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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
"Es fehlt ihm an Worten, die viele Grazie der heiligen Jungfrau zu be-
zeichnen, ihr Antlitz ist mehr als menschlich." Ausdrücke die mehr in den
Mund eines theologischen Dilettanten, als in den eines Fachgenossen, am
wenigsten aber auf diess kalte Bild passen dürften. Die Bemerkung,
dass selbiges ebenso vorzüglich sei in der Zeichnung wie im Kolorit,
klingt wie gerichtet an die Adresse von Malern seiner eigenen Richtung,
welche den Urbinaten nur als Zeichner gelten lassen wollten. Aber auch
diese Bemerkung gehörte grade hier weniger hin. Denn die Perle ist mit
den schwarzen Schatten und der kühlen Glätte des Julio Romano ge-
malt, eine Manier, die von keiner weiter ablag als von der, nach welcher
sich Velazquez längst durchgerungen hatte. Er sagt auch, dass man etwas
ihr ebenbürtiges bisher in Spanien nicht gesehen habe: er hätte nur
auf die von ihm ebenfalls dort aufgestellte Madonna mit dem Fisch
hinzusehen brauchen, um ein erheblich höherstehendes und von Raphael
eigenhändig gemaltes Werk zu erkennen.

Vielleicht aber beweisen diese Stellen, dass unser Maler, so scharf
und fest von Charakter in seinen Werken, im übrigen ein Mann von
Welt und kein Sektirer war, ein Mann, der in seinem Kopf noch für
mehr Dinge Platz hatte, als für das was er selbst machte. --

Wenige, dünkt mich doch, werden diese Beschreibungen lesen, ohne
den Eindruck zu gewinnen, dass man von Velazquez nicht grade diess
erwartete. Mehr Nüchternheit vielleicht, mehr Sprache und Urtheil des
Mannes vom Metier. Wer einen Vergleich anstellen will, wie letztere
sich auszudrücken pflegen, der lese die Beschreibungen des P. Sigüenza,
der in vieljährigem Umgang mit der Malerkolonie des Escorial zur Zeit
Philipp II Auge und Sprache gebildet hatte.

Er preist Schönheit, zärtlichen und frommen Ausdruck, Adel und
grosse Manier, Fleiss (I), aparte Motive -- lauter Dinge, in denen gewiss
nicht der Schwerpunkt der Kunst des Velazquez lag. Dagegen vermisst
man Bemerkungen über Helldunkel, dessen Name, ebenso wie relieve
gar nicht vorkommt. Man könnte einwenden, er habe nicht für Fach-
leute geschrieben; aber auch so erscheint seine Sprache zu wenig eigen
und bedeutend. Wunderbar, ausgezeichnet, reizend gemalt; ein schönstes,
göttliches und sittig demüthiges Mariabild: das sind Worte die jeder
sennorita geläufig sind, die zum erstenmale in eine Gemäldegalerie ge-
führt wird. Das grüne Hemdchen des Engels (III) "göttlich gemalt" zu
nennen, klingt wirklich frauenzimmerlich. "Das ist Leben und Fleisch
aber keine Malerei", sind Phrasen, die seit den hellenistischen Sophisten
und Epigrammatikern stets wiederkehren bei denen, die über ein Bild
absolut nichts anderes zu sagen wissen. Solche Phrasen haben hier
gar wenig Bedeutung, da sie nicht nur von Tintoretto, sondern auch

Siebentes Buch.
„Es fehlt ihm an Worten, die viele Grazie der heiligen Jungfrau zu be-
zeichnen, ihr Antlitz ist mehr als menschlich.“ Ausdrücke die mehr in den
Mund eines theologischen Dilettanten, als in den eines Fachgenossen, am
wenigsten aber auf diess kalte Bild passen dürften. Die Bemerkung,
dass selbiges ebenso vorzüglich sei in der Zeichnung wie im Kolorit,
klingt wie gerichtet an die Adresse von Malern seiner eigenen Richtung,
welche den Urbinaten nur als Zeichner gelten lassen wollten. Aber auch
diese Bemerkung gehörte grade hier weniger hin. Denn die Perle ist mit
den schwarzen Schatten und der kühlen Glätte des Julio Romano ge-
malt, eine Manier, die von keiner weiter ablag als von der, nach welcher
sich Velazquez längst durchgerungen hatte. Er sagt auch, dass man etwas
ihr ebenbürtiges bisher in Spanien nicht gesehen habe: er hätte nur
auf die von ihm ebenfalls dort aufgestellte Madonna mit dem Fisch
hinzusehen brauchen, um ein erheblich höherstehendes und von Raphael
eigenhändig gemaltes Werk zu erkennen.

Vielleicht aber beweisen diese Stellen, dass unser Maler, so scharf
und fest von Charakter in seinen Werken, im übrigen ein Mann von
Welt und kein Sektirer war, ein Mann, der in seinem Kopf noch für
mehr Dinge Platz hatte, als für das was er selbst machte. —

Wenige, dünkt mich doch, werden diese Beschreibungen lesen, ohne
den Eindruck zu gewinnen, dass man von Velazquez nicht grade diess
erwartete. Mehr Nüchternheit vielleicht, mehr Sprache und Urtheil des
Mannes vom Metier. Wer einen Vergleich anstellen will, wie letztere
sich auszudrücken pflegen, der lese die Beschreibungen des P. Sigüenza,
der in vieljährigem Umgang mit der Malerkolonie des Escorial zur Zeit
Philipp II Auge und Sprache gebildet hatte.

Er preist Schönheit, zärtlichen und frommen Ausdruck, Adel und
grosse Manier, Fleiss (I), aparte Motive — lauter Dinge, in denen gewiss
nicht der Schwerpunkt der Kunst des Velazquez lag. Dagegen vermisst
man Bemerkungen über Helldunkel, dessen Name, ebenso wie relieve
gar nicht vorkommt. Man könnte einwenden, er habe nicht für Fach-
leute geschrieben; aber auch so erscheint seine Sprache zu wenig eigen
und bedeutend. Wunderbar, ausgezeichnet, reizend gemalt; ein schönstes,
göttliches und sittig demüthiges Mariabild: das sind Worte die jeder
señorita geläufig sind, die zum erstenmale in eine Gemäldegalerie ge-
führt wird. Das grüne Hemdchen des Engels (III) „göttlich gemalt“ zu
nennen, klingt wirklich frauenzimmerlich. „Das ist Leben und Fleisch
aber keine Malerei“, sind Phrasen, die seit den hellenistischen Sophisten
und Epigrammatikern stets wiederkehren bei denen, die über ein Bild
absolut nichts anderes zu sagen wissen. Solche Phrasen haben hier
gar wenig Bedeutung, da sie nicht nur von Tintoretto, sondern auch

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[254/0274] Siebentes Buch. „Es fehlt ihm an Worten, die viele Grazie der heiligen Jungfrau zu be- zeichnen, ihr Antlitz ist mehr als menschlich.“ Ausdrücke die mehr in den Mund eines theologischen Dilettanten, als in den eines Fachgenossen, am wenigsten aber auf diess kalte Bild passen dürften. Die Bemerkung, dass selbiges ebenso vorzüglich sei in der Zeichnung wie im Kolorit, klingt wie gerichtet an die Adresse von Malern seiner eigenen Richtung, welche den Urbinaten nur als Zeichner gelten lassen wollten. Aber auch diese Bemerkung gehörte grade hier weniger hin. Denn die Perle ist mit den schwarzen Schatten und der kühlen Glätte des Julio Romano ge- malt, eine Manier, die von keiner weiter ablag als von der, nach welcher sich Velazquez längst durchgerungen hatte. Er sagt auch, dass man etwas ihr ebenbürtiges bisher in Spanien nicht gesehen habe: er hätte nur auf die von ihm ebenfalls dort aufgestellte Madonna mit dem Fisch hinzusehen brauchen, um ein erheblich höherstehendes und von Raphael eigenhändig gemaltes Werk zu erkennen. Vielleicht aber beweisen diese Stellen, dass unser Maler, so scharf und fest von Charakter in seinen Werken, im übrigen ein Mann von Welt und kein Sektirer war, ein Mann, der in seinem Kopf noch für mehr Dinge Platz hatte, als für das was er selbst machte. — Wenige, dünkt mich doch, werden diese Beschreibungen lesen, ohne den Eindruck zu gewinnen, dass man von Velazquez nicht grade diess erwartete. Mehr Nüchternheit vielleicht, mehr Sprache und Urtheil des Mannes vom Metier. Wer einen Vergleich anstellen will, wie letztere sich auszudrücken pflegen, der lese die Beschreibungen des P. Sigüenza, der in vieljährigem Umgang mit der Malerkolonie des Escorial zur Zeit Philipp II Auge und Sprache gebildet hatte. Er preist Schönheit, zärtlichen und frommen Ausdruck, Adel und grosse Manier, Fleiss (I), aparte Motive — lauter Dinge, in denen gewiss nicht der Schwerpunkt der Kunst des Velazquez lag. Dagegen vermisst man Bemerkungen über Helldunkel, dessen Name, ebenso wie relieve gar nicht vorkommt. Man könnte einwenden, er habe nicht für Fach- leute geschrieben; aber auch so erscheint seine Sprache zu wenig eigen und bedeutend. Wunderbar, ausgezeichnet, reizend gemalt; ein schönstes, göttliches und sittig demüthiges Mariabild: das sind Worte die jeder señorita geläufig sind, die zum erstenmale in eine Gemäldegalerie ge- führt wird. Das grüne Hemdchen des Engels (III) „göttlich gemalt“ zu nennen, klingt wirklich frauenzimmerlich. „Das ist Leben und Fleisch aber keine Malerei“, sind Phrasen, die seit den hellenistischen Sophisten und Epigrammatikern stets wiederkehren bei denen, die über ein Bild absolut nichts anderes zu sagen wissen. Solche Phrasen haben hier gar wenig Bedeutung, da sie nicht nur von Tintoretto, sondern auch

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/274>, abgerufen am 29.03.2024.