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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
mit dem Brevier und den auf den Lehnen ruhenden Armen
schwerlich verkennen; aber in den gedunsenen Zügen, dem zahn-
losen Mund, dem brutalen Kinn, dem lauernden Seitenblick liegt
ein Zug greisenhafter Ruhelosigkeit und Tücke. Es ist ein Bild
der Oede und Schädlichkeit eines nur noch vom Lebensreiz
quälender und übelwollender Leidenschaften angeregten, von der
Migräne (jaqueca) gemarterten Daseins. Ihre Gedanken weilen
wahrscheinlich bei den Kabalen, die sich um das fatale Testa-
ment spannen. Die Umgebung athmet ernste Pracht. Zur Lin-
ken öffnet sich ein von gedämpftem Licht erfüllter Raum, vor
dem eine hohe vom Adler getragene Pendeluhr ragt, ähnlich
einer Monstranz. Die Goldstickereien und Franzen am blauen
Vorhang, der weisse Teppich mit den gelben und braunen Schnör-
keln, das Tischtuch mit den grünlichen Goldblumen, das alles ist
aufs feinste gestimmt, wie in Metallstaub schwebend, der gleich
Weihrauchbrodem die scheinheilige, ins Gewand der Entsagung
gehüllte Hexe umspielt.

Maria Theresia.

Nach dem Tode des Prinzen Balthasar (1646) war Philipp IV
als einziges Kind noch eine Tochter geblieben, Maria Theresia,
geboren am 20. September 1638. Sie war nun die Erbin des
spanischen Throns, und es wurden Vorbereitungen für die
Huldigungsfeier getroffen. Bei der Wiedervermählung ihres
Vaters mit der nur drei Jahre ältern Marianne zählte sie elf
Jahre. Zwölf Jahre lang lebten die beiden jungen Damen, Enke-
linnen Ferdinand II und Heinrich IV, an demselben Hof; man
sah sie oft, bei Festen, bei Audienzen nebeneinander, und die
Infantin verdunkelte ihre Stiefmutter durch Anmuth und Ver-
stand. Bei einer Feier des Geburtstags der künftigen Königin
im December 1647 führte sie den Reigen der Damen, "mit so-
viel Lebhaftigkeit und Grazie", dass sie sich aller Herzen er-
oberte. "Der König war mit zärtlicher Aufmerksamkeit Zu-
schauer des Festes, das ihm seine einzige Tochter gab" 1). Sie
hatte sich so gewöhnt die erste Rolle zu spielen, dass sie die
Geburt eines Bruders fürchtete. Bei der kleinen Margarethe

1) La Signora Infanta ... guido la danza, con leggiadrissimo brio, e viva-
cita. Depesche Giustiniani's, 28. Dec. 1647.

Siebentes Buch.
mit dem Brevier und den auf den Lehnen ruhenden Armen
schwerlich verkennen; aber in den gedunsenen Zügen, dem zahn-
losen Mund, dem brutalen Kinn, dem lauernden Seitenblick liegt
ein Zug greisenhafter Ruhelosigkeit und Tücke. Es ist ein Bild
der Oede und Schädlichkeit eines nur noch vom Lebensreiz
quälender und übelwollender Leidenschaften angeregten, von der
Migräne (jaqueca) gemarterten Daseins. Ihre Gedanken weilen
wahrscheinlich bei den Kabalen, die sich um das fatale Testa-
ment spannen. Die Umgebung athmet ernste Pracht. Zur Lin-
ken öffnet sich ein von gedämpftem Licht erfüllter Raum, vor
dem eine hohe vom Adler getragene Pendeluhr ragt, ähnlich
einer Monstranz. Die Goldstickereien und Franzen am blauen
Vorhang, der weisse Teppich mit den gelben und braunen Schnör-
keln, das Tischtuch mit den grünlichen Goldblumen, das alles ist
aufs feinste gestimmt, wie in Metallstaub schwebend, der gleich
Weihrauchbrodem die scheinheilige, ins Gewand der Entsagung
gehüllte Hexe umspielt.

Maria Theresia.

Nach dem Tode des Prinzen Balthasar (1646) war Philipp IV
als einziges Kind noch eine Tochter geblieben, Maria Theresia,
geboren am 20. September 1638. Sie war nun die Erbin des
spanischen Throns, und es wurden Vorbereitungen für die
Huldigungsfeier getroffen. Bei der Wiedervermählung ihres
Vaters mit der nur drei Jahre ältern Marianne zählte sie elf
Jahre. Zwölf Jahre lang lebten die beiden jungen Damen, Enke-
linnen Ferdinand II und Heinrich IV, an demselben Hof; man
sah sie oft, bei Festen, bei Audienzen nebeneinander, und die
Infantin verdunkelte ihre Stiefmutter durch Anmuth und Ver-
stand. Bei einer Feier des Geburtstags der künftigen Königin
im December 1647 führte sie den Reigen der Damen, „mit so-
viel Lebhaftigkeit und Grazie“, dass sie sich aller Herzen er-
oberte. „Der König war mit zärtlicher Aufmerksamkeit Zu-
schauer des Festes, das ihm seine einzige Tochter gab“ 1). Sie
hatte sich so gewöhnt die erste Rolle zu spielen, dass sie die
Geburt eines Bruders fürchtete. Bei der kleinen Margarethe

1) La Signora Infanta … guidò la danza, con leggiadrissimo brio, e viva-
cità. Depesche Giustiniani’s, 28. Dec. 1647.
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[296/0316] Siebentes Buch. mit dem Brevier und den auf den Lehnen ruhenden Armen schwerlich verkennen; aber in den gedunsenen Zügen, dem zahn- losen Mund, dem brutalen Kinn, dem lauernden Seitenblick liegt ein Zug greisenhafter Ruhelosigkeit und Tücke. Es ist ein Bild der Oede und Schädlichkeit eines nur noch vom Lebensreiz quälender und übelwollender Leidenschaften angeregten, von der Migräne (jaqueca) gemarterten Daseins. Ihre Gedanken weilen wahrscheinlich bei den Kabalen, die sich um das fatale Testa- ment spannen. Die Umgebung athmet ernste Pracht. Zur Lin- ken öffnet sich ein von gedämpftem Licht erfüllter Raum, vor dem eine hohe vom Adler getragene Pendeluhr ragt, ähnlich einer Monstranz. Die Goldstickereien und Franzen am blauen Vorhang, der weisse Teppich mit den gelben und braunen Schnör- keln, das Tischtuch mit den grünlichen Goldblumen, das alles ist aufs feinste gestimmt, wie in Metallstaub schwebend, der gleich Weihrauchbrodem die scheinheilige, ins Gewand der Entsagung gehüllte Hexe umspielt. Maria Theresia. Nach dem Tode des Prinzen Balthasar (1646) war Philipp IV als einziges Kind noch eine Tochter geblieben, Maria Theresia, geboren am 20. September 1638. Sie war nun die Erbin des spanischen Throns, und es wurden Vorbereitungen für die Huldigungsfeier getroffen. Bei der Wiedervermählung ihres Vaters mit der nur drei Jahre ältern Marianne zählte sie elf Jahre. Zwölf Jahre lang lebten die beiden jungen Damen, Enke- linnen Ferdinand II und Heinrich IV, an demselben Hof; man sah sie oft, bei Festen, bei Audienzen nebeneinander, und die Infantin verdunkelte ihre Stiefmutter durch Anmuth und Ver- stand. Bei einer Feier des Geburtstags der künftigen Königin im December 1647 führte sie den Reigen der Damen, „mit so- viel Lebhaftigkeit und Grazie“, dass sie sich aller Herzen er- oberte. „Der König war mit zärtlicher Aufmerksamkeit Zu- schauer des Festes, das ihm seine einzige Tochter gab“ 1). Sie hatte sich so gewöhnt die erste Rolle zu spielen, dass sie die Geburt eines Bruders fürchtete. Bei der kleinen Margarethe 1) La Signora Infanta … guidò la danza, con leggiadrissimo brio, e viva- cità. Depesche Giustiniani’s, 28. Dec. 1647.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/316>, abgerufen am 28.03.2024.