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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
Sittenbilder machte, hatte er sich eine Methode erfunden, durch
welche er Treffsicherheit und den nationalen Stil des Portraits ge-
wann. Der Kreis junger Maler, in dem er die tonangebende
Persönlichkeit gewesen sein mag, glaubte, wie einst in ihrer
Weise die Meister von Florenz und Brügge, dass das keine
gute Malerei sei, was man ohne engen Anschluss ans Modell
mache, während nicht so sehr viel darauf ankomme, welche
Modelle man wähle, wenn nur der -- poetischen, legendarischen
-- Gestalt der Stempel der Natur, der kräftige Geschmack der
Individualität gegeben werde.

Wie man auch über die Folgen der Obliegenheiten und Zer-
streuungen am Hofe denken mag, einen enormen Vortheil hatte
er als Kammermaler: er malte Leute, bei denen er zu Hause war.
Denn sind nicht die besten, die weltberühmten Arbeiten der
grossen Porträtisten Bildnisse von Personen, welche sie durch
Dauer oder Enge des Verkehrs auszukennen Gelegenheit hatten?
Bien comprendre son homme est la premiere qualite du portraitiste,
sagte Burger; und die menschliche Physiognomie ist ein Buch,
dessen Sinn man nicht in einigen Sitzungen kennen lernt. Das
wusste selbst Raphael Mengs. Als der Churfürst ihm wegen
seines Bildnisses des Sängers Annibali (Brera) eine Artigkeit
sagte, entfuhren ihm die Worte: Ja, Sire, der Freund ist darin,
etwas das Könige nicht kennen.

Seine Tugend der Wahrhaftigkeit hat auch am Hof nicht
Schaden gelitten. Nicht Schmeicheln hat er dort gelernt; eher
scheint er etwas von der trocknen Skepsis und Kälte des Hof-
manns angenommen zu haben. Kein Gesandter der in chiffrirten
Depeschen seinem Souverän über Personen Rapport abstattet,
kein St. Simon der das ungeschminkte Bild seiner Umgebung für
Leser nach seinem Tode in der Kassette verwahrt, würde offener,
rücksichtsloser sein können. Nicht viele Fürsten und Höfe wür-
den selbst heute einen solchen Darsteller vertragen. In diesem
Realismus, nicht anders erscheinen zu wollen als man ist, war
auch der Hof der Verfallzeit echt- und altspanisch.

Das aber ist richtig, dass in Folge jenes Entschlusses, Sevilla
mit Madrid zu vertauschen, eine etwas melancholische Gesell-
schaft sein Loos geworden ist. Halb Byzanz, halb Boheme; das
Bild einer Nation, die in ihrer äussern Erscheinung noch wie in
den grossen Tagen der Vorzeit, durch politische Irrthümer und
verhängnissvolle Vorurtheile von ihrer weltbeherrschenden Höhe
herabsinkt; die letzten matten Sprossen einer dem Erlöschen

Fünftes Buch.
Sittenbilder machte, hatte er sich eine Methode erfunden, durch
welche er Treffsicherheit und den nationalen Stil des Portraits ge-
wann. Der Kreis junger Maler, in dem er die tonangebende
Persönlichkeit gewesen sein mag, glaubte, wie einst in ihrer
Weise die Meister von Florenz und Brügge, dass das keine
gute Malerei sei, was man ohne engen Anschluss ans Modell
mache, während nicht so sehr viel darauf ankomme, welche
Modelle man wähle, wenn nur der — poetischen, legendarischen
— Gestalt der Stempel der Natur, der kräftige Geschmack der
Individualität gegeben werde.

Wie man auch über die Folgen der Obliegenheiten und Zer-
streuungen am Hofe denken mag, einen enormen Vortheil hatte
er als Kammermaler: er malte Leute, bei denen er zu Hause war.
Denn sind nicht die besten, die weltberühmten Arbeiten der
grossen Porträtisten Bildnisse von Personen, welche sie durch
Dauer oder Enge des Verkehrs auszukennen Gelegenheit hatten?
Bien comprendre son homme est la première qualité du portraitiste,
sagte Burger; und die menschliche Physiognomie ist ein Buch,
dessen Sinn man nicht in einigen Sitzungen kennen lernt. Das
wusste selbst Raphael Mengs. Als der Churfürst ihm wegen
seines Bildnisses des Sängers Annibali (Brera) eine Artigkeit
sagte, entfuhren ihm die Worte: Ja, Sire, der Freund ist darin,
etwas das Könige nicht kennen.

Seine Tugend der Wahrhaftigkeit hat auch am Hof nicht
Schaden gelitten. Nicht Schmeicheln hat er dort gelernt; eher
scheint er etwas von der trocknen Skepsis und Kälte des Hof-
manns angenommen zu haben. Kein Gesandter der in chiffrirten
Depeschen seinem Souverän über Personen Rapport abstattet,
kein St. Simon der das ungeschminkte Bild seiner Umgebung für
Leser nach seinem Tode in der Kassette verwahrt, würde offener,
rücksichtsloser sein können. Nicht viele Fürsten und Höfe wür-
den selbst heute einen solchen Darsteller vertragen. In diesem
Realismus, nicht anders erscheinen zu wollen als man ist, war
auch der Hof der Verfallzeit echt- und altspanisch.

Das aber ist richtig, dass in Folge jenes Entschlusses, Sevilla
mit Madrid zu vertauschen, eine etwas melancholische Gesell-
schaft sein Loos geworden ist. Halb Byzanz, halb Bohème; das
Bild einer Nation, die in ihrer äussern Erscheinung noch wie in
den grossen Tagen der Vorzeit, durch politische Irrthümer und
verhängnissvolle Vorurtheile von ihrer weltbeherrschenden Höhe
herabsinkt; die letzten matten Sprossen einer dem Erlöschen

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[4/0024] Fünftes Buch. Sittenbilder machte, hatte er sich eine Methode erfunden, durch welche er Treffsicherheit und den nationalen Stil des Portraits ge- wann. Der Kreis junger Maler, in dem er die tonangebende Persönlichkeit gewesen sein mag, glaubte, wie einst in ihrer Weise die Meister von Florenz und Brügge, dass das keine gute Malerei sei, was man ohne engen Anschluss ans Modell mache, während nicht so sehr viel darauf ankomme, welche Modelle man wähle, wenn nur der — poetischen, legendarischen — Gestalt der Stempel der Natur, der kräftige Geschmack der Individualität gegeben werde. Wie man auch über die Folgen der Obliegenheiten und Zer- streuungen am Hofe denken mag, einen enormen Vortheil hatte er als Kammermaler: er malte Leute, bei denen er zu Hause war. Denn sind nicht die besten, die weltberühmten Arbeiten der grossen Porträtisten Bildnisse von Personen, welche sie durch Dauer oder Enge des Verkehrs auszukennen Gelegenheit hatten? Bien comprendre son homme est la première qualité du portraitiste, sagte Burger; und die menschliche Physiognomie ist ein Buch, dessen Sinn man nicht in einigen Sitzungen kennen lernt. Das wusste selbst Raphael Mengs. Als der Churfürst ihm wegen seines Bildnisses des Sängers Annibali (Brera) eine Artigkeit sagte, entfuhren ihm die Worte: Ja, Sire, der Freund ist darin, etwas das Könige nicht kennen. Seine Tugend der Wahrhaftigkeit hat auch am Hof nicht Schaden gelitten. Nicht Schmeicheln hat er dort gelernt; eher scheint er etwas von der trocknen Skepsis und Kälte des Hof- manns angenommen zu haben. Kein Gesandter der in chiffrirten Depeschen seinem Souverän über Personen Rapport abstattet, kein St. Simon der das ungeschminkte Bild seiner Umgebung für Leser nach seinem Tode in der Kassette verwahrt, würde offener, rücksichtsloser sein können. Nicht viele Fürsten und Höfe wür- den selbst heute einen solchen Darsteller vertragen. In diesem Realismus, nicht anders erscheinen zu wollen als man ist, war auch der Hof der Verfallzeit echt- und altspanisch. Das aber ist richtig, dass in Folge jenes Entschlusses, Sevilla mit Madrid zu vertauschen, eine etwas melancholische Gesell- schaft sein Loos geworden ist. Halb Byzanz, halb Bohème; das Bild einer Nation, die in ihrer äussern Erscheinung noch wie in den grossen Tagen der Vorzeit, durch politische Irrthümer und verhängnissvolle Vorurtheile von ihrer weltbeherrschenden Höhe herabsinkt; die letzten matten Sprossen einer dem Erlöschen

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/24>, abgerufen am 29.03.2024.