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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Die Schüler.
giebt Mercur, der sich hoch oben aus den Wolken herabstürzt.
An dem Tage, wo die geweihten Jungfrauen die Heiligthümer
der Pallas in bekränzten Körben in den Tempel tragen, ist der
Gott durch den Anblick der schönen Herse, der Zierde des Fest-
zugs, von seinem luftigen Pfade abgelenkt worden --

Vertit iter, caeloque petit diversa relicto.
(Ovid, Metamorph. II.)

Nur einen Schüler hat Velazquez noch gehabt, der sich mit
seinem Schwiegersohn messen konnte, aber das war ein Schüler
wider sein Wissen und Wollen, -- der Sklave Juan de Pareja,
dessen Bekanntschaft wir im heiligen Rom machten. Ein Men-
schenalter lang hatte er ihn wie sein Schatten begleitet, die
Leinwand grundirt, die Farben gerieben, Pinsel und Palette ge-
reicht, aber nie hatte er seinen Drang verrathen auch ein Maler
zu werden. Denn Velazquez gestattete ihm nicht, sich mit irgend
etwas das Malen oder Zeichnen hiess zu befassen, wegen der
Ehre der Kunst. Ein Sklave der malte, war eine Beschimpfung
der Künstler. Ihre Empfindlichkeit kannte keine Grenzen, wenn
die Frage des Rangs der Malerei berührt wurde. So übte er sich
denn in einsamen Stunden und nächtlicher Stille.

Als er sich das Zeugniss der Reife ausstellen zu können
glaubte, dachte er, wie er wol durch die unvermeidliche Ent-
hüllungsscene, vor der er namenlose Angst hatte, hindurch-
kommen könne. Keines geringern als Seiner Majestät Inter-
cession, glaubte er, werde ihn retten können. Er kannte deren
Güte und Nachsicht gegen jedes Talent, er hatte den Künstler-
einfall, einem Gemälde die stumme Fürsprache anzuvertrauen.
Die Leinwand, welche ihm als morceau de reception dienen sollte,
stellte er unbemerkt im Atelier gegen die Wand. Der König,
dachte er, wird bei seinem Besuch die Rahmen herumdrehen:
auf nichts konnte man unfehlbarere Berechnungen gründen als auf
die Gewohnheiten S. M. -- Als hochdieselben in der That das
Bild umdrehten und fragend nach dem Kammermaler blickten,
fiel der Krauskopf auf die Knie, bekannte und bat, ihn gegen
seinen Herrn zu schützen (amparar). Der König sagte: "Nicht
allein sollt Ihr ihm hierüber nichts weiter sagen: erwägt auch,
dass wer eine solche Geschicklichkeit besitzt, kein Sklave bleiben
kann." In Folge davon stellte ihm sein Herr den Freiheitsbrief
aus. Aber Pareja fuhr fort ihm zu dienen wie bisher, ja er ver-
erbte sich noch freiwillig auf jenes Tochter, die Frau Mazo's.
Er hatte also in jenen Jahren der Zurückhaltung keinen Groll

Die Schüler.
giebt Mercur, der sich hoch oben aus den Wolken herabstürzt.
An dem Tage, wo die geweihten Jungfrauen die Heiligthümer
der Pallas in bekränzten Körben in den Tempel tragen, ist der
Gott durch den Anblick der schönen Herse, der Zierde des Fest-
zugs, von seinem luftigen Pfade abgelenkt worden —

Vertit iter, caeloque petit diversa relicto.
(Ovid, Metamorph. II.)

Nur einen Schüler hat Velazquez noch gehabt, der sich mit
seinem Schwiegersohn messen konnte, aber das war ein Schüler
wider sein Wissen und Wollen, — der Sklave Juan de Pareja,
dessen Bekanntschaft wir im heiligen Rom machten. Ein Men-
schenalter lang hatte er ihn wie sein Schatten begleitet, die
Leinwand grundirt, die Farben gerieben, Pinsel und Palette ge-
reicht, aber nie hatte er seinen Drang verrathen auch ein Maler
zu werden. Denn Velazquez gestattete ihm nicht, sich mit irgend
etwas das Malen oder Zeichnen hiess zu befassen, wegen der
Ehre der Kunst. Ein Sklave der malte, war eine Beschimpfung
der Künstler. Ihre Empfindlichkeit kannte keine Grenzen, wenn
die Frage des Rangs der Malerei berührt wurde. So übte er sich
denn in einsamen Stunden und nächtlicher Stille.

Als er sich das Zeugniss der Reife ausstellen zu können
glaubte, dachte er, wie er wol durch die unvermeidliche Ent-
hüllungsscene, vor der er namenlose Angst hatte, hindurch-
kommen könne. Keines geringern als Seiner Majestät Inter-
cession, glaubte er, werde ihn retten können. Er kannte deren
Güte und Nachsicht gegen jedes Talent, er hatte den Künstler-
einfall, einem Gemälde die stumme Fürsprache anzuvertrauen.
Die Leinwand, welche ihm als morceau de réception dienen sollte,
stellte er unbemerkt im Atelier gegen die Wand. Der König,
dachte er, wird bei seinem Besuch die Rahmen herumdrehen:
auf nichts konnte man unfehlbarere Berechnungen gründen als auf
die Gewohnheiten S. M. — Als hochdieselben in der That das
Bild umdrehten und fragend nach dem Kammermaler blickten,
fiel der Krauskopf auf die Knie, bekannte und bat, ihn gegen
seinen Herrn zu schützen (amparar). Der König sagte: „Nicht
allein sollt Ihr ihm hierüber nichts weiter sagen: erwägt auch,
dass wer eine solche Geschicklichkeit besitzt, kein Sklave bleiben
kann.“ In Folge davon stellte ihm sein Herr den Freiheitsbrief
aus. Aber Pareja fuhr fort ihm zu dienen wie bisher, ja er ver-
erbte sich noch freiwillig auf jenes Tochter, die Frau Mazo’s.
Er hatte also in jenen Jahren der Zurückhaltung keinen Groll

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[267/0287] Die Schüler. giebt Mercur, der sich hoch oben aus den Wolken herabstürzt. An dem Tage, wo die geweihten Jungfrauen die Heiligthümer der Pallas in bekränzten Körben in den Tempel tragen, ist der Gott durch den Anblick der schönen Herse, der Zierde des Fest- zugs, von seinem luftigen Pfade abgelenkt worden — Vertit iter, caeloque petit diversa relicto. (Ovid, Metamorph. II.) Nur einen Schüler hat Velazquez noch gehabt, der sich mit seinem Schwiegersohn messen konnte, aber das war ein Schüler wider sein Wissen und Wollen, — der Sklave Juan de Pareja, dessen Bekanntschaft wir im heiligen Rom machten. Ein Men- schenalter lang hatte er ihn wie sein Schatten begleitet, die Leinwand grundirt, die Farben gerieben, Pinsel und Palette ge- reicht, aber nie hatte er seinen Drang verrathen auch ein Maler zu werden. Denn Velazquez gestattete ihm nicht, sich mit irgend etwas das Malen oder Zeichnen hiess zu befassen, wegen der Ehre der Kunst. Ein Sklave der malte, war eine Beschimpfung der Künstler. Ihre Empfindlichkeit kannte keine Grenzen, wenn die Frage des Rangs der Malerei berührt wurde. So übte er sich denn in einsamen Stunden und nächtlicher Stille. Als er sich das Zeugniss der Reife ausstellen zu können glaubte, dachte er, wie er wol durch die unvermeidliche Ent- hüllungsscene, vor der er namenlose Angst hatte, hindurch- kommen könne. Keines geringern als Seiner Majestät Inter- cession, glaubte er, werde ihn retten können. Er kannte deren Güte und Nachsicht gegen jedes Talent, er hatte den Künstler- einfall, einem Gemälde die stumme Fürsprache anzuvertrauen. Die Leinwand, welche ihm als morceau de réception dienen sollte, stellte er unbemerkt im Atelier gegen die Wand. Der König, dachte er, wird bei seinem Besuch die Rahmen herumdrehen: auf nichts konnte man unfehlbarere Berechnungen gründen als auf die Gewohnheiten S. M. — Als hochdieselben in der That das Bild umdrehten und fragend nach dem Kammermaler blickten, fiel der Krauskopf auf die Knie, bekannte und bat, ihn gegen seinen Herrn zu schützen (amparar). Der König sagte: „Nicht allein sollt Ihr ihm hierüber nichts weiter sagen: erwägt auch, dass wer eine solche Geschicklichkeit besitzt, kein Sklave bleiben kann.“ In Folge davon stellte ihm sein Herr den Freiheitsbrief aus. Aber Pareja fuhr fort ihm zu dienen wie bisher, ja er ver- erbte sich noch freiwillig auf jenes Tochter, die Frau Mazo’s. Er hatte also in jenen Jahren der Zurückhaltung keinen Groll

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/287>, abgerufen am 25.04.2024.