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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
kalter Massen. Er hat mit Tizian die Modellirung in vollem
Licht gemein; aber sein Ton ist von dem der Venezianer sehr
verschieden; diese malten Antlitz und Nacktes in einem warmen
Mittelton mit Unterdrückung der grauen Reflextöne und weissen
Lichter. Der Spanier geht von der Beobachtung aus, dass die
kühlen grauen Tinten in der Haut überwiegen; sein Incarnat ist
wahrer, obwol es weniger zu den Sinnen spricht als das vene-
zianische, oder die feurigen Farben des Rubens mit ihren leuch-
tenden Reflexen; eher ist es Franz Hals verwandt. Die grossen
Reiterbildnisse, Breda, die Einsiedler, meist also Werke der
mittleren Zeit, sind die Hauptbeispiele der alten Zeit für jene
Malerei des diffusen Lichts, welche neuerdings mit Leidenschaft
und Erfolg aufs Tapet gebracht worden ist und, was nicht nöthig
war, nach der Sitte dieses Jahrhunderts der Nervosität, zu Partei-
sache und fanatischem Sektenbekenntniss gemacht worden ist.
Man kann sagen, sie sei von allen Arten der Beleuchtung die
schwierigste und ungefälligste -- vom Gesichtspunkt der Schön-
farbigkeit und der Farbenharmonie, aber doch die natürlichste,
und schliesslich schlage sie alle übrigen.

Wenn ich nicht irre, waren es W. Burger und Charles Blanc,
die zuerst diess Malen mit Gleichheit der Werthe bei Velazquez
bemerkt haben. "Alles modellirt sich in freier Luft, hell hebt
sich ab auf hell, blonde Farben stehn auf silbrigem Himmel,
zwischen dem Braun in der Ecke des Vordergrunds und der
Ferne ist kein Unterschied der valeurs". Er erhält die vollkom-
menste Modellirung und das Relief ohne Hülfe starker Schatten-
kontraste 1).

Wenn nun auch keiner der früheren Maler in diesem Punkt
ihm an die Seite gesetzt werden kann, so stand er doch auch
nicht ganz ausserhalb der Zeitströmung, wenigstens einer kurz
nach ihm eintretenden. Helle Haltung lag in der Richtung
des späteren siebzehnten Jahrhunderts. Nicht bloss bei den der
Farblosigkeit zuneigenden Tonmalern Hollands und seinen Vir-
tuosen des Sonnenlichts, oder später bei den französischen Malern
des Rococozeitalters. Auch in Italien war auf die Ueberspannung

1) Le peintre arrive au meme resultat que Leonard dans la Joconde, obtenant
le modele le plus parfait el le relief le plus reel, sans la ressource des contrastes
au moyen d'ombres prononcees. Oh l'incomprehensible! W. Burger, Tresors d'An-
gleterre p. 116. Tout se modele en plein-air, sans sacrifice apparent, sans artifices,
sans repoussoir. Gazette des Beaux-Arts XV, 65 f. 1863. P. Lefort, Velazquez.
Paris 1888. 101 f.

Siebentes Buch.
kalter Massen. Er hat mit Tizian die Modellirung in vollem
Licht gemein; aber sein Ton ist von dem der Venezianer sehr
verschieden; diese malten Antlitz und Nacktes in einem warmen
Mittelton mit Unterdrückung der grauen Reflextöne und weissen
Lichter. Der Spanier geht von der Beobachtung aus, dass die
kühlen grauen Tinten in der Haut überwiegen; sein Incarnat ist
wahrer, obwol es weniger zu den Sinnen spricht als das vene-
zianische, oder die feurigen Farben des Rubens mit ihren leuch-
tenden Reflexen; eher ist es Franz Hals verwandt. Die grossen
Reiterbildnisse, Breda, die Einsiedler, meist also Werke der
mittleren Zeit, sind die Hauptbeispiele der alten Zeit für jene
Malerei des diffusen Lichts, welche neuerdings mit Leidenschaft
und Erfolg aufs Tapet gebracht worden ist und, was nicht nöthig
war, nach der Sitte dieses Jahrhunderts der Nervosität, zu Partei-
sache und fanatischem Sektenbekenntniss gemacht worden ist.
Man kann sagen, sie sei von allen Arten der Beleuchtung die
schwierigste und ungefälligste — vom Gesichtspunkt der Schön-
farbigkeit und der Farbenharmonie, aber doch die natürlichste,
und schliesslich schlage sie alle übrigen.

Wenn ich nicht irre, waren es W. Burger und Charles Blanc,
die zuerst diess Malen mit Gleichheit der Werthe bei Velazquez
bemerkt haben. „Alles modellirt sich in freier Luft, hell hebt
sich ab auf hell, blonde Farben stehn auf silbrigem Himmel,
zwischen dem Braun in der Ecke des Vordergrunds und der
Ferne ist kein Unterschied der valeurs“. Er erhält die vollkom-
menste Modellirung und das Relief ohne Hülfe starker Schatten-
kontraste 1).

Wenn nun auch keiner der früheren Maler in diesem Punkt
ihm an die Seite gesetzt werden kann, so stand er doch auch
nicht ganz ausserhalb der Zeitströmung, wenigstens einer kurz
nach ihm eintretenden. Helle Haltung lag in der Richtung
des späteren siebzehnten Jahrhunderts. Nicht bloss bei den der
Farblosigkeit zuneigenden Tonmalern Hollands und seinen Vir-
tuosen des Sonnenlichts, oder später bei den französischen Malern
des Rococozeitalters. Auch in Italien war auf die Ueberspannung

1) Le peintre arrive au même résultat que Léonard dans la Joconde, obtenant
le modelé le plus parfait el le relief le plus réel, sans la ressource des contrastes
au moyen d’ombres prononcées. Oh l’incompréhensible! W. Burger, Trésors d’An-
gleterre p. 116. Tout se modèle en plein-air, sans sacrifice apparent, sans artifices,
sans repoussoir. Gazette des Beaux-Arts XV, 65 f. 1863. P. Lefort, Velazquez.
Paris 1888. 101 f.
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[282/0302] Siebentes Buch. kalter Massen. Er hat mit Tizian die Modellirung in vollem Licht gemein; aber sein Ton ist von dem der Venezianer sehr verschieden; diese malten Antlitz und Nacktes in einem warmen Mittelton mit Unterdrückung der grauen Reflextöne und weissen Lichter. Der Spanier geht von der Beobachtung aus, dass die kühlen grauen Tinten in der Haut überwiegen; sein Incarnat ist wahrer, obwol es weniger zu den Sinnen spricht als das vene- zianische, oder die feurigen Farben des Rubens mit ihren leuch- tenden Reflexen; eher ist es Franz Hals verwandt. Die grossen Reiterbildnisse, Breda, die Einsiedler, meist also Werke der mittleren Zeit, sind die Hauptbeispiele der alten Zeit für jene Malerei des diffusen Lichts, welche neuerdings mit Leidenschaft und Erfolg aufs Tapet gebracht worden ist und, was nicht nöthig war, nach der Sitte dieses Jahrhunderts der Nervosität, zu Partei- sache und fanatischem Sektenbekenntniss gemacht worden ist. Man kann sagen, sie sei von allen Arten der Beleuchtung die schwierigste und ungefälligste — vom Gesichtspunkt der Schön- farbigkeit und der Farbenharmonie, aber doch die natürlichste, und schliesslich schlage sie alle übrigen. Wenn ich nicht irre, waren es W. Burger und Charles Blanc, die zuerst diess Malen mit Gleichheit der Werthe bei Velazquez bemerkt haben. „Alles modellirt sich in freier Luft, hell hebt sich ab auf hell, blonde Farben stehn auf silbrigem Himmel, zwischen dem Braun in der Ecke des Vordergrunds und der Ferne ist kein Unterschied der valeurs“. Er erhält die vollkom- menste Modellirung und das Relief ohne Hülfe starker Schatten- kontraste 1). Wenn nun auch keiner der früheren Maler in diesem Punkt ihm an die Seite gesetzt werden kann, so stand er doch auch nicht ganz ausserhalb der Zeitströmung, wenigstens einer kurz nach ihm eintretenden. Helle Haltung lag in der Richtung des späteren siebzehnten Jahrhunderts. Nicht bloss bei den der Farblosigkeit zuneigenden Tonmalern Hollands und seinen Vir- tuosen des Sonnenlichts, oder später bei den französischen Malern des Rococozeitalters. Auch in Italien war auf die Ueberspannung 1) Le peintre arrive au même résultat que Léonard dans la Joconde, obtenant le modelé le plus parfait el le relief le plus réel, sans la ressource des contrastes au moyen d’ombres prononcées. Oh l’incompréhensible! W. Burger, Trésors d’An- gleterre p. 116. Tout se modèle en plein-air, sans sacrifice apparent, sans artifices, sans repoussoir. Gazette des Beaux-Arts XV, 65 f. 1863. P. Lefort, Velazquez. Paris 1888. 101 f.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/302>, abgerufen am 29.03.2024.