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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Bildnisskunst des Meisters.

Er setzte diese Hintergründe dann in ein durchdachtes
System harmonischer und kontrastirender Beziehungen zur Figur,
obwol er seine Absichten so gut verbarg, dass man jene oft für
einfache Veduten gehalten hat. Ihre Merkmale sind der reine
Naturcharakter und das Tageslicht.

Die Landschaften sind wilde Natur: meist ohne jede Staffage
von lebenden Wesen, Bauten, Culturanlagen. Nur ausnahms-
weise, auf besondern Wunsch hat er einmal eine kriegerische
Aktion in den Hintergrund verlegt. In einem ältern Reiterbild,
das er umarbeiten sollte, hat er einen Kunstgarten getilgt und
mit einer Wildniss übermalt.

Einem Castilier, dem Maler eines Hofs, dessen Reisen haupt-
sächlich die Jagdreviere zum Ziel hatten, lagen Gebirgsumge-
bungen fast so nahe wie dem Schweizer etwa. Die Motive sind
der Guadarramakette entnommen, mit hohem Standort, wie er
bei niederländischen Gebirgsmalern üblich war; die Bergriesen
würden sonst beengend, beklemmend gewesen sein.

Er sucht einen beherrschenden Blick über den grossen
Wellenschlag der Thäler und Höhen. Reiter und Jäger stehen
auf der Terrasse einer Anhöhe, von der man in eine weite Thal-
mulde hinab und nach einem fernen Hochgebirgskamm hinüber-
sieht. Der Vordergrund setzt sich nach der Tiefe fort in mehreren
parallelen Profilen eines ziemlich steilen Abhangs. Im Mittel-
grund ragt etwa ein spärlich mit Unterholz bedeckter Hügel
hervor. Der Gegensatz der folgenden duftigen Tiefe mit dem
dahinter aufsteigenden, blauen, einmal schneeglänzenden Grat
des Hochgebirgs ist gross empfunden. Die Linie der Kette
sinkt von einem höchsten Punkt an der Seite nach dem Hinter-
grund zu allmählich herab. Also wieder Diagonalen, nah und
fern abwärts strebende Linien, welche die Axe der Figur, die
Bewegungslinie des Rosses durchkreuzen.

Die Aehnlichkeit mit Tizianschen Alpenscenen wird Nie-
manden entgehn; nur sind dessen Dolomiten in weitere Ferne
gerückt; ihr blauer Ton ist tiefer und schwerer, die Wolken mit
ihren festen Umrissen und weissen Lichtern körperhafter, und
stets wird der kalte Luftton von einigen warmen, gelb-rothen
Abendlichtern durchschnitten. Die Contour der spanischen
Sierren ist auch grösser, einfacher, vornehmer als in jenen ruinen-
haften Gebilden der Ostalpen.

Der spanische Maler gewann auf diese Weise, ungeachtet
seiner viel abgeschlosseneren Bergscenerie einen grössern Raum-

Die Bildnisskunst des Meisters.

Er setzte diese Hintergründe dann in ein durchdachtes
System harmonischer und kontrastirender Beziehungen zur Figur,
obwol er seine Absichten so gut verbarg, dass man jene oft für
einfache Veduten gehalten hat. Ihre Merkmale sind der reine
Naturcharakter und das Tageslicht.

Die Landschaften sind wilde Natur: meist ohne jede Staffage
von lebenden Wesen, Bauten, Culturanlagen. Nur ausnahms-
weise, auf besondern Wunsch hat er einmal eine kriegerische
Aktion in den Hintergrund verlegt. In einem ältern Reiterbild,
das er umarbeiten sollte, hat er einen Kunstgarten getilgt und
mit einer Wildniss übermalt.

Einem Castilier, dem Maler eines Hofs, dessen Reisen haupt-
sächlich die Jagdreviere zum Ziel hatten, lagen Gebirgsumge-
bungen fast so nahe wie dem Schweizer etwa. Die Motive sind
der Guadarramakette entnommen, mit hohem Standort, wie er
bei niederländischen Gebirgsmalern üblich war; die Bergriesen
würden sonst beengend, beklemmend gewesen sein.

Er sucht einen beherrschenden Blick über den grossen
Wellenschlag der Thäler und Höhen. Reiter und Jäger stehen
auf der Terrasse einer Anhöhe, von der man in eine weite Thal-
mulde hinab und nach einem fernen Hochgebirgskamm hinüber-
sieht. Der Vordergrund setzt sich nach der Tiefe fort in mehreren
parallelen Profilen eines ziemlich steilen Abhangs. Im Mittel-
grund ragt etwa ein spärlich mit Unterholz bedeckter Hügel
hervor. Der Gegensatz der folgenden duftigen Tiefe mit dem
dahinter aufsteigenden, blauen, einmal schneeglänzenden Grat
des Hochgebirgs ist gross empfunden. Die Linie der Kette
sinkt von einem höchsten Punkt an der Seite nach dem Hinter-
grund zu allmählich herab. Also wieder Diagonalen, nah und
fern abwärts strebende Linien, welche die Axe der Figur, die
Bewegungslinie des Rosses durchkreuzen.

Die Aehnlichkeit mit Tizianschen Alpenscenen wird Nie-
manden entgehn; nur sind dessen Dolomiten in weitere Ferne
gerückt; ihr blauer Ton ist tiefer und schwerer, die Wolken mit
ihren festen Umrissen und weissen Lichtern körperhafter, und
stets wird der kalte Luftton von einigen warmen, gelb-rothen
Abendlichtern durchschnitten. Die Contour der spanischen
Sierren ist auch grösser, einfacher, vornehmer als in jenen ruinen-
haften Gebilden der Ostalpen.

Der spanische Maler gewann auf diese Weise, ungeachtet
seiner viel abgeschlosseneren Bergscenerie einen grössern Raum-

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[11/0031] Die Bildnisskunst des Meisters. Er setzte diese Hintergründe dann in ein durchdachtes System harmonischer und kontrastirender Beziehungen zur Figur, obwol er seine Absichten so gut verbarg, dass man jene oft für einfache Veduten gehalten hat. Ihre Merkmale sind der reine Naturcharakter und das Tageslicht. Die Landschaften sind wilde Natur: meist ohne jede Staffage von lebenden Wesen, Bauten, Culturanlagen. Nur ausnahms- weise, auf besondern Wunsch hat er einmal eine kriegerische Aktion in den Hintergrund verlegt. In einem ältern Reiterbild, das er umarbeiten sollte, hat er einen Kunstgarten getilgt und mit einer Wildniss übermalt. Einem Castilier, dem Maler eines Hofs, dessen Reisen haupt- sächlich die Jagdreviere zum Ziel hatten, lagen Gebirgsumge- bungen fast so nahe wie dem Schweizer etwa. Die Motive sind der Guadarramakette entnommen, mit hohem Standort, wie er bei niederländischen Gebirgsmalern üblich war; die Bergriesen würden sonst beengend, beklemmend gewesen sein. Er sucht einen beherrschenden Blick über den grossen Wellenschlag der Thäler und Höhen. Reiter und Jäger stehen auf der Terrasse einer Anhöhe, von der man in eine weite Thal- mulde hinab und nach einem fernen Hochgebirgskamm hinüber- sieht. Der Vordergrund setzt sich nach der Tiefe fort in mehreren parallelen Profilen eines ziemlich steilen Abhangs. Im Mittel- grund ragt etwa ein spärlich mit Unterholz bedeckter Hügel hervor. Der Gegensatz der folgenden duftigen Tiefe mit dem dahinter aufsteigenden, blauen, einmal schneeglänzenden Grat des Hochgebirgs ist gross empfunden. Die Linie der Kette sinkt von einem höchsten Punkt an der Seite nach dem Hinter- grund zu allmählich herab. Also wieder Diagonalen, nah und fern abwärts strebende Linien, welche die Axe der Figur, die Bewegungslinie des Rosses durchkreuzen. Die Aehnlichkeit mit Tizianschen Alpenscenen wird Nie- manden entgehn; nur sind dessen Dolomiten in weitere Ferne gerückt; ihr blauer Ton ist tiefer und schwerer, die Wolken mit ihren festen Umrissen und weissen Lichtern körperhafter, und stets wird der kalte Luftton von einigen warmen, gelb-rothen Abendlichtern durchschnitten. Die Contour der spanischen Sierren ist auch grösser, einfacher, vornehmer als in jenen ruinen- haften Gebilden der Ostalpen. Der spanische Maler gewann auf diese Weise, ungeachtet seiner viel abgeschlosseneren Bergscenerie einen grössern Raum-

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/31>, abgerufen am 18.04.2024.