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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Sechstes Buch.
sie sind sämmtlich Vertreter des modernen Stils der Bewegung
und Bravour.

Den Cavalier Calabrese kann er schon in Madrid gesehen
haben. Dieser grösste Abenteurer und Reisende unter den
Malern seiner Zeit hatte bereits, obwol kaum ein Dreissiger,
Spanien, Paris und die Niederlande besucht, Rubens kennen
gelernt, und war seit 1642 Ritter des Maltheserordens. Als er
in Venedig den Tod Lanfranco's (1647) erfuhr, eilte er nach Rom,
sich um die von jenem unausgeführt zurückgelassenen Fresko-
malereien in S. Andrea della Valle zu bewerben. Er erhielt den
ersten Preis beim Wettmalen der Akademie von S. Luca, zu
deren Mitglied er bald darauf gewählt wurde. Seine Arbeit in
jener Kirche misslang jedoch, weil er, übel berathen von Cortona,
die Domenichinos in Grösse zu überbieten suchte; er wünschte
später noch einmal nach Rom zu kommen, nur um sie aus der
Welt zu schaffen. Das Madrider Schloss besass von ihm das
"Wasser aus dem Felsen" und die "Kindheit des Täufers".
(Prado 343 f.)

Rom mit seiner grossräumigen Architektur war der Aus-
gangspunkt jener rüstigen und feurigen "Maler der grossen
Maschinen"; dort galt die Bologneser Manier für trocken und
pedantisch. Pietro Berettini von Cortona hat auch zwei Säle
im Palast Pamfili mit Scenen aus der Aeneide geschmückt, die
viel besungen und sogar in flandrische Tapisserien übertragen
wurden. Er war der erfolgreichste dieser Schaar, er ist auch
der gewandtste in der Anordnung, sinnlich gefällig in Formen
und Bewegungen, heiter und glänzend in der Farbe, von weichem,
leichtem Pinsel. "Corona de'pittori" hiess er nach einem Anagramm
seines Namens, der grösste Maler den Toscana hervorgebracht
hat (d'Argenville). Von ihm befand sich zu Carl II Zeit in
Buen Retiro ein Gladiatorenkampf im Amphitheater, das Museum
besitzt noch ein Lupercalienfest (Nr. 141 f.).

Velazquez fand auch den alten Nicolaus Poussin noch, der
seit dem 5. November 1642 nach Rom, seiner wahren Heimath,
diesmal für immer zurückgekehrt war. In der Zwischenzeit
waren auch von ihm Gemälde nach Madrid gekommen; Philipp IV
besass eine Tempelreinigung Christi und einen heil. Lorenz, die
verloren zu sein scheinen. Alle die anderen zahlreichen Poussins
des Museums sind erst unter den Bourbonen dorthin gelangt.
Der Maler von Andelys arbeitete damals an einer Heilung des
Blindgeborenen (Louvre 426) und an jenem herrlichen Selbst-

Sechstes Buch.
sie sind sämmtlich Vertreter des modernen Stils der Bewegung
und Bravour.

Den Cavalier Calabrese kann er schon in Madrid gesehen
haben. Dieser grösste Abenteurer und Reisende unter den
Malern seiner Zeit hatte bereits, obwol kaum ein Dreissiger,
Spanien, Paris und die Niederlande besucht, Rubens kennen
gelernt, und war seit 1642 Ritter des Maltheserordens. Als er
in Venedig den Tod Lanfranco’s (1647) erfuhr, eilte er nach Rom,
sich um die von jenem unausgeführt zurückgelassenen Fresko-
malereien in S. Andrea della Valle zu bewerben. Er erhielt den
ersten Preis beim Wettmalen der Akademie von S. Luca, zu
deren Mitglied er bald darauf gewählt wurde. Seine Arbeit in
jener Kirche misslang jedoch, weil er, übel berathen von Cortona,
die Domenichinos in Grösse zu überbieten suchte; er wünschte
später noch einmal nach Rom zu kommen, nur um sie aus der
Welt zu schaffen. Das Madrider Schloss besass von ihm das
„Wasser aus dem Felsen“ und die „Kindheit des Täufers“.
(Prado 343 f.)

Rom mit seiner grossräumigen Architektur war der Aus-
gangspunkt jener rüstigen und feurigen „Maler der grossen
Maschinen“; dort galt die Bologneser Manier für trocken und
pedantisch. Pietro Berettini von Cortona hat auch zwei Säle
im Palast Pamfili mit Scenen aus der Aeneide geschmückt, die
viel besungen und sogar in flandrische Tapisserien übertragen
wurden. Er war der erfolgreichste dieser Schaar, er ist auch
der gewandtste in der Anordnung, sinnlich gefällig in Formen
und Bewegungen, heiter und glänzend in der Farbe, von weichem,
leichtem Pinsel. „Corona de’pittori“ hiess er nach einem Anagramm
seines Namens, der grösste Maler den Toscana hervorgebracht
hat (d’Argenville). Von ihm befand sich zu Carl II Zeit in
Buen Retiro ein Gladiatorenkampf im Amphitheater, das Museum
besitzt noch ein Lupercalienfest (Nr. 141 f.).

Velazquez fand auch den alten Nicolaus Poussin noch, der
seit dem 5. November 1642 nach Rom, seiner wahren Heimath,
diesmal für immer zurückgekehrt war. In der Zwischenzeit
waren auch von ihm Gemälde nach Madrid gekommen; Philipp IV
besass eine Tempelreinigung Christi und einen heil. Lorenz, die
verloren zu sein scheinen. Alle die anderen zahlreichen Poussins
des Museums sind erst unter den Bourbonen dorthin gelangt.
Der Maler von Andelys arbeitete damals an einer Heilung des
Blindgeborenen (Louvre 426) und an jenem herrlichen Selbst-

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[170/0190] Sechstes Buch. sie sind sämmtlich Vertreter des modernen Stils der Bewegung und Bravour. Den Cavalier Calabrese kann er schon in Madrid gesehen haben. Dieser grösste Abenteurer und Reisende unter den Malern seiner Zeit hatte bereits, obwol kaum ein Dreissiger, Spanien, Paris und die Niederlande besucht, Rubens kennen gelernt, und war seit 1642 Ritter des Maltheserordens. Als er in Venedig den Tod Lanfranco’s (1647) erfuhr, eilte er nach Rom, sich um die von jenem unausgeführt zurückgelassenen Fresko- malereien in S. Andrea della Valle zu bewerben. Er erhielt den ersten Preis beim Wettmalen der Akademie von S. Luca, zu deren Mitglied er bald darauf gewählt wurde. Seine Arbeit in jener Kirche misslang jedoch, weil er, übel berathen von Cortona, die Domenichinos in Grösse zu überbieten suchte; er wünschte später noch einmal nach Rom zu kommen, nur um sie aus der Welt zu schaffen. Das Madrider Schloss besass von ihm das „Wasser aus dem Felsen“ und die „Kindheit des Täufers“. (Prado 343 f.) Rom mit seiner grossräumigen Architektur war der Aus- gangspunkt jener rüstigen und feurigen „Maler der grossen Maschinen“; dort galt die Bologneser Manier für trocken und pedantisch. Pietro Berettini von Cortona hat auch zwei Säle im Palast Pamfili mit Scenen aus der Aeneide geschmückt, die viel besungen und sogar in flandrische Tapisserien übertragen wurden. Er war der erfolgreichste dieser Schaar, er ist auch der gewandtste in der Anordnung, sinnlich gefällig in Formen und Bewegungen, heiter und glänzend in der Farbe, von weichem, leichtem Pinsel. „Corona de’pittori“ hiess er nach einem Anagramm seines Namens, der grösste Maler den Toscana hervorgebracht hat (d’Argenville). Von ihm befand sich zu Carl II Zeit in Buen Retiro ein Gladiatorenkampf im Amphitheater, das Museum besitzt noch ein Lupercalienfest (Nr. 141 f.). Velazquez fand auch den alten Nicolaus Poussin noch, der seit dem 5. November 1642 nach Rom, seiner wahren Heimath, diesmal für immer zurückgekehrt war. In der Zwischenzeit waren auch von ihm Gemälde nach Madrid gekommen; Philipp IV besass eine Tempelreinigung Christi und einen heil. Lorenz, die verloren zu sein scheinen. Alle die anderen zahlreichen Poussins des Museums sind erst unter den Bourbonen dorthin gelangt. Der Maler von Andelys arbeitete damals an einer Heilung des Blindgeborenen (Louvre 426) und an jenem herrlichen Selbst-

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/190>, abgerufen am 18.04.2024.