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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
59jährigen mitfortreissend, seine Erlaubniss zur Veröffentlichung
der kleinen Denkschrift erhielt. In jugendlicher Ungeduld, um
den zeitraubenden Weg durch die Censur zu ersparen, kam
er auf den Gedanken, den Druckort Rom und eine dortige
Officin zu fälschen; auch hierzu drückte der Schlossmarschall ein
Auge zu.

Alfaro's Absicht wurde freilich so gut wie gar nicht erreicht,
wenigstens nicht für die Nachwelt der nächsten zwei Jahrhunderte.
Das Büchlein ist rasch verschollen, ja bis jetzt hat man nirgends
eine Erwähnung oder Anspielung auf seine Existenz gefunden.
Selbst der Herausgeber scheint sich kein Exemplar aufgehoben
zu haben. Wenigstens hat es Palomino in dessen Nachlass, der
ihm für seine Forschungen über Velazquez zur Verfügung stand,
nicht gefunden. Alfaro kann auch in seiner ausführlichen Er-
zählung der letzten Lebensjahre seines Meisters, einer Haupt-
quelle der Biographie Palomino's, dieses für ihn so aufregenden
Vorfalls nicht gedacht haben. Denn letzterer, der die spanischen
Kunstbücher sorgfältig gesammelt und verzeichnet hat und im
Citiren mit einem Catedratico von Salamanca wetteifert, würde
diesen raren Druck gewiss nicht vergessen haben, wenn er ihn
je gesehn, oder davon gelesen und gehört hätte.

Der glückliche Entdecker spricht in seinem Bericht an die
spanische Akademie 1) von dem Schweigen sämmtlicher Schrift-
steller über die Denkschrift des Velazquez. "Dieses tiefe
Schweigen von fast zwei Jahrhunderten hat der Ilmo. Sr. Don
Pedro Madrazo gebrochen, in seinem vortrefflichen Discurs über
Velazquez." Dieser Herr erwähnt nämlich darin die Notiz des
Palomino, um hinzuzufügen, "dass wir die Memoria zu unsrem Leid-
wesen für verloren achten" (que creemos lastimosamente perdida).

Dieses schöne Wort vom profundo silencio zweier Jahrhunderte
bis auf den Excmo. Sr. Madrazo (1870) ist indess nicht ganz genau.
Sir W. Stirling hatte bereits im Jahre 1848 in seinen Annalen
der Künstler Spaniens und in der daraus entnommenen Biographie
des Velazquez nicht nur die Memoria erwähnt, sondern sogar
die Vermuthung hinzugefügt, dass de los Santos sie in seiner
Beschreibung des Escorial benutzt haben möge 2). Dem berühmten

1) Cadiz 18. März 1871. Memorias de la Academia Espannola 1871. 481.
2) He drew up a catalogue of the whole, noting the position, painter, history,
and merits of each picture, a paper which probably guided Fray Francisco de los
Santos in his description of the Escorial, and may perhaps still exist in the royal
archives. Annals of the artists of Spain II, 654 f. London 1848.

Siebentes Buch.
59jährigen mitfortreissend, seine Erlaubniss zur Veröffentlichung
der kleinen Denkschrift erhielt. In jugendlicher Ungeduld, um
den zeitraubenden Weg durch die Censur zu ersparen, kam
er auf den Gedanken, den Druckort Rom und eine dortige
Officin zu fälschen; auch hierzu drückte der Schlossmarschall ein
Auge zu.

Alfaro’s Absicht wurde freilich so gut wie gar nicht erreicht,
wenigstens nicht für die Nachwelt der nächsten zwei Jahrhunderte.
Das Büchlein ist rasch verschollen, ja bis jetzt hat man nirgends
eine Erwähnung oder Anspielung auf seine Existenz gefunden.
Selbst der Herausgeber scheint sich kein Exemplar aufgehoben
zu haben. Wenigstens hat es Palomino in dessen Nachlass, der
ihm für seine Forschungen über Velazquez zur Verfügung stand,
nicht gefunden. Alfaro kann auch in seiner ausführlichen Er-
zählung der letzten Lebensjahre seines Meisters, einer Haupt-
quelle der Biographie Palomino’s, dieses für ihn so aufregenden
Vorfalls nicht gedacht haben. Denn letzterer, der die spanischen
Kunstbücher sorgfältig gesammelt und verzeichnet hat und im
Citiren mit einem Catedrático von Salamanca wetteifert, würde
diesen raren Druck gewiss nicht vergessen haben, wenn er ihn
je gesehn, oder davon gelesen und gehört hätte.

Der glückliche Entdecker spricht in seinem Bericht an die
spanische Akademie 1) von dem Schweigen sämmtlicher Schrift-
steller über die Denkschrift des Velazquez. „Dieses tiefe
Schweigen von fast zwei Jahrhunderten hat der Ilmo. Sr. Don
Pedro Madrazo gebrochen, in seinem vortrefflichen Discurs über
Velazquez.“ Dieser Herr erwähnt nämlich darin die Notiz des
Palomino, um hinzuzufügen, „dass wir die Memoria zu unsrem Leid-
wesen für verloren achten“ (que creemos lastimosamente perdida).

Dieses schöne Wort vom profundo silencio zweier Jahrhunderte
bis auf den Excmo. Sr. Madrazo (1870) ist indess nicht ganz genau.
Sir W. Stirling hatte bereits im Jahre 1848 in seinen Annalen
der Künstler Spaniens und in der daraus entnommenen Biographie
des Velazquez nicht nur die Memoria erwähnt, sondern sogar
die Vermuthung hinzugefügt, dass de los Santos sie in seiner
Beschreibung des Escorial benutzt haben möge 2). Dem berühmten

1) Cadiz 18. März 1871. Memorias de la Academia Española 1871. 481.
2) He drew up a catalogue of the whole, noting the position, painter, history,
and merits of each picture, a paper which probably guided Fray Francisco de los
Santos in his description of the Escorial, and may perhaps still exist in the royal
archives. Annals of the artists of Spain II, 654 f. London 1848.
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[246/0266] Siebentes Buch. 59jährigen mitfortreissend, seine Erlaubniss zur Veröffentlichung der kleinen Denkschrift erhielt. In jugendlicher Ungeduld, um den zeitraubenden Weg durch die Censur zu ersparen, kam er auf den Gedanken, den Druckort Rom und eine dortige Officin zu fälschen; auch hierzu drückte der Schlossmarschall ein Auge zu. Alfaro’s Absicht wurde freilich so gut wie gar nicht erreicht, wenigstens nicht für die Nachwelt der nächsten zwei Jahrhunderte. Das Büchlein ist rasch verschollen, ja bis jetzt hat man nirgends eine Erwähnung oder Anspielung auf seine Existenz gefunden. Selbst der Herausgeber scheint sich kein Exemplar aufgehoben zu haben. Wenigstens hat es Palomino in dessen Nachlass, der ihm für seine Forschungen über Velazquez zur Verfügung stand, nicht gefunden. Alfaro kann auch in seiner ausführlichen Er- zählung der letzten Lebensjahre seines Meisters, einer Haupt- quelle der Biographie Palomino’s, dieses für ihn so aufregenden Vorfalls nicht gedacht haben. Denn letzterer, der die spanischen Kunstbücher sorgfältig gesammelt und verzeichnet hat und im Citiren mit einem Catedrático von Salamanca wetteifert, würde diesen raren Druck gewiss nicht vergessen haben, wenn er ihn je gesehn, oder davon gelesen und gehört hätte. Der glückliche Entdecker spricht in seinem Bericht an die spanische Akademie 1) von dem Schweigen sämmtlicher Schrift- steller über die Denkschrift des Velazquez. „Dieses tiefe Schweigen von fast zwei Jahrhunderten hat der Ilmo. Sr. Don Pedro Madrazo gebrochen, in seinem vortrefflichen Discurs über Velazquez.“ Dieser Herr erwähnt nämlich darin die Notiz des Palomino, um hinzuzufügen, „dass wir die Memoria zu unsrem Leid- wesen für verloren achten“ (que creemos lastimosamente perdida). Dieses schöne Wort vom profundo silencio zweier Jahrhunderte bis auf den Excmo. Sr. Madrazo (1870) ist indess nicht ganz genau. Sir W. Stirling hatte bereits im Jahre 1848 in seinen Annalen der Künstler Spaniens und in der daraus entnommenen Biographie des Velazquez nicht nur die Memoria erwähnt, sondern sogar die Vermuthung hinzugefügt, dass de los Santos sie in seiner Beschreibung des Escorial benutzt haben möge 2). Dem berühmten 1) Cadiz 18. März 1871. Memorias de la Academia Española 1871. 481. 2) He drew up a catalogue of the whole, noting the position, painter, history, and merits of each picture, a paper which probably guided Fray Francisco de los Santos in his description of the Escorial, and may perhaps still exist in the royal archives. Annals of the artists of Spain II, 654 f. London 1848.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/266>, abgerufen am 29.03.2024.