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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Sechstes Buch.
zu erkennen; "einen Anflug von Leidenschaften des sanguinischen
Temperaments" 1).

Bronze und Marmor hingegen geben den Eindruck eher
eines Phlegmatikers von vorwiegendem Verstand; des gewiegten
Politikers und Kanonisten. Der Blick dieses mageren Greisen-
kopfs ist ruhig, aufmerksam, in einigen Exemplaren glaubt man
die skeptische Kälte und Menschenverachtung zu erkennen, in
andern einen Zug von Bonhomie. Innocenz war ein in den
Congregationen und der Curialarbeit ergrauter Herr als er den
Thron bestieg. Dazu stimmt diese über den buschigen Brauen
stark vortretende Stirn, welche die kleinen Augen mit falten-
durchwühlter Umgebung beschattet, die ausgeprägten Wangen-
knochen. Die Unterlippe tritt etwas zurück: das Umgekehrte
im Gemälde war eine Täuschung des Auges, verursacht durch
das Licht auf jener. Vornehmlich aber kommt der veränderte
Eindruck auf Rechnung der Farbe -- so sehr kann die Farbe
den Charakter eines Antlitzes ändern: eine hoch geröthete Ge-
sichtshaut vermuthet man nicht in dem mageren Greisenkopf.

Pabstbildnisse lassen der Farbenauswahl wenig Spielraum.
Mütze (camauro), Mäntelchen (mozzetta), Sessel, Portiera haben
sämmtlich leuchtendes Karmoisin, mit unbedeutenden Nüancen,
nur unterbrochen, aber auch gehoben durch das schneeweisse
Chorhemd. Hier hiess es, inmitten einer prächtigen, quantitativ
übermächtigen Farbe, die sich durch die Reflexe noch entzündet,
das Antlitz zur Geltung zu bringen, auch das sinnliche Auge
darauf zu lenken.

Diese Aufgabe wurde hier noch erschwert durch den Um-
stand, dass die Gesichtsfarbe des Pabstes ebenfalls roth war
(tinta accesa). Dadurch kam nun wohl eine ungewöhnliche Ein-
heit in das Bild, das fast isochromisch ist, und darauf beruht ohne
Zweifel ein Theil seiner unmittelbaren, übermächtigen Wirkung
fürs Auge. Aber da das Gesichtsroth an Sättigung und Rein-
heit jenen ihm homogenen Purpurtönen erheblich untergeordnet
ist, so erscheint dieser Haupttheil als die unscheinbarste Partie
des Ganzen.

1) Vi ho ammirato gli occhi vivi e la guardatura penetrante, non senza
notarvi non so che di rozzo, di materiale, di triviale e un' aura di passioni prove-
nienti da complessione sanguigna. Ciampi, Vita di Innoc. X. 200 f. Aehnlich
Edwin Stowe, Velazquez p. 61 But the portrait in metal is suggestive of dignity
and high intellectual faculties, qualities which we fail to discover in the more truth-
ful canvass.

Sechstes Buch.
zu erkennen; „einen Anflug von Leidenschaften des sanguinischen
Temperaments“ 1).

Bronze und Marmor hingegen geben den Eindruck eher
eines Phlegmatikers von vorwiegendem Verstand; des gewiegten
Politikers und Kanonisten. Der Blick dieses mageren Greisen-
kopfs ist ruhig, aufmerksam, in einigen Exemplaren glaubt man
die skeptische Kälte und Menschenverachtung zu erkennen, in
andern einen Zug von Bonhomie. Innocenz war ein in den
Congregationen und der Curialarbeit ergrauter Herr als er den
Thron bestieg. Dazu stimmt diese über den buschigen Brauen
stark vortretende Stirn, welche die kleinen Augen mit falten-
durchwühlter Umgebung beschattet, die ausgeprägten Wangen-
knochen. Die Unterlippe tritt etwas zurück: das Umgekehrte
im Gemälde war eine Täuschung des Auges, verursacht durch
das Licht auf jener. Vornehmlich aber kommt der veränderte
Eindruck auf Rechnung der Farbe — so sehr kann die Farbe
den Charakter eines Antlitzes ändern: eine hoch geröthete Ge-
sichtshaut vermuthet man nicht in dem mageren Greisenkopf.

Pabstbildnisse lassen der Farbenauswahl wenig Spielraum.
Mütze (camauro), Mäntelchen (mozzetta), Sessel, Portiera haben
sämmtlich leuchtendes Karmoisin, mit unbedeutenden Nüancen,
nur unterbrochen, aber auch gehoben durch das schneeweisse
Chorhemd. Hier hiess es, inmitten einer prächtigen, quantitativ
übermächtigen Farbe, die sich durch die Reflexe noch entzündet,
das Antlitz zur Geltung zu bringen, auch das sinnliche Auge
darauf zu lenken.

Diese Aufgabe wurde hier noch erschwert durch den Um-
stand, dass die Gesichtsfarbe des Pabstes ebenfalls roth war
(tinta accesa). Dadurch kam nun wohl eine ungewöhnliche Ein-
heit in das Bild, das fast isochromisch ist, und darauf beruht ohne
Zweifel ein Theil seiner unmittelbaren, übermächtigen Wirkung
fürs Auge. Aber da das Gesichtsroth an Sättigung und Rein-
heit jenen ihm homogenen Purpurtönen erheblich untergeordnet
ist, so erscheint dieser Haupttheil als die unscheinbarste Partie
des Ganzen.

1) Vi ho ammirato gli occhi vivi e la guardatura penetrante, non senza
notarvi non so che di rozzo, di materiale, di triviale e un’ aura di passioni prove-
nienti da complessione sanguigna. Ciampi, Vita di Innoc. X. 200 f. Aehnlich
Edwin Stowe, Velazquez p. 61 But the portrait in metal is suggestive of dignity
and high intellectual faculties, qualities which we fail to discover in the more truth-
ful canvass.
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[186/0206] Sechstes Buch. zu erkennen; „einen Anflug von Leidenschaften des sanguinischen Temperaments“ 1). Bronze und Marmor hingegen geben den Eindruck eher eines Phlegmatikers von vorwiegendem Verstand; des gewiegten Politikers und Kanonisten. Der Blick dieses mageren Greisen- kopfs ist ruhig, aufmerksam, in einigen Exemplaren glaubt man die skeptische Kälte und Menschenverachtung zu erkennen, in andern einen Zug von Bonhomie. Innocenz war ein in den Congregationen und der Curialarbeit ergrauter Herr als er den Thron bestieg. Dazu stimmt diese über den buschigen Brauen stark vortretende Stirn, welche die kleinen Augen mit falten- durchwühlter Umgebung beschattet, die ausgeprägten Wangen- knochen. Die Unterlippe tritt etwas zurück: das Umgekehrte im Gemälde war eine Täuschung des Auges, verursacht durch das Licht auf jener. Vornehmlich aber kommt der veränderte Eindruck auf Rechnung der Farbe — so sehr kann die Farbe den Charakter eines Antlitzes ändern: eine hoch geröthete Ge- sichtshaut vermuthet man nicht in dem mageren Greisenkopf. Pabstbildnisse lassen der Farbenauswahl wenig Spielraum. Mütze (camauro), Mäntelchen (mozzetta), Sessel, Portiera haben sämmtlich leuchtendes Karmoisin, mit unbedeutenden Nüancen, nur unterbrochen, aber auch gehoben durch das schneeweisse Chorhemd. Hier hiess es, inmitten einer prächtigen, quantitativ übermächtigen Farbe, die sich durch die Reflexe noch entzündet, das Antlitz zur Geltung zu bringen, auch das sinnliche Auge darauf zu lenken. Diese Aufgabe wurde hier noch erschwert durch den Um- stand, dass die Gesichtsfarbe des Pabstes ebenfalls roth war (tinta accesa). Dadurch kam nun wohl eine ungewöhnliche Ein- heit in das Bild, das fast isochromisch ist, und darauf beruht ohne Zweifel ein Theil seiner unmittelbaren, übermächtigen Wirkung fürs Auge. Aber da das Gesichtsroth an Sättigung und Rein- heit jenen ihm homogenen Purpurtönen erheblich untergeordnet ist, so erscheint dieser Haupttheil als die unscheinbarste Partie des Ganzen. 1) Vi ho ammirato gli occhi vivi e la guardatura penetrante, non senza notarvi non so che di rozzo, di materiale, di triviale e un’ aura di passioni prove- nienti da complessione sanguigna. Ciampi, Vita di Innoc. X. 200 f. Aehnlich Edwin Stowe, Velazquez p. 61 But the portrait in metal is suggestive of dignity and high intellectual faculties, qualities which we fail to discover in the more truth- ful canvass.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/206>, abgerufen am 19.04.2024.