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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
die Strassen der Stadt bis nach der auf dem steilen Hügel ge-
legenen Seo oder Kathedrale (jetzt in barbarischer Weise zur
Kaserne entweiht), ein Weg von einer viertel Meile Länge, zu
dem er zwei Stunden brauchte. Sein Anzug bestand in "einem
Koller von Gemsleder, reich gestickt mit Gold und Silber, mit
rother ebenso gestickter Schärpe und Federhut"1). Dass natür-
lich nicht das Lederkoller selbst gestickt war, sondern das Wams,
oder die ropilla, geht aus Palomino hervor, der ihn "bekleidet
mit carmoisinrothem Plüsch" (felpa) bezeichnet. Es ist diess die
Tracht, welche er in der Kampagne des Jahres bei militärischen
Aufzügen anlegte2). Vor dem Abmarsch nach Lerida im April
hielt er in Saragossa eine Truppenschau, bei welcher er unter den
Salven der Geschütze die Front einer aus verschiedenen Nationa-
litäten bestehenden Armee von 9000 Fussgängern und 4000 Rei-
tern abritt, und elf Stunden zu Pferde sass. "Die Tracht S. M.
war soldatisch, rothes (encarnado) goldgesticktes Wams und Bein-
kleider, glattes Lederkoller, kurzer Kommandostab von glattem
Holz, weisser Hut mit rothen Federn". Ist es denkbar, dass
Palomino, der hier unter dem lebhaften Eindruck des Bildnisses
schreibt3), einer Rüstung rothen Plüsch untergeschoben haben
sollte?

Das Bildniss von Fraga muss also ein andres Gemälde
sein; Palomino sagt mit keinem Wort, dass es ein Reiterbild war,
ebensowenig das Aktenstück im Archiv. Diess ist nur daraus
geschlossen worden, dass der König seinen Einzug allerdings zu
Ross hielt. Wie sollte der Biograph in seiner Beschreibung diesen
Hauptpunkt ausgelassen haben! Velazquez hatte ja den König
noch gar nicht einreiten sehn, denn er malte ihn zwei Monate
vor dem Einzug. Sollte man ihm in dem elenden Landstädt-
chen ein lebensgrosses Reiterbild zugemuthet haben, zumal
da das Gemälde nicht etwa bloss skizzirt werden sollte, son-
dern, wie ausdrücklich gesagt wird, von da nach Madrid ge-
schickt wurde (para embiarle a Madrid). Er hätte nicht die
Leinwand dazu gefunden. Nun aber besitzen wir ein Original
des Velazquez, welches mit der Beschreibung stimmt. Es ist

1) Su Magd: traya un vestido de camuca todo bordado de oro, y plata, con
banda colorada. Depesche vom 24. August 1644.
2) Memorial historico XVII, 456. El traje de S. M. fue vestido de soldado,
encarnado bordado de oro, jubon y calzon, coleto de ante liso etc.
3) Con tan linda ayre, tanta gracia, y magestad, que parecia otro vivo
Philipo. a. a. O.

Fünftes Buch.
die Strassen der Stadt bis nach der auf dem steilen Hügel ge-
legenen Seo oder Kathedrale (jetzt in barbarischer Weise zur
Kaserne entweiht), ein Weg von einer viertel Meile Länge, zu
dem er zwei Stunden brauchte. Sein Anzug bestand in „einem
Koller von Gemsleder, reich gestickt mit Gold und Silber, mit
rother ebenso gestickter Schärpe und Federhut“1). Dass natür-
lich nicht das Lederkoller selbst gestickt war, sondern das Wams,
oder die ropilla, geht aus Palomino hervor, der ihn „bekleidet
mit carmoisinrothem Plüsch“ (felpa) bezeichnet. Es ist diess die
Tracht, welche er in der Kampagne des Jahres bei militärischen
Aufzügen anlegte2). Vor dem Abmarsch nach Lerida im April
hielt er in Saragossa eine Truppenschau, bei welcher er unter den
Salven der Geschütze die Front einer aus verschiedenen Nationa-
litäten bestehenden Armee von 9000 Fussgängern und 4000 Rei-
tern abritt, und elf Stunden zu Pferde sass. „Die Tracht S. M.
war soldatisch, rothes (encarnado) goldgesticktes Wams und Bein-
kleider, glattes Lederkoller, kurzer Kommandostab von glattem
Holz, weisser Hut mit rothen Federn“. Ist es denkbar, dass
Palomino, der hier unter dem lebhaften Eindruck des Bildnisses
schreibt3), einer Rüstung rothen Plüsch untergeschoben haben
sollte?

Das Bildniss von Fraga muss also ein andres Gemälde
sein; Palomino sagt mit keinem Wort, dass es ein Reiterbild war,
ebensowenig das Aktenstück im Archiv. Diess ist nur daraus
geschlossen worden, dass der König seinen Einzug allerdings zu
Ross hielt. Wie sollte der Biograph in seiner Beschreibung diesen
Hauptpunkt ausgelassen haben! Velazquez hatte ja den König
noch gar nicht einreiten sehn, denn er malte ihn zwei Monate
vor dem Einzug. Sollte man ihm in dem elenden Landstädt-
chen ein lebensgrosses Reiterbild zugemuthet haben, zumal
da das Gemälde nicht etwa bloss skizzirt werden sollte, son-
dern, wie ausdrücklich gesagt wird, von da nach Madrid ge-
schickt wurde (para embiarle á Madrid). Er hätte nicht die
Leinwand dazu gefunden. Nun aber besitzen wir ein Original
des Velazquez, welches mit der Beschreibung stimmt. Es ist

1) Su Magd: traya un vestido de camuça todo bordado de oro, y plata, con
banda colorada. Depesche vom 24. August 1644.
2) Memorial histórico XVII, 456. El traje de S. M. fué vestido de soldado,
encarnado bordado de oro, jubon y calzon, coleto de ante liso etc.
3) Con tan linda ayre, tanta gracia, y magestad, que parecia otro vivo
Philipo. a. a. O.
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[92/0112] Fünftes Buch. die Strassen der Stadt bis nach der auf dem steilen Hügel ge- legenen Seo oder Kathedrale (jetzt in barbarischer Weise zur Kaserne entweiht), ein Weg von einer viertel Meile Länge, zu dem er zwei Stunden brauchte. Sein Anzug bestand in „einem Koller von Gemsleder, reich gestickt mit Gold und Silber, mit rother ebenso gestickter Schärpe und Federhut“ 1). Dass natür- lich nicht das Lederkoller selbst gestickt war, sondern das Wams, oder die ropilla, geht aus Palomino hervor, der ihn „bekleidet mit carmoisinrothem Plüsch“ (felpa) bezeichnet. Es ist diess die Tracht, welche er in der Kampagne des Jahres bei militärischen Aufzügen anlegte 2). Vor dem Abmarsch nach Lerida im April hielt er in Saragossa eine Truppenschau, bei welcher er unter den Salven der Geschütze die Front einer aus verschiedenen Nationa- litäten bestehenden Armee von 9000 Fussgängern und 4000 Rei- tern abritt, und elf Stunden zu Pferde sass. „Die Tracht S. M. war soldatisch, rothes (encarnado) goldgesticktes Wams und Bein- kleider, glattes Lederkoller, kurzer Kommandostab von glattem Holz, weisser Hut mit rothen Federn“. Ist es denkbar, dass Palomino, der hier unter dem lebhaften Eindruck des Bildnisses schreibt 3), einer Rüstung rothen Plüsch untergeschoben haben sollte? Das Bildniss von Fraga muss also ein andres Gemälde sein; Palomino sagt mit keinem Wort, dass es ein Reiterbild war, ebensowenig das Aktenstück im Archiv. Diess ist nur daraus geschlossen worden, dass der König seinen Einzug allerdings zu Ross hielt. Wie sollte der Biograph in seiner Beschreibung diesen Hauptpunkt ausgelassen haben! Velazquez hatte ja den König noch gar nicht einreiten sehn, denn er malte ihn zwei Monate vor dem Einzug. Sollte man ihm in dem elenden Landstädt- chen ein lebensgrosses Reiterbild zugemuthet haben, zumal da das Gemälde nicht etwa bloss skizzirt werden sollte, son- dern, wie ausdrücklich gesagt wird, von da nach Madrid ge- schickt wurde (para embiarle á Madrid). Er hätte nicht die Leinwand dazu gefunden. Nun aber besitzen wir ein Original des Velazquez, welches mit der Beschreibung stimmt. Es ist 1) Su Magd: traya un vestido de camuça todo bordado de oro, y plata, con banda colorada. Depesche vom 24. August 1644. 2) Memorial histórico XVII, 456. El traje de S. M. fué vestido de soldado, encarnado bordado de oro, jubon y calzon, coleto de ante liso etc. 3) Con tan linda ayre, tanta gracia, y magestad, que parecia otro vivo Philipo. a. a. O.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/112>, abgerufen am 28.03.2024.