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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Beziehungen zu Roms Künstlern.
malen, sondern auch gehn und hört sie sprechen. Unter den
erstern gab es solche menschenscheue Melancholiker wie den
armen Pietro Testa (aus Lucca, geb. 1617), il Lucchesino, dessen
Leiche am Aschermittwoch des Jubeljahres im Tiber gefunden
wurde; ein geistreicher Radirer und Ideenmaler, der nicht malen
konnte1). Ferner der ungebildete und durch seinen Geiz sprich-
wörtlich gewordene Bataillen- und Genremaler Michelangelo
Cerquozzi (geb. 1602), der die von Peter van Laer aufgebrachten
Bambocciaden kultivirte; und der Römer Angelo Caroselli, der
den Caravaggio und andere täuschend nachahmte, sich wie ein
Lazzarone trug und seine glattvollendeten Stücke in Gesellschaft
lustiger Dirnen malte. Guercino, der eigentlich auch zu dieser
Klasse gehörte, hatte sich längst in sein Nest Cento zurückgezo-
gen, wo ihn Aufträge aus allen Ländern zu finden wussten. Den
Uebergang zu der zweiten Klasse bilden die Renommisten und
Eisenfresser, wie der Bildhauer Francesco Baratta aus Massa, der
mit der Bravour der Söhne Carrara's den Marmor traktirte. Er
arbeitete damals mit dem Franzosen Claude Adam (dem ältesten
dieser Bildhauerfamilie) und zwei Italienern an den vier kolossalen
Flussgöttern für den Brunnen der Piazza Navona.

Dann die Hofkünstler und Ritter, die wie Algardi mit dem
Ordenskreuz auf Wams und Mantel, Degen an der Seite durch
die Gassen stolzirten oder ritten; Matthias Preti, Lorenzo Bernini,
und die grossen Freskisten und Schnellmaler. Diese sahen mit
Verachtung auf die Kleinmaler, deren Stücke in den Buden der
rigattieri cirkuliren und besprochen werden, blosse dilettanti
seien das, Maler für Herbergstuben.

Dazwischen standen noch einsam einige Hohepriester des
Kultus der Schönheit und des klassischen Alterthums, wie Poussin
und der treffliche Franz du Quesnoy, dessen heilige Susanna trotz
Winckelmann ein anmuthenderes Beispiel von "Nachahmung der
griechischen Werke" ist, als viele die nach den Vorschriften
dieses grossen Kunstlehrers gemacht worden sind. Von allen
diesen drei Klassen ist etwas in Salvator Rosa.

Der königlich spanische Kammermaler und Agent hat sich
schwerlich mit andern als jenen Welt- und Hofförmigen einge-
lassen. Palomino nennt die, mit welchen Velazquez verkehrte,

1) Im Buen Retiro befanden sich im 17. Jahrhundert von seiner Hand drei
Gemälde: ein Opfer der Flora (28 Dukaten taxirt), eine Europa (50) und ein rö-
misches Reiterstück (35). Inventar Carl II.

Beziehungen zu Roms Künstlern.
malen, sondern auch gehn und hört sie sprechen. Unter den
erstern gab es solche menschenscheue Melancholiker wie den
armen Pietro Testa (aus Lucca, geb. 1617), il Lucchesino, dessen
Leiche am Aschermittwoch des Jubeljahres im Tiber gefunden
wurde; ein geistreicher Radirer und Ideenmaler, der nicht malen
konnte1). Ferner der ungebildete und durch seinen Geiz sprich-
wörtlich gewordene Bataillen- und Genremaler Michelangelo
Cerquozzi (geb. 1602), der die von Peter van Laer aufgebrachten
Bambocciaden kultivirte; und der Römer Angelo Caroselli, der
den Caravaggio und andere täuschend nachahmte, sich wie ein
Lazzarone trug und seine glattvollendeten Stücke in Gesellschaft
lustiger Dirnen malte. Guercino, der eigentlich auch zu dieser
Klasse gehörte, hatte sich längst in sein Nest Cento zurückgezo-
gen, wo ihn Aufträge aus allen Ländern zu finden wussten. Den
Uebergang zu der zweiten Klasse bilden die Renommisten und
Eisenfresser, wie der Bildhauer Francesco Baratta aus Massa, der
mit der Bravour der Söhne Carrara’s den Marmor traktirte. Er
arbeitete damals mit dem Franzosen Claude Adam (dem ältesten
dieser Bildhauerfamilie) und zwei Italienern an den vier kolossalen
Flussgöttern für den Brunnen der Piazza Navona.

Dann die Hofkünstler und Ritter, die wie Algardi mit dem
Ordenskreuz auf Wams und Mantel, Degen an der Seite durch
die Gassen stolzirten oder ritten; Matthias Preti, Lorenzo Bernini,
und die grossen Freskisten und Schnellmaler. Diese sahen mit
Verachtung auf die Kleinmaler, deren Stücke in den Buden der
rigattieri cirkuliren und besprochen werden, blosse dilettanti
seien das, Maler für Herbergstuben.

Dazwischen standen noch einsam einige Hohepriester des
Kultus der Schönheit und des klassischen Alterthums, wie Poussin
und der treffliche Franz du Quesnoy, dessen heilige Susanna trotz
Winckelmann ein anmuthenderes Beispiel von „Nachahmung der
griechischen Werke“ ist, als viele die nach den Vorschriften
dieses grossen Kunstlehrers gemacht worden sind. Von allen
diesen drei Klassen ist etwas in Salvator Rosa.

Der königlich spanische Kammermaler und Agent hat sich
schwerlich mit andern als jenen Welt- und Hofförmigen einge-
lassen. Palomino nennt die, mit welchen Velazquez verkehrte,

1) Im Buen Retiro befanden sich im 17. Jahrhundert von seiner Hand drei
Gemälde: ein Opfer der Flora (28 Dukaten taxirt), eine Europa (50) und ein rö-
misches Reiterstück (35). Inventar Carl II.
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[169/0189] Beziehungen zu Roms Künstlern. malen, sondern auch gehn und hört sie sprechen. Unter den erstern gab es solche menschenscheue Melancholiker wie den armen Pietro Testa (aus Lucca, geb. 1617), il Lucchesino, dessen Leiche am Aschermittwoch des Jubeljahres im Tiber gefunden wurde; ein geistreicher Radirer und Ideenmaler, der nicht malen konnte 1). Ferner der ungebildete und durch seinen Geiz sprich- wörtlich gewordene Bataillen- und Genremaler Michelangelo Cerquozzi (geb. 1602), der die von Peter van Laer aufgebrachten Bambocciaden kultivirte; und der Römer Angelo Caroselli, der den Caravaggio und andere täuschend nachahmte, sich wie ein Lazzarone trug und seine glattvollendeten Stücke in Gesellschaft lustiger Dirnen malte. Guercino, der eigentlich auch zu dieser Klasse gehörte, hatte sich längst in sein Nest Cento zurückgezo- gen, wo ihn Aufträge aus allen Ländern zu finden wussten. Den Uebergang zu der zweiten Klasse bilden die Renommisten und Eisenfresser, wie der Bildhauer Francesco Baratta aus Massa, der mit der Bravour der Söhne Carrara’s den Marmor traktirte. Er arbeitete damals mit dem Franzosen Claude Adam (dem ältesten dieser Bildhauerfamilie) und zwei Italienern an den vier kolossalen Flussgöttern für den Brunnen der Piazza Navona. Dann die Hofkünstler und Ritter, die wie Algardi mit dem Ordenskreuz auf Wams und Mantel, Degen an der Seite durch die Gassen stolzirten oder ritten; Matthias Preti, Lorenzo Bernini, und die grossen Freskisten und Schnellmaler. Diese sahen mit Verachtung auf die Kleinmaler, deren Stücke in den Buden der rigattieri cirkuliren und besprochen werden, blosse dilettanti seien das, Maler für Herbergstuben. Dazwischen standen noch einsam einige Hohepriester des Kultus der Schönheit und des klassischen Alterthums, wie Poussin und der treffliche Franz du Quesnoy, dessen heilige Susanna trotz Winckelmann ein anmuthenderes Beispiel von „Nachahmung der griechischen Werke“ ist, als viele die nach den Vorschriften dieses grossen Kunstlehrers gemacht worden sind. Von allen diesen drei Klassen ist etwas in Salvator Rosa. Der königlich spanische Kammermaler und Agent hat sich schwerlich mit andern als jenen Welt- und Hofförmigen einge- lassen. Palomino nennt die, mit welchen Velazquez verkehrte, 1) Im Buen Retiro befanden sich im 17. Jahrhundert von seiner Hand drei Gemälde: ein Opfer der Flora (28 Dukaten taxirt), eine Europa (50) und ein rö- misches Reiterstück (35). Inventar Carl II.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/189>, abgerufen am 23.04.2024.