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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Sechstes Buch.
selbst war von Herzen ein guter Italiener. Bei Gelegenheit des
venezianischen Kirchenstreits hatte er einmal ausgerufen: "Es ist
unmöglich, dass Geistliche je den Dienst ihres Vaterlands ver-
gessen; die Stimme der Natur ist zu stark. Wir selbst haben
es erfahren, als wir von Spanien zurückkehrend bei Nacht in
dieser Stadt ankamen: wir eilten das Fenster unsers Palasts
zu öffnen, um uns im Anblick der Piazza Navona und des Pas-
quino der Wiederkehr ins Vaterland zu freuen"1). Er hatte die
blutige Härte des Don Juan de Austria als unpolitisch und un-
menschlich getadelt. Die Macht der Dinge drängte ihn von den
Spaniern ab. Mit Ingrimm sahen die letztern den Boten des
Klerus von Portugal, bald auch den des "Tyrannen" (so nannten
sie Johann IV) über den Corso fahren; es kam zu blutigen Zu-
sammenstössen. Auch am Hofe war man ihnen gram. Als der
spanische Agent Ameyden, von den während der ersten Audienz
des Herzogs von Arcos im Vorsaal versammelten Prälaten und
Cavalieren nach dessen Charakter befragt, ihn "rein von Händen,
streng (justiciero, so hiess beim Volke Peter der Grausame)
und höflich" genannt hatte, bekam er zu hören: die beiden ersten
Eigenschaften habe man wohl bisweilen an den Spaniern be-
merkt, die dritte aber noch nie2).

Uns liegt ein Kupferstich des Dominique Barriere aus Mar-
seille im Geschmack Callot's vor, der aufs treuste eine Scene
dieses Jahres vergegenwärtigt, bei der man sich auch Velazquez
als einen der Haupttheilnehmer denken darf. Es ist eine Dar-
stellung des Festes, welches am 17. April in der Morgenröthe
des Ostertags, die 1579 gestiftete Cofradia de la gloriosa resur-
reccion
veranstaltete. Oder eigentlich die spanische Colonie, an
ihrer Spitze der Gesandte und Ferdinand Brandano, oficial mayor
der päbstlichen Secretaria, den Velazquez auch porträtirte. Die
Perspective zeigt die ganze Piazza Navona, von der südöstlichen
Ecke aus gesehn. Dieser volksthümlichste Platz Roms, seit 1477
Marktplatz, verdankt seine jetzige Gestalt dem Pabst Innocenz X,
hier war sein Geburtshaus. Zur Linken fällt am breitesten ins
Auge ein moderner Palast; er hatte, wie Sandrart (S. 200) er-
zählt, "sein gewesenes Wohnhaus, sammt vielen andern noch
daneben, bis alla Madonna della Pace abbrechen und dahin den

1) Depesche des Venezianers Giustiniani vom I. Oktober 1650.
2) Che s'erano veduti altri ministri di Spagna netti di mano, e giustitieri,
ma cortesi mai. Diario di Ameyden 25. Januar 1646.

Sechstes Buch.
selbst war von Herzen ein guter Italiener. Bei Gelegenheit des
venezianischen Kirchenstreits hatte er einmal ausgerufen: „Es ist
unmöglich, dass Geistliche je den Dienst ihres Vaterlands ver-
gessen; die Stimme der Natur ist zu stark. Wir selbst haben
es erfahren, als wir von Spanien zurückkehrend bei Nacht in
dieser Stadt ankamen: wir eilten das Fenster unsers Palasts
zu öffnen, um uns im Anblick der Piazza Navona und des Pas-
quino der Wiederkehr ins Vaterland zu freuen“1). Er hatte die
blutige Härte des Don Juan de Austria als unpolitisch und un-
menschlich getadelt. Die Macht der Dinge drängte ihn von den
Spaniern ab. Mit Ingrimm sahen die letztern den Boten des
Klerus von Portugal, bald auch den des „Tyrannen“ (so nannten
sie Johann IV) über den Corso fahren; es kam zu blutigen Zu-
sammenstössen. Auch am Hofe war man ihnen gram. Als der
spanische Agent Ameyden, von den während der ersten Audienz
des Herzogs von Arcos im Vorsaal versammelten Prälaten und
Cavalieren nach dessen Charakter befragt, ihn „rein von Händen,
streng (justiciero, so hiess beim Volke Peter der Grausame)
und höflich“ genannt hatte, bekam er zu hören: die beiden ersten
Eigenschaften habe man wohl bisweilen an den Spaniern be-
merkt, die dritte aber noch nie2).

Uns liegt ein Kupferstich des Dominique Barrière aus Mar-
seille im Geschmack Callot’s vor, der aufs treuste eine Scene
dieses Jahres vergegenwärtigt, bei der man sich auch Velazquez
als einen der Haupttheilnehmer denken darf. Es ist eine Dar-
stellung des Festes, welches am 17. April in der Morgenröthe
des Ostertags, die 1579 gestiftete Cofradia de la gloriosa resur-
reccion
veranstaltete. Oder eigentlich die spanische Colonie, an
ihrer Spitze der Gesandte und Ferdinand Brandano, oficial mayor
der päbstlichen Secretaria, den Velazquez auch porträtirte. Die
Perspective zeigt die ganze Piazza Navona, von der südöstlichen
Ecke aus gesehn. Dieser volksthümlichste Platz Roms, seit 1477
Marktplatz, verdankt seine jetzige Gestalt dem Pabst Innocenz X,
hier war sein Geburtshaus. Zur Linken fällt am breitesten ins
Auge ein moderner Palast; er hatte, wie Sandrart (S. 200) er-
zählt, „sein gewesenes Wohnhaus, sammt vielen andern noch
daneben, bis alla Madonna della Pace abbrechen und dahin den

1) Depesche des Venezianers Giustiniani vom I. Oktober 1650.
2) Che s’erano veduti altri ministri di Spagna netti di mano, e giustitieri,
ma cortesi mai. Diario di Ameyden 25. Januar 1646.
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[166/0186] Sechstes Buch. selbst war von Herzen ein guter Italiener. Bei Gelegenheit des venezianischen Kirchenstreits hatte er einmal ausgerufen: „Es ist unmöglich, dass Geistliche je den Dienst ihres Vaterlands ver- gessen; die Stimme der Natur ist zu stark. Wir selbst haben es erfahren, als wir von Spanien zurückkehrend bei Nacht in dieser Stadt ankamen: wir eilten das Fenster unsers Palasts zu öffnen, um uns im Anblick der Piazza Navona und des Pas- quino der Wiederkehr ins Vaterland zu freuen“ 1). Er hatte die blutige Härte des Don Juan de Austria als unpolitisch und un- menschlich getadelt. Die Macht der Dinge drängte ihn von den Spaniern ab. Mit Ingrimm sahen die letztern den Boten des Klerus von Portugal, bald auch den des „Tyrannen“ (so nannten sie Johann IV) über den Corso fahren; es kam zu blutigen Zu- sammenstössen. Auch am Hofe war man ihnen gram. Als der spanische Agent Ameyden, von den während der ersten Audienz des Herzogs von Arcos im Vorsaal versammelten Prälaten und Cavalieren nach dessen Charakter befragt, ihn „rein von Händen, streng (justiciero, so hiess beim Volke Peter der Grausame) und höflich“ genannt hatte, bekam er zu hören: die beiden ersten Eigenschaften habe man wohl bisweilen an den Spaniern be- merkt, die dritte aber noch nie 2). Uns liegt ein Kupferstich des Dominique Barrière aus Mar- seille im Geschmack Callot’s vor, der aufs treuste eine Scene dieses Jahres vergegenwärtigt, bei der man sich auch Velazquez als einen der Haupttheilnehmer denken darf. Es ist eine Dar- stellung des Festes, welches am 17. April in der Morgenröthe des Ostertags, die 1579 gestiftete Cofradia de la gloriosa resur- reccion veranstaltete. Oder eigentlich die spanische Colonie, an ihrer Spitze der Gesandte und Ferdinand Brandano, oficial mayor der päbstlichen Secretaria, den Velazquez auch porträtirte. Die Perspective zeigt die ganze Piazza Navona, von der südöstlichen Ecke aus gesehn. Dieser volksthümlichste Platz Roms, seit 1477 Marktplatz, verdankt seine jetzige Gestalt dem Pabst Innocenz X, hier war sein Geburtshaus. Zur Linken fällt am breitesten ins Auge ein moderner Palast; er hatte, wie Sandrart (S. 200) er- zählt, „sein gewesenes Wohnhaus, sammt vielen andern noch daneben, bis alla Madonna della Pace abbrechen und dahin den 1) Depesche des Venezianers Giustiniani vom I. Oktober 1650. 2) Che s’erano veduti altri ministri di Spagna netti di mano, e giustitieri, ma cortesi mai. Diario di Ameyden 25. Januar 1646.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/186>, abgerufen am 28.03.2024.