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Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Geschichte des Erd-Cörpers. Berlin, 1771.

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Einleitung.
Weltgebäudes ewig und unendlich sey. Eben so ge-
wiß ist es, daß ein Gott, ein ewiges, unendli-
ches und selbstständiges Wesen vorhanden ist, wel-
ches dem ganzen Weltgebäude seine Gestalt und Ein-
richtung gegeben, und dasselbe hervorgebracht hat,
weil das Wesen des Weltgebäudes selbst nicht die ge-
ringsten Beschaffenheiten hat, die man sich von einem
ewigen und selbstständigen Wesen vorstellen muß. Wie
soll man also bey der vorhin klar erwiesenen Existenz
zweyer ewigen und unendlichen Wesen weiter schließen;
die Vernunft hat hier nur einen einzigen Ausweg
übrig. Sie muß nämlich diese beyden ewigen und
unendlichen Wesen mit einander vereinigen. Sie
muß schließen, daß Gott und der Raum ganz einer-
ley sey, daß Gott der Raum, oder der Raum
Gott sey.

Dieses ist die Hypothese der größten und tiefsin-
nigsten englischen Weltweisen gewesen, und sie ist ge-
wiß die vernünftigste und wahrscheinlichste, welche der
menschliche Verstand erfinden kann. Es werden da-
durch zugleich alle die unendlichen Schwierigkeiten aus
dem Wege geräumet, welche in der Weltweisheit ent-
stehen, wenn man sich den Raum als ein besonderes
Wesen vorstellet, man mag annehmen, daß er von
Gott erschaffen sey, oder nicht.

Man weis, daß Cartesius und alle seine Nach-
folger, wie auch der Herr von Wolff, den Raum
vor gar nichts Wirkliches, sondern nur vor etwas Zu-
fälliges angesehen haben. Sie erklärten den Raum
als eine Folge oder Ordnung der Dinge auf und neben

einander,

Einleitung.
Weltgebaͤudes ewig und unendlich ſey. Eben ſo ge-
wiß iſt es, daß ein Gott, ein ewiges, unendli-
ches und ſelbſtſtaͤndiges Weſen vorhanden iſt, wel-
ches dem ganzen Weltgebaͤude ſeine Geſtalt und Ein-
richtung gegeben, und daſſelbe hervorgebracht hat,
weil das Weſen des Weltgebaͤudes ſelbſt nicht die ge-
ringſten Beſchaffenheiten hat, die man ſich von einem
ewigen und ſelbſtſtaͤndigen Weſen vorſtellen muß. Wie
ſoll man alſo bey der vorhin klar erwieſenen Exiſtenz
zweyer ewigen und unendlichen Weſen weiter ſchließen;
die Vernunft hat hier nur einen einzigen Ausweg
uͤbrig. Sie muß naͤmlich dieſe beyden ewigen und
unendlichen Weſen mit einander vereinigen. Sie
muß ſchließen, daß Gott und der Raum ganz einer-
ley ſey, daß Gott der Raum, oder der Raum
Gott ſey.

Dieſes iſt die Hypotheſe der groͤßten und tiefſin-
nigſten engliſchen Weltweiſen geweſen, und ſie iſt ge-
wiß die vernuͤnftigſte und wahrſcheinlichſte, welche der
menſchliche Verſtand erfinden kann. Es werden da-
durch zugleich alle die unendlichen Schwierigkeiten aus
dem Wege geraͤumet, welche in der Weltweisheit ent-
ſtehen, wenn man ſich den Raum als ein beſonderes
Weſen vorſtellet, man mag annehmen, daß er von
Gott erſchaffen ſey, oder nicht.

Man weis, daß Carteſius und alle ſeine Nach-
folger, wie auch der Herr von Wolff, den Raum
vor gar nichts Wirkliches, ſondern nur vor etwas Zu-
faͤlliges angeſehen haben. Sie erklaͤrten den Raum
als eine Folge oder Ordnung der Dinge auf und neben

einander,
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[11/0039] Einleitung. Weltgebaͤudes ewig und unendlich ſey. Eben ſo ge- wiß iſt es, daß ein Gott, ein ewiges, unendli- ches und ſelbſtſtaͤndiges Weſen vorhanden iſt, wel- ches dem ganzen Weltgebaͤude ſeine Geſtalt und Ein- richtung gegeben, und daſſelbe hervorgebracht hat, weil das Weſen des Weltgebaͤudes ſelbſt nicht die ge- ringſten Beſchaffenheiten hat, die man ſich von einem ewigen und ſelbſtſtaͤndigen Weſen vorſtellen muß. Wie ſoll man alſo bey der vorhin klar erwieſenen Exiſtenz zweyer ewigen und unendlichen Weſen weiter ſchließen; die Vernunft hat hier nur einen einzigen Ausweg uͤbrig. Sie muß naͤmlich dieſe beyden ewigen und unendlichen Weſen mit einander vereinigen. Sie muß ſchließen, daß Gott und der Raum ganz einer- ley ſey, daß Gott der Raum, oder der Raum Gott ſey. Dieſes iſt die Hypotheſe der groͤßten und tiefſin- nigſten engliſchen Weltweiſen geweſen, und ſie iſt ge- wiß die vernuͤnftigſte und wahrſcheinlichſte, welche der menſchliche Verſtand erfinden kann. Es werden da- durch zugleich alle die unendlichen Schwierigkeiten aus dem Wege geraͤumet, welche in der Weltweisheit ent- ſtehen, wenn man ſich den Raum als ein beſonderes Weſen vorſtellet, man mag annehmen, daß er von Gott erſchaffen ſey, oder nicht. Man weis, daß Carteſius und alle ſeine Nach- folger, wie auch der Herr von Wolff, den Raum vor gar nichts Wirkliches, ſondern nur vor etwas Zu- faͤlliges angeſehen haben. Sie erklaͤrten den Raum als eine Folge oder Ordnung der Dinge auf und neben einander,

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Zitationshilfe: Justi, Johann Heinrich Gottlob von: Geschichte des Erd-Cörpers. Berlin, 1771, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_geschichte_1771/39>, abgerufen am 25.04.2024.