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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Sechstes Buch.
sinn des Vollblutitalieners. Aber hier traf es sich, dass die
einzige Person, die zu dem damals noch für unentbehrlich gel-
tenden Cardinalnepoten das Zeug hatte, eine Frau war, die
Wittwe seines Bruders, Olimpia Maidalchini, während die drei
nacheinander creirten Neffen alle bald als unbrauchbar bei Seite
geschoben werden mussten. Donna Olimpia war eine Frau von
männlichem Willen und Verstand (wenn auch ihre politische
Weisheit nur in den Conversationen aufgefangen war); sie
besass von weiblichen Eigenschaften nichts als die Unersättlich-
keit in Habsucht und Herrschsucht. Sie war dem etwas unent-
schlossenen Schwager in seiner aufsteigenden Bahn Sporn und
Leiter gewesen: Dankbarkeit und Gewohnheit ketteten ihn an diese
Frau, um derenwillen eine Flut von Spott über ihn gekommen ist.

Diess ist der Fürst, dessen Züge jedem der Rom gesehen
hat, durch das Bildniss des Velazquez bekannt und unvergesslich
sind.

Die Zeitgenossen überbieten sich in Beschreibungen seiner
Hässlichkeit. Grobe Formen, breite schwere Stirn, ein lau-
ernder fast unheimlicher Blick des tiefliegenden Auges, un-
edle Nase, gemeiner Mund, feiste, wüst zerbrochene Gesichts-
flächen von rother Farbe, dünner Bart: etwas von Haus aus
Rohes, durch das Alter noch Abstossenderes. Als Guido in
S. Peter die Geschichte Attila's malen sollte, und der damalige
Cardinal Pamfili in der Congregation seine Saumseligkeit ge-
rügt hatte, sollte jener aus Rache dem Satanskopf unter den
Füssen seines heil. Michael in der Kapuzinerkirche die Züge
Seiner Eminenz gegeben haben. Nach Malvasia war jedoch
Guido über dieses Gerede sehr aufgebracht und betheuerte
seine Unschuld. Wenn der grosse Herr den Leuten bei jener
Teufelsfratze einfalle, so sei das nicht Schuld seines Pinsels 1).
Im Conclave von 1645 soll dieses dämonische Aeussere gegen
seine Qualification zu einem Vater der Christenheit geltend ge-
macht worden sein 2). Wunderlicher Weise war Velazquez, dem

1) Che non sareble egli stato tanto temerario a mandare una cosi insolente
satira in Roma, massime contro si gran soggetto, quale, se per la sua defformita
incontrava in quel zeffo diabolico, non era colpa del pennello. Malvasia, Felsina
pittrice II, 35. Passeri (Vite 75) erzählt dagegen, dass das Original dieses Teufels
der Cardinal Spinola gewesen, der Guido wegen der erhaltenen 400 Scudi ge-
scholten habe.
2) Un huomo, il piu difforme di volto, che fossi mai nato tra gli huomin i,
per non dir tra Romani ... quel suo aspetto satirico, saturnale, ruvido, e bruttis-

Sechstes Buch.
sinn des Vollblutitalieners. Aber hier traf es sich, dass die
einzige Person, die zu dem damals noch für unentbehrlich gel-
tenden Cardinalnepoten das Zeug hatte, eine Frau war, die
Wittwe seines Bruders, Olimpia Maidalchini, während die drei
nacheinander creirten Neffen alle bald als unbrauchbar bei Seite
geschoben werden mussten. Donna Olimpia war eine Frau von
männlichem Willen und Verstand (wenn auch ihre politische
Weisheit nur in den Conversationen aufgefangen war); sie
besass von weiblichen Eigenschaften nichts als die Unersättlich-
keit in Habsucht und Herrschsucht. Sie war dem etwas unent-
schlossenen Schwager in seiner aufsteigenden Bahn Sporn und
Leiter gewesen: Dankbarkeit und Gewohnheit ketteten ihn an diese
Frau, um derenwillen eine Flut von Spott über ihn gekommen ist.

Diess ist der Fürst, dessen Züge jedem der Rom gesehen
hat, durch das Bildniss des Velazquez bekannt und unvergesslich
sind.

Die Zeitgenossen überbieten sich in Beschreibungen seiner
Hässlichkeit. Grobe Formen, breite schwere Stirn, ein lau-
ernder fast unheimlicher Blick des tiefliegenden Auges, un-
edle Nase, gemeiner Mund, feiste, wüst zerbrochene Gesichts-
flächen von rother Farbe, dünner Bart: etwas von Haus aus
Rohes, durch das Alter noch Abstossenderes. Als Guido in
S. Peter die Geschichte Attila’s malen sollte, und der damalige
Cardinal Pamfili in der Congregation seine Saumseligkeit ge-
rügt hatte, sollte jener aus Rache dem Satanskopf unter den
Füssen seines heil. Michael in der Kapuzinerkirche die Züge
Seiner Eminenz gegeben haben. Nach Malvasia war jedoch
Guido über dieses Gerede sehr aufgebracht und betheuerte
seine Unschuld. Wenn der grosse Herr den Leuten bei jener
Teufelsfratze einfalle, so sei das nicht Schuld seines Pinsels 1).
Im Conclave von 1645 soll dieses dämonische Aeussere gegen
seine Qualification zu einem Vater der Christenheit geltend ge-
macht worden sein 2). Wunderlicher Weise war Velazquez, dem

1) Che non sareble egli stato tanto temerario a mandare una cosi insolente
satira in Roma, massime contro sì gran soggetto, quale, se per la sua defformità
incontrava in quel zeffo diabolico, non era colpa del pennello. Malvasia, Felsina
pittrice II, 35. Passeri (Vite 75) erzählt dagegen, dass das Original dieses Teufels
der Cardinal Spinola gewesen, der Guido wegen der erhaltenen 400 Scudi ge-
scholten habe.
2) Un huomo, il più difforme di volto, che fossi mai nato tra gli huomin i,
per non dir tra Romani … quel suo aspetto satirico, saturnale, ruvido, e bruttis-
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[182/0202] Sechstes Buch. sinn des Vollblutitalieners. Aber hier traf es sich, dass die einzige Person, die zu dem damals noch für unentbehrlich gel- tenden Cardinalnepoten das Zeug hatte, eine Frau war, die Wittwe seines Bruders, Olimpia Maidalchini, während die drei nacheinander creirten Neffen alle bald als unbrauchbar bei Seite geschoben werden mussten. Donna Olimpia war eine Frau von männlichem Willen und Verstand (wenn auch ihre politische Weisheit nur in den Conversationen aufgefangen war); sie besass von weiblichen Eigenschaften nichts als die Unersättlich- keit in Habsucht und Herrschsucht. Sie war dem etwas unent- schlossenen Schwager in seiner aufsteigenden Bahn Sporn und Leiter gewesen: Dankbarkeit und Gewohnheit ketteten ihn an diese Frau, um derenwillen eine Flut von Spott über ihn gekommen ist. Diess ist der Fürst, dessen Züge jedem der Rom gesehen hat, durch das Bildniss des Velazquez bekannt und unvergesslich sind. Die Zeitgenossen überbieten sich in Beschreibungen seiner Hässlichkeit. Grobe Formen, breite schwere Stirn, ein lau- ernder fast unheimlicher Blick des tiefliegenden Auges, un- edle Nase, gemeiner Mund, feiste, wüst zerbrochene Gesichts- flächen von rother Farbe, dünner Bart: etwas von Haus aus Rohes, durch das Alter noch Abstossenderes. Als Guido in S. Peter die Geschichte Attila’s malen sollte, und der damalige Cardinal Pamfili in der Congregation seine Saumseligkeit ge- rügt hatte, sollte jener aus Rache dem Satanskopf unter den Füssen seines heil. Michael in der Kapuzinerkirche die Züge Seiner Eminenz gegeben haben. Nach Malvasia war jedoch Guido über dieses Gerede sehr aufgebracht und betheuerte seine Unschuld. Wenn der grosse Herr den Leuten bei jener Teufelsfratze einfalle, so sei das nicht Schuld seines Pinsels 1). Im Conclave von 1645 soll dieses dämonische Aeussere gegen seine Qualification zu einem Vater der Christenheit geltend ge- macht worden sein 2). Wunderlicher Weise war Velazquez, dem 1) Che non sareble egli stato tanto temerario a mandare una cosi insolente satira in Roma, massime contro sì gran soggetto, quale, se per la sua defformità incontrava in quel zeffo diabolico, non era colpa del pennello. Malvasia, Felsina pittrice II, 35. Passeri (Vite 75) erzählt dagegen, dass das Original dieses Teufels der Cardinal Spinola gewesen, der Guido wegen der erhaltenen 400 Scudi ge- scholten habe. 2) Un huomo, il più difforme di volto, che fossi mai nato tra gli huomin i, per non dir tra Romani … quel suo aspetto satirico, saturnale, ruvido, e bruttis-

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/202>, abgerufen am 29.03.2024.