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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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beabsichtigt und angelegt. Man erkennt unter der gegenwärtigen
Oberfläche noch die von rechts nach links absteigende Contour
des Bergrands. Dann aber hat es dem Maler beliebt, einen Mittel-
grund zu schaffen, indem er den Abfall des Hügels sanfter und
vom Standpunkt des Betrachters aus übersichtlich machte, wol in
der Absicht, zwischen dem kommandirenden General und dem
Gefecht einen Zusammenhang herzustellen. Auf der Mitte des
Pfads abwärts sieht man den Cadaver eines Pferds, und weiter
einen galoppirenden, blasenden Trompeter; die kämpfenden Trup-
penmassen sind bedeutender.

Auch sonst sind einige Veränderungen bemerkbar. Statt
der schweren Wolkenhaufen dort, welche hier und da Sonnen-
blitze durchdringen, erscheint das Himmelsblau von streifigen
Schichten unterbrochen, die mit Flocken und Knäueln wechseln.
An die Stelle der zwei hellen Pappelstämme zur rechten, mit
spärlich belaubten Sprossen, sind Eichen getreten, welche dichte
Zweige hervorstrecken, daneben ein blaugrüner Busch.

Für das ältere Exemplar möchte ich das schottische anspre-
chen, weil es das dunklere ist: der Schritt vom dunklen zum
hellen ist wahrscheinlicher als der umgekehrte. Diess herrliche
Bild steht vielleicht wie kein andres jenem Farbengefühl nahe,
in dem die Venezianer allen Zeiten unerreichte Vorbilder geliefert
haben. Alle die es gesehn haben, sprachen sich begeistert aus
über das wunderbare bewegte Leben, die erstaunliche Meister-
schaft der Farbe und des Helldunkels, die Kenntniss in der Zeich-
nung des Rosses. "Was die Einzelausführung betrifft, so dürfte
eine so glänzende Offenbarung künstlerischer Macht in so kleinem
Raum schwerlich zu übertreffen sein"1). Selten ist der dem Velaz-
quez eigene, so unnachahmliche Lichtschimmer entzückender her-
ausgekommen. Der tiefblaue Azur, von weissen lichtglänzenden
Wolken durchschnitten, giebt den Grund für die von einem Sonnen-
blick beleuchtete Gestalt. Das Gold der damascirten Zieraten der
Rüstung, des Geschirrs, die Brokatstickerei an Satteldecke und
Beinkleidern, die Blitze der Musketen, das alles funkelt wie ein
Geschmeide von Gold, Diamanten und Edelsteinen.

Das dritte Exemplar befand sich als Gaspar de Crayer in
der Galerie zu Schleissheim und wanderte von da, seit es Otto

1) Athenaeum 1876. I, 62. Waagen, Treasures IV, 444. Of great life and
animation of conception, admirable in keeping, and broad and masterly in execution.
Grösse 49" x 40". Schleissheimer Bild 1,35 x 1,14. Pradobild 3,13 x 2,39.

Fünftes Buch.
beabsichtigt und angelegt. Man erkennt unter der gegenwärtigen
Oberfläche noch die von rechts nach links absteigende Contour
des Bergrands. Dann aber hat es dem Maler beliebt, einen Mittel-
grund zu schaffen, indem er den Abfall des Hügels sanfter und
vom Standpunkt des Betrachters aus übersichtlich machte, wol in
der Absicht, zwischen dem kommandirenden General und dem
Gefecht einen Zusammenhang herzustellen. Auf der Mitte des
Pfads abwärts sieht man den Cadaver eines Pferds, und weiter
einen galoppirenden, blasenden Trompeter; die kämpfenden Trup-
penmassen sind bedeutender.

Auch sonst sind einige Veränderungen bemerkbar. Statt
der schweren Wolkenhaufen dort, welche hier und da Sonnen-
blitze durchdringen, erscheint das Himmelsblau von streifigen
Schichten unterbrochen, die mit Flocken und Knäueln wechseln.
An die Stelle der zwei hellen Pappelstämme zur rechten, mit
spärlich belaubten Sprossen, sind Eichen getreten, welche dichte
Zweige hervorstrecken, daneben ein blaugrüner Busch.

Für das ältere Exemplar möchte ich das schottische anspre-
chen, weil es das dunklere ist: der Schritt vom dunklen zum
hellen ist wahrscheinlicher als der umgekehrte. Diess herrliche
Bild steht vielleicht wie kein andres jenem Farbengefühl nahe,
in dem die Venezianer allen Zeiten unerreichte Vorbilder geliefert
haben. Alle die es gesehn haben, sprachen sich begeistert aus
über das wunderbare bewegte Leben, die erstaunliche Meister-
schaft der Farbe und des Helldunkels, die Kenntniss in der Zeich-
nung des Rosses. „Was die Einzelausführung betrifft, so dürfte
eine so glänzende Offenbarung künstlerischer Macht in so kleinem
Raum schwerlich zu übertreffen sein“1). Selten ist der dem Velaz-
quez eigene, so unnachahmliche Lichtschimmer entzückender her-
ausgekommen. Der tiefblaue Azur, von weissen lichtglänzenden
Wolken durchschnitten, giebt den Grund für die von einem Sonnen-
blick beleuchtete Gestalt. Das Gold der damascirten Zieraten der
Rüstung, des Geschirrs, die Brokatstickerei an Satteldecke und
Beinkleidern, die Blitze der Musketen, das alles funkelt wie ein
Geschmeide von Gold, Diamanten und Edelsteinen.

Das dritte Exemplar befand sich als Gaspar de Crayer in
der Galerie zu Schleissheim und wanderte von da, seit es Otto

1) Athenæum 1876. I, 62. Waagen, Treasures IV, 444. Of great life and
animation of conception, admirable in keeping, and broad and masterly in execution.
Grösse 49″ × 40″. Schleissheimer Bild 1,35 × 1,14. Pradobild 3,13 × 2,39.
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[114/0134] Fünftes Buch. beabsichtigt und angelegt. Man erkennt unter der gegenwärtigen Oberfläche noch die von rechts nach links absteigende Contour des Bergrands. Dann aber hat es dem Maler beliebt, einen Mittel- grund zu schaffen, indem er den Abfall des Hügels sanfter und vom Standpunkt des Betrachters aus übersichtlich machte, wol in der Absicht, zwischen dem kommandirenden General und dem Gefecht einen Zusammenhang herzustellen. Auf der Mitte des Pfads abwärts sieht man den Cadaver eines Pferds, und weiter einen galoppirenden, blasenden Trompeter; die kämpfenden Trup- penmassen sind bedeutender. Auch sonst sind einige Veränderungen bemerkbar. Statt der schweren Wolkenhaufen dort, welche hier und da Sonnen- blitze durchdringen, erscheint das Himmelsblau von streifigen Schichten unterbrochen, die mit Flocken und Knäueln wechseln. An die Stelle der zwei hellen Pappelstämme zur rechten, mit spärlich belaubten Sprossen, sind Eichen getreten, welche dichte Zweige hervorstrecken, daneben ein blaugrüner Busch. Für das ältere Exemplar möchte ich das schottische anspre- chen, weil es das dunklere ist: der Schritt vom dunklen zum hellen ist wahrscheinlicher als der umgekehrte. Diess herrliche Bild steht vielleicht wie kein andres jenem Farbengefühl nahe, in dem die Venezianer allen Zeiten unerreichte Vorbilder geliefert haben. Alle die es gesehn haben, sprachen sich begeistert aus über das wunderbare bewegte Leben, die erstaunliche Meister- schaft der Farbe und des Helldunkels, die Kenntniss in der Zeich- nung des Rosses. „Was die Einzelausführung betrifft, so dürfte eine so glänzende Offenbarung künstlerischer Macht in so kleinem Raum schwerlich zu übertreffen sein“ 1). Selten ist der dem Velaz- quez eigene, so unnachahmliche Lichtschimmer entzückender her- ausgekommen. Der tiefblaue Azur, von weissen lichtglänzenden Wolken durchschnitten, giebt den Grund für die von einem Sonnen- blick beleuchtete Gestalt. Das Gold der damascirten Zieraten der Rüstung, des Geschirrs, die Brokatstickerei an Satteldecke und Beinkleidern, die Blitze der Musketen, das alles funkelt wie ein Geschmeide von Gold, Diamanten und Edelsteinen. Das dritte Exemplar befand sich als Gaspar de Crayer in der Galerie zu Schleissheim und wanderte von da, seit es Otto 1) Athenæum 1876. I, 62. Waagen, Treasures IV, 444. Of great life and animation of conception, admirable in keeping, and broad and masterly in execution. Grösse 49″ × 40″. Schleissheimer Bild 1,35 × 1,14. Pradobild 3,13 × 2,39.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/134>, abgerufen am 20.04.2024.