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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.

Der noch jugendliche Ritter liegt in einer Grabhöhle auf dem
Rücken am Boden, wie die Statue eines Verstorbenen auf dem Monument,
schräg nach dem Grunde zu, den Kopf vorn, in einer gleichmässigen,
meisterhaft durchgeführten Verkürzung. Die reichen braunen Locken
fallen auf den Boden. Er trägt einen Harnisch bis an die Lenden; von
da ab schwarze Beinkleider; weisse Strümpfe und schwarze Schuhe. Zur
Rechten die Felswand mit Steinplatten; neben dem Kopf zwei Todten-
schädel, und einer zu Füssen. Am Zweig des abgestorbenen Baums hängt
eine Lampe, deren erloschener Docht verglimmend qualmt. Links sieht
man in eine weite Tiefe mit fernen Bergen hinunter. Die Beleuchtung, bei
dem jetzigen Zustand des Bildes nicht sicher zu bestimmen, scheint
dämmerig. Die breite Rechte ruht auf der Brust, die Linke an der
Degenkoppel, der Degen selbst scheint unter dem Rücken zu liegen.
Ist er von den Seinigen so auf nacktem Stein unter freiem Himmel ge-
bettet worden, oder hat er sich selbst zum Sterben hingelegt? Von einer
Wunde ist keine Spur. Das Gesicht ist ein Porträt: sollte Jemand sich
in einer weltmüden Anwandlung so haben malen lassen? Die Idee wäre
spanisch.

Es ist mir nicht bekannt, ob inzwischen Jemanden gelungen ist, den
wahren Urheber dieses merkwürdigen und ergreifenden Bildes zu be-
stimmen. "In Spanien, heisst es in jenem Katalog, galt es für ein Bild
des Nichts menschlicher Grösse." So hat Valdes Leal, dessen ascetische
Stillleben sich auf diese Idee des Desenganno beziehen, in der Caridad
zu Sevilla einen Cavalier in ähnlicher Lage nebst einem Bischof im
Sarge gemalt im Zustand der Verwesung; aber seine mit anspielungs-
reichen Details vollgestopften Bilder, gemalte Traktätchen, sind weit ent-
fernt von dem einfach ernsten Stil in dem unser Bild empfunden ist.
Mir schien es eher auf die neapolitanische Schule hinzuweisen. Der
grünliche Ton der Lichter im Fleisch, das dünne Impasto, die breiten
Hände, selbst der Typus mit der Stülpnase lässt an den Cavalier Calabrese
denken; die diagonale Lage mit dem Haupt nach vorn, der alte schiefe
Baum, die Landschaft an Ribera; die düstre Idee des einsamen Ritters
an Salvator und seinen heiligen Wilhelm, der schweren Büssungen und
dem Tod selbst in voller Rüstung sich unterzog. Aber für Mattia Preti
scheint dieser Ritter zu straff und fein gezeichnet, für Spagnoletto zu
dünn gemalt, und in vieler Beziehung zu gut für Salvator Rosa.


Fünftes Buch.

Der noch jugendliche Ritter liegt in einer Grabhöhle auf dem
Rücken am Boden, wie die Statue eines Verstorbenen auf dem Monument,
schräg nach dem Grunde zu, den Kopf vorn, in einer gleichmässigen,
meisterhaft durchgeführten Verkürzung. Die reichen braunen Locken
fallen auf den Boden. Er trägt einen Harnisch bis an die Lenden; von
da ab schwarze Beinkleider; weisse Strümpfe und schwarze Schuhe. Zur
Rechten die Felswand mit Steinplatten; neben dem Kopf zwei Todten-
schädel, und einer zu Füssen. Am Zweig des abgestorbenen Baums hängt
eine Lampe, deren erloschener Docht verglimmend qualmt. Links sieht
man in eine weite Tiefe mit fernen Bergen hinunter. Die Beleuchtung, bei
dem jetzigen Zustand des Bildes nicht sicher zu bestimmen, scheint
dämmerig. Die breite Rechte ruht auf der Brust, die Linke an der
Degenkoppel, der Degen selbst scheint unter dem Rücken zu liegen.
Ist er von den Seinigen so auf nacktem Stein unter freiem Himmel ge-
bettet worden, oder hat er sich selbst zum Sterben hingelegt? Von einer
Wunde ist keine Spur. Das Gesicht ist ein Porträt: sollte Jemand sich
in einer weltmüden Anwandlung so haben malen lassen? Die Idee wäre
spanisch.

Es ist mir nicht bekannt, ob inzwischen Jemanden gelungen ist, den
wahren Urheber dieses merkwürdigen und ergreifenden Bildes zu be-
stimmen. „In Spanien, heisst es in jenem Katalog, galt es für ein Bild
des Nichts menschlicher Grösse.“ So hat Valdes Leal, dessen ascetische
Stillleben sich auf diese Idee des Desengaño beziehen, in der Caridad
zu Sevilla einen Cavalier in ähnlicher Lage nebst einem Bischof im
Sarge gemalt im Zustand der Verwesung; aber seine mit anspielungs-
reichen Details vollgestopften Bilder, gemalte Traktätchen, sind weit ent-
fernt von dem einfach ernsten Stil in dem unser Bild empfunden ist.
Mir schien es eher auf die neapolitanische Schule hinzuweisen. Der
grünliche Ton der Lichter im Fleisch, das dünne Impasto, die breiten
Hände, selbst der Typus mit der Stülpnase lässt an den Cavalier Calabrese
denken; die diagonale Lage mit dem Haupt nach vorn, der alte schiefe
Baum, die Landschaft an Ribera; die düstre Idee des einsamen Ritters
an Salvator und seinen heiligen Wilhelm, der schweren Büssungen und
dem Tod selbst in voller Rüstung sich unterzog. Aber für Mattia Preti
scheint dieser Ritter zu straff und fein gezeichnet, für Spagnoletto zu
dünn gemalt, und in vieler Beziehung zu gut für Salvator Rosa.


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[86/0106] Fünftes Buch. Der noch jugendliche Ritter liegt in einer Grabhöhle auf dem Rücken am Boden, wie die Statue eines Verstorbenen auf dem Monument, schräg nach dem Grunde zu, den Kopf vorn, in einer gleichmässigen, meisterhaft durchgeführten Verkürzung. Die reichen braunen Locken fallen auf den Boden. Er trägt einen Harnisch bis an die Lenden; von da ab schwarze Beinkleider; weisse Strümpfe und schwarze Schuhe. Zur Rechten die Felswand mit Steinplatten; neben dem Kopf zwei Todten- schädel, und einer zu Füssen. Am Zweig des abgestorbenen Baums hängt eine Lampe, deren erloschener Docht verglimmend qualmt. Links sieht man in eine weite Tiefe mit fernen Bergen hinunter. Die Beleuchtung, bei dem jetzigen Zustand des Bildes nicht sicher zu bestimmen, scheint dämmerig. Die breite Rechte ruht auf der Brust, die Linke an der Degenkoppel, der Degen selbst scheint unter dem Rücken zu liegen. Ist er von den Seinigen so auf nacktem Stein unter freiem Himmel ge- bettet worden, oder hat er sich selbst zum Sterben hingelegt? Von einer Wunde ist keine Spur. Das Gesicht ist ein Porträt: sollte Jemand sich in einer weltmüden Anwandlung so haben malen lassen? Die Idee wäre spanisch. Es ist mir nicht bekannt, ob inzwischen Jemanden gelungen ist, den wahren Urheber dieses merkwürdigen und ergreifenden Bildes zu be- stimmen. „In Spanien, heisst es in jenem Katalog, galt es für ein Bild des Nichts menschlicher Grösse.“ So hat Valdes Leal, dessen ascetische Stillleben sich auf diese Idee des Desengaño beziehen, in der Caridad zu Sevilla einen Cavalier in ähnlicher Lage nebst einem Bischof im Sarge gemalt im Zustand der Verwesung; aber seine mit anspielungs- reichen Details vollgestopften Bilder, gemalte Traktätchen, sind weit ent- fernt von dem einfach ernsten Stil in dem unser Bild empfunden ist. Mir schien es eher auf die neapolitanische Schule hinzuweisen. Der grünliche Ton der Lichter im Fleisch, das dünne Impasto, die breiten Hände, selbst der Typus mit der Stülpnase lässt an den Cavalier Calabrese denken; die diagonale Lage mit dem Haupt nach vorn, der alte schiefe Baum, die Landschaft an Ribera; die düstre Idee des einsamen Ritters an Salvator und seinen heiligen Wilhelm, der schweren Büssungen und dem Tod selbst in voller Rüstung sich unterzog. Aber für Mattia Preti scheint dieser Ritter zu straff und fein gezeichnet, für Spagnoletto zu dünn gemalt, und in vieler Beziehung zu gut für Salvator Rosa.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/106>, abgerufen am 29.03.2024.