, der seine Dialoge an die Ufer des Mansanares verlegt,
vergleicht die Gegend mit den Tafeln des Paul Bril 1).

Auf diese Weise vermochte der Maler bei allverbreitetem
gleichmässigem Tageslicht doch seine Figuren mit gutem
Erfolg, mit voller Körperlichkeit vom Grund zu lösen. Eine
Lokalfarbe wie das Kastanienbraun eines Pferdes bleibt auch
in vollem Tageslicht hinreichend stark, um die Gestalt der
Ferne mit allem Nachdruck entgegenzusetzen. Niemals hat er
aber die Wahrheit der Lokalfarbe solchen Zwecken geopfert,
etwa indem er, wie van Dyck, dem Gesicht einen warm-
bräunlichen Ton gab. Philipp IV blondes, weissliches, in’s bläu-
liche schimmerndes Profil steht auf dem blauen Firmament. Es
wäre ein leichtes gewesen, die Masse des Vordergrunds durch
tiefe Abschattung mit dem Hintergrund zu contrastiren: er thut das
Gegentheil. Fast immer steht hinter dem Reiter am Rand der
Bildfläche ein Baum, vergleichbar der Säule in den Innenansichten.
Aber es ist nicht die dunkle, zurückschiebende Masse der conven-
tionellen Landschaftsmaler; sein Werth ist dem des Hintergrunds
gleich: es ist ein dünner Stamm, mit sparsamem Geäst, von stau-
bigem, silbrigen Laub umkränzt. Er hatte lange vor Constable
die Entdeckung gemacht, dass es den berühmten braunen Baum
in der Natur nicht gebe 2). Die erdfarbige Fläche des Vorder-

1) V. Carducho, Diálogos p. 115.
2) Sir George Beaumont sagte einmal: „Je suis embarrassé pour placer mon
arbre brun“. Constable ouvrit la fenêtre de l’atelier donnant sur un parc et dit: —
„Où diable voyez-vous là votre arbre brun?“ W. Burger, Salons I, 208.
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[12/0032] Fünftes Buch. eindruck, als andere mit weiten Niederungen. In Rubens’ Bildnis- sen, wo der Augenpunkt wenig über dem Horizont liegt, stellen sich die Fernen manchmal wie schmale übereinandergelegte Streifen dar. Indessen sind die niederländischen Landschaften, mit ihrer feuchten, mehr lichtbrechenden Atmosphäre duftiger, lichtge- tränkter, poetischer, verglichen mit jenem erbarmungslos klaren und kalten Blau spanischer Tafelländer. Der wichtigste Punkt ist das System der Beleuchtung. An die Stelle der bisher allgemein üblichen Nachmittags- und Abendbeleuchtung setzte er das Morgenlicht. In seinen herr- lichsten Reiterbildnissen zerfällt das Gemälde in zwei grosse Mas- sen, die Figur und ihr Standort in warmem, gelbem, blassrothem und bräunlichem, die Landschaft in kaltem blauem Ton, beide sich gegenseitig steigernd. In diesem satten, cyanblauen Luftton berührt sich Velazquez mit den ältern flandrischen Landschaftern. Carducho, der seine Dialoge an die Ufer des Mansanares verlegt, vergleicht die Gegend mit den Tafeln des Paul Bril 1). Auf diese Weise vermochte der Maler bei allverbreitetem gleichmässigem Tageslicht doch seine Figuren mit gutem Erfolg, mit voller Körperlichkeit vom Grund zu lösen. Eine Lokalfarbe wie das Kastanienbraun eines Pferdes bleibt auch in vollem Tageslicht hinreichend stark, um die Gestalt der Ferne mit allem Nachdruck entgegenzusetzen. Niemals hat er aber die Wahrheit der Lokalfarbe solchen Zwecken geopfert, etwa indem er, wie van Dyck, dem Gesicht einen warm- bräunlichen Ton gab. Philipp IV blondes, weissliches, in’s bläu- liche schimmerndes Profil steht auf dem blauen Firmament. Es wäre ein leichtes gewesen, die Masse des Vordergrunds durch tiefe Abschattung mit dem Hintergrund zu contrastiren: er thut das Gegentheil. Fast immer steht hinter dem Reiter am Rand der Bildfläche ein Baum, vergleichbar der Säule in den Innenansichten. Aber es ist nicht die dunkle, zurückschiebende Masse der conven- tionellen Landschaftsmaler; sein Werth ist dem des Hintergrunds gleich: es ist ein dünner Stamm, mit sparsamem Geäst, von stau- bigem, silbrigen Laub umkränzt. Er hatte lange vor Constable die Entdeckung gemacht, dass es den berühmten braunen Baum in der Natur nicht gebe 2). Die erdfarbige Fläche des Vorder- 1) V. Carducho, Diálogos p. 115. 2) Sir George Beaumont sagte einmal: „Je suis embarrassé pour placer mon arbre brun“. Constable ouvrit la fenêtre de l’atelier donnant sur un parc et dit: — „Où diable voyez-vous là votre arbre brun?“ W. Burger, Salons I, 208.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/32>, abgerufen am 28.03.2024.