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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Königin Marianne.
nach den niederträchtigsten Modellen. Man glaubte das Anrecht
auf den Namen Künstler zu verscherzen, in Spanien insonderheit
einen Verrath am Nationalgeist zu begehn, wenn man zeichnete
und ausführte. Man berief sich auf das Sehen aus der Entfer-
nung, aber diese Sachen sind aus der Ferne noch unverständ-
licher als aus der Nähe.

Alt und jung, gross und klein,
Grässliches Gelichter:
Niemand will ein Schuster sein,
Jedermann ein Dichter.
(Goethe.)
Die Königin Marianne.

Nach dem Abschluss des erschöpfenden Kampfs mit den
Niederlanden glaubte der seit dem Jahre 1640 durch wieder-
holte Schicksalsschläge in Familie und Staat schwergeprüfte
König noch einmal bessere Tage hoffen zu können. Und in
seinem Hause ging ihm auch ein neues Leben auf. Er hatte in
diesem Jahrzehnt seine Königin, seinen Sohn, seinen Bruder Fer-
dinand und die Schwester Maria verloren; er stand einen Augen-
blick fast ganz einsam da. Nun sah er sich, auf der Schwelle des
Alters, wieder an der Seite einer jungen Königin, eines lieb-
lichen Töchterchens, und sogar Söhne wurden ihm bescheert, die
Hoffnung der grossen Monarchie.

Das Bild Mariannens von Oesterreich verfolgen wir fast ein
halbes Jahrhundert lang stetig im spanischen Ahnensaal; zuerst
als Neuvermählte, noch halb Kind, zuletzt im Witwenschleier;
in dieser Gestalt ist sie Velazquez' Amtsnachfolgern Mazo, Car-
renno und Coello vererbt worden.

Maria Anna, geboren 1635, war die Tochter Kaiser Ferdi-
nand III und der Maria, der vielgeliebten Schwester Philipp IV,
die vor zwanzig Jahren nach Wien vermählt worden war.
Dieses Geschenk wurde nun, nach Calderons Worten, von
Deutschland an Spanien zurückerstattet.

Nach dem plötzlichen Tod ihres Verlobten, des Erben der
Krone, wurde der Monarch von den Cortes bestürmt sich wieder
zu vermählen; er entschloss sich rasch an die Stelle seines
Sohnes einzutreten. Es fehlte nicht an solchen, welche diese
Ehe für sehr unschicklich hielten und keinen guten Ausgang

Die Königin Marianne.
nach den niederträchtigsten Modellen. Man glaubte das Anrecht
auf den Namen Künstler zu verscherzen, in Spanien insonderheit
einen Verrath am Nationalgeist zu begehn, wenn man zeichnete
und ausführte. Man berief sich auf das Sehen aus der Entfer-
nung, aber diese Sachen sind aus der Ferne noch unverständ-
licher als aus der Nähe.

Alt und jung, gross und klein,
Grässliches Gelichter:
Niemand will ein Schuster sein,
Jedermann ein Dichter.
(Goethe.)
Die Königin Marianne.

Nach dem Abschluss des erschöpfenden Kampfs mit den
Niederlanden glaubte der seit dem Jahre 1640 durch wieder-
holte Schicksalsschläge in Familie und Staat schwergeprüfte
König noch einmal bessere Tage hoffen zu können. Und in
seinem Hause ging ihm auch ein neues Leben auf. Er hatte in
diesem Jahrzehnt seine Königin, seinen Sohn, seinen Bruder Fer-
dinand und die Schwester Maria verloren; er stand einen Augen-
blick fast ganz einsam da. Nun sah er sich, auf der Schwelle des
Alters, wieder an der Seite einer jungen Königin, eines lieb-
lichen Töchterchens, und sogar Söhne wurden ihm bescheert, die
Hoffnung der grossen Monarchie.

Das Bild Mariannens von Oesterreich verfolgen wir fast ein
halbes Jahrhundert lang stetig im spanischen Ahnensaal; zuerst
als Neuvermählte, noch halb Kind, zuletzt im Witwenschleier;
in dieser Gestalt ist sie Velazquez’ Amtsnachfolgern Mazo, Car-
reño und Coello vererbt worden.

Maria Anna, geboren 1635, war die Tochter Kaiser Ferdi-
nand III und der Maria, der vielgeliebten Schwester Philipp IV,
die vor zwanzig Jahren nach Wien vermählt worden war.
Dieses Geschenk wurde nun, nach Calderons Worten, von
Deutschland an Spanien zurückerstattet.

Nach dem plötzlichen Tod ihres Verlobten, des Erben der
Krone, wurde der Monarch von den Cortes bestürmt sich wieder
zu vermählen; er entschloss sich rasch an die Stelle seines
Sohnes einzutreten. Es fehlte nicht an solchen, welche diese
Ehe für sehr unschicklich hielten und keinen guten Ausgang

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[285/0305] Die Königin Marianne. nach den niederträchtigsten Modellen. Man glaubte das Anrecht auf den Namen Künstler zu verscherzen, in Spanien insonderheit einen Verrath am Nationalgeist zu begehn, wenn man zeichnete und ausführte. Man berief sich auf das Sehen aus der Entfer- nung, aber diese Sachen sind aus der Ferne noch unverständ- licher als aus der Nähe. Alt und jung, gross und klein, Grässliches Gelichter: Niemand will ein Schuster sein, Jedermann ein Dichter. (Goethe.) Die Königin Marianne. Nach dem Abschluss des erschöpfenden Kampfs mit den Niederlanden glaubte der seit dem Jahre 1640 durch wieder- holte Schicksalsschläge in Familie und Staat schwergeprüfte König noch einmal bessere Tage hoffen zu können. Und in seinem Hause ging ihm auch ein neues Leben auf. Er hatte in diesem Jahrzehnt seine Königin, seinen Sohn, seinen Bruder Fer- dinand und die Schwester Maria verloren; er stand einen Augen- blick fast ganz einsam da. Nun sah er sich, auf der Schwelle des Alters, wieder an der Seite einer jungen Königin, eines lieb- lichen Töchterchens, und sogar Söhne wurden ihm bescheert, die Hoffnung der grossen Monarchie. Das Bild Mariannens von Oesterreich verfolgen wir fast ein halbes Jahrhundert lang stetig im spanischen Ahnensaal; zuerst als Neuvermählte, noch halb Kind, zuletzt im Witwenschleier; in dieser Gestalt ist sie Velazquez’ Amtsnachfolgern Mazo, Car- reño und Coello vererbt worden. Maria Anna, geboren 1635, war die Tochter Kaiser Ferdi- nand III und der Maria, der vielgeliebten Schwester Philipp IV, die vor zwanzig Jahren nach Wien vermählt worden war. Dieses Geschenk wurde nun, nach Calderons Worten, von Deutschland an Spanien zurückerstattet. Nach dem plötzlichen Tod ihres Verlobten, des Erben der Krone, wurde der Monarch von den Cortes bestürmt sich wieder zu vermählen; er entschloss sich rasch an die Stelle seines Sohnes einzutreten. Es fehlte nicht an solchen, welche diese Ehe für sehr unschicklich hielten und keinen guten Ausgang

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/305>, abgerufen am 18.04.2024.