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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Metelli und Colonna.
auf der Galerie einige Rosen nimmt, ein Mohr der den Teppich
über die Balustrade hängt; solche Figuren, etwa verknüpft durch
eine alltägliche Veranlassung: z. B. die Blicke von verschiedenen
Punkten des Saals konvergirend auf einen entflohenen Papagei.
In der Galerie Musikchöre. In einem Saal des Pitti erscheint
am Fuss der Treppe der Hofpoet und Hofnarr Fagioli. Also die
eigentliche Gesellschaft ist abwesend, in den Räumen dahinter.
Oder ideale Figuren über dem Karnies, Putten mit Blumen- und
Fruchtgehängen, allegorische Frauen an ihre grossen Goldrelief-
tafeln gelehnt. In S. Alessandro zu Parma verwandelt sich der
hier auf das Gewölbe beschränkte Prachtbau in einen himmlischen
Tempel, und man entdeckt in einer Loggia hier Mose mit den
Tafeln, dort Herodias mit des Täufers Haupt, die heil. Jungfrau
bei dem Besuch des Engels. Nur für das grosse blaue Auge der
Decke wurde eine Gruppe schwebender Figuren im Stil der
Kuppeln Correggio's bestimmt. So in der Rosenkranzkapelle
die Asunta, im Alexandersaal zu Florenz die Apotheose des
grossen Macedoniers, in Sassuolo die Gottheiten des Este'schen
Musenhofs. Sie drücken die Idee des jedesmaligen Raums aus, und
erklären die vereinzelten Anspielungen in den Reliefs und Bild-
säulen unten. Vielleicht ist die Horizontalperspective für Figuren
nirgends so glücklich verwendet worden wie hier. Statt die Ge-
sammtfläche des architektonischen Abschlusses zu vernichten, sind
die Gruppen für die kleine Oeffnung im Zenith aufgespart; hier wirkt
die Fülle bewegter Gestalten als willkommenes Gegengewicht zu
der Leere der Quadratur, und die Phantasie, durch alles übrige
in eine gewisse geheimnissvolle Spannung versetzt, begrüsst in
den dem Raum entschwebenden Wesen den Genius des Orts,
den Schlüssel des Ganzen.

Jene Staffagefiguren vollenden auch die malerische Gesammt-
wirkung, sparsam ausgestreut stehn sie mit ihren lebhaften
Farben in glücklichem Contrast zu dem herrschenden farblosen
Ton des Marmors, der Bronze, des Goldes. Dieser Gesammt-
eindruck ist ein vornehmer.

Obwol jeder von beiden Künstlern die perspectivische und
die Figurenmalerei beherrschte, so hatten sie doch seit ihrer Ver-
einigung beide unter sich vertheilt. Metelli malte nur Architektur,
Colonna nur Figuren, Statuen, Blumen, aber nach dem von
jenem vorgezeichneten Entwurf. Obwol Angelo Michele ein
geschickter und fruchtbarer Historienmaler war, wie seine Ar-
beiten in bolognesischen Kirchen und Palästen beweisen, so

Metelli und Colonna.
auf der Galerie einige Rosen nimmt, ein Mohr der den Teppich
über die Balustrade hängt; solche Figuren, etwa verknüpft durch
eine alltägliche Veranlassung: z. B. die Blicke von verschiedenen
Punkten des Saals konvergirend auf einen entflohenen Papagei.
In der Galerie Musikchöre. In einem Saal des Pitti erscheint
am Fuss der Treppe der Hofpoet und Hofnarr Fagioli. Also die
eigentliche Gesellschaft ist abwesend, in den Räumen dahinter.
Oder ideale Figuren über dem Karnies, Putten mit Blumen- und
Fruchtgehängen, allegorische Frauen an ihre grossen Goldrelief-
tafeln gelehnt. In S. Alessandro zu Parma verwandelt sich der
hier auf das Gewölbe beschränkte Prachtbau in einen himmlischen
Tempel, und man entdeckt in einer Loggia hier Mose mit den
Tafeln, dort Herodias mit des Täufers Haupt, die heil. Jungfrau
bei dem Besuch des Engels. Nur für das grosse blaue Auge der
Decke wurde eine Gruppe schwebender Figuren im Stil der
Kuppeln Correggio’s bestimmt. So in der Rosenkranzkapelle
die Asunta, im Alexandersaal zu Florenz die Apotheose des
grossen Macedoniers, in Sassuolo die Gottheiten des Este’schen
Musenhofs. Sie drücken die Idee des jedesmaligen Raums aus, und
erklären die vereinzelten Anspielungen in den Reliefs und Bild-
säulen unten. Vielleicht ist die Horizontalperspective für Figuren
nirgends so glücklich verwendet worden wie hier. Statt die Ge-
sammtfläche des architektonischen Abschlusses zu vernichten, sind
die Gruppen für die kleine Oeffnung im Zenith aufgespart; hier wirkt
die Fülle bewegter Gestalten als willkommenes Gegengewicht zu
der Leere der Quadratur, und die Phantasie, durch alles übrige
in eine gewisse geheimnissvolle Spannung versetzt, begrüsst in
den dem Raum entschwebenden Wesen den Genius des Orts,
den Schlüssel des Ganzen.

Jene Staffagefiguren vollenden auch die malerische Gesammt-
wirkung, sparsam ausgestreut stehn sie mit ihren lebhaften
Farben in glücklichem Contrast zu dem herrschenden farblosen
Ton des Marmors, der Bronze, des Goldes. Dieser Gesammt-
eindruck ist ein vornehmer.

Obwol jeder von beiden Künstlern die perspectivische und
die Figurenmalerei beherrschte, so hatten sie doch seit ihrer Ver-
einigung beide unter sich vertheilt. Metelli malte nur Architektur,
Colonna nur Figuren, Statuen, Blumen, aber nach dem von
jenem vorgezeichneten Entwurf. Obwol Angelo Michele ein
geschickter und fruchtbarer Historienmaler war, wie seine Ar-
beiten in bolognesischen Kirchen und Palästen beweisen, so

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[203/0223] Metelli und Colonna. auf der Galerie einige Rosen nimmt, ein Mohr der den Teppich über die Balustrade hängt; solche Figuren, etwa verknüpft durch eine alltägliche Veranlassung: z. B. die Blicke von verschiedenen Punkten des Saals konvergirend auf einen entflohenen Papagei. In der Galerie Musikchöre. In einem Saal des Pitti erscheint am Fuss der Treppe der Hofpoet und Hofnarr Fagioli. Also die eigentliche Gesellschaft ist abwesend, in den Räumen dahinter. Oder ideale Figuren über dem Karnies, Putten mit Blumen- und Fruchtgehängen, allegorische Frauen an ihre grossen Goldrelief- tafeln gelehnt. In S. Alessandro zu Parma verwandelt sich der hier auf das Gewölbe beschränkte Prachtbau in einen himmlischen Tempel, und man entdeckt in einer Loggia hier Mose mit den Tafeln, dort Herodias mit des Täufers Haupt, die heil. Jungfrau bei dem Besuch des Engels. Nur für das grosse blaue Auge der Decke wurde eine Gruppe schwebender Figuren im Stil der Kuppeln Correggio’s bestimmt. So in der Rosenkranzkapelle die Asunta, im Alexandersaal zu Florenz die Apotheose des grossen Macedoniers, in Sassuolo die Gottheiten des Este’schen Musenhofs. Sie drücken die Idee des jedesmaligen Raums aus, und erklären die vereinzelten Anspielungen in den Reliefs und Bild- säulen unten. Vielleicht ist die Horizontalperspective für Figuren nirgends so glücklich verwendet worden wie hier. Statt die Ge- sammtfläche des architektonischen Abschlusses zu vernichten, sind die Gruppen für die kleine Oeffnung im Zenith aufgespart; hier wirkt die Fülle bewegter Gestalten als willkommenes Gegengewicht zu der Leere der Quadratur, und die Phantasie, durch alles übrige in eine gewisse geheimnissvolle Spannung versetzt, begrüsst in den dem Raum entschwebenden Wesen den Genius des Orts, den Schlüssel des Ganzen. Jene Staffagefiguren vollenden auch die malerische Gesammt- wirkung, sparsam ausgestreut stehn sie mit ihren lebhaften Farben in glücklichem Contrast zu dem herrschenden farblosen Ton des Marmors, der Bronze, des Goldes. Dieser Gesammt- eindruck ist ein vornehmer. Obwol jeder von beiden Künstlern die perspectivische und die Figurenmalerei beherrschte, so hatten sie doch seit ihrer Ver- einigung beide unter sich vertheilt. Metelli malte nur Architektur, Colonna nur Figuren, Statuen, Blumen, aber nach dem von jenem vorgezeichneten Entwurf. Obwol Angelo Michele ein geschickter und fruchtbarer Historienmaler war, wie seine Ar- beiten in bolognesischen Kirchen und Palästen beweisen, so

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/223>, abgerufen am 28.03.2024.