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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe.
im Widerspruch fühlt, sondern daß selbst die Wissenschaft noch
bis zu einem gewissen Grade mit diesem Gefühl zu sympathisi-
ren scheint, und darum werde ich mich hier ausführlicher er-
gehen, als das unmittelbare Verständniß des römischen Rechts
es erfordert.

Wir werden folgende vier Punkte ins Auge fassen, von denen
die drei ersten die Selbständigkeit des Rechts hinsichtlich seiner
innern Entwicklung, der letztere die Selbständigkeit desselben
hinsichtlich seiner äußern Verwirklichung zum Gegenstande hat.

1. Erhebung des Rechts zu der ihm eigenthümlichen Form
(§. 25).
2. Innerliches Zu-Sich-Kommen des Rechts (§. 26).
3. Selbsterhaltungs- und Erweiterungstrieb des geschriebe-
nen Rechts (§. 27).
4. Sicherheit und Unabhängigkeit der Verwirklichung des
Rechts (§. 28).
1. Erhebung des Rechts zu der ihm eigenthüm-
lichen Form
.

Die Sitte und das Gesetz, geschriebenes und ungeschriebenes Recht
-- Bedeutung dieses Gegensatzes für die Selbständigkeit des
Rechts -- Verhalten des ältern Rechts zu diesem Gegensatz (Pri-
vatrecht -- öffentliches Recht -- die Volksgerichte --).

XXV. Wir beginnen mit dem ersten und einfachsten Schritt,
den das Recht auf der Bahn der Selbständigkeit machen kann,
und der doch in seinen Folgen unendlich wichtiger ist, als man
gewöhnlich annimmt, dem Fortschritt desselben von dem System
des ungeschriebenen zu dem des geschriebenen Rechts, von der
Sitte und Gewohnheit zum Gesetz.

Die Frage von der Entstehung des Rechts bildet einen
Hauptdivergenzpunkt zwischen der Lehre des vorigen und der
des jetzigen Jahrhunderts. Jener zufolge entstand das Recht
auf regulärem Wege durch die Gesetzgebung und nur aus-

Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
im Widerſpruch fühlt, ſondern daß ſelbſt die Wiſſenſchaft noch
bis zu einem gewiſſen Grade mit dieſem Gefühl zu ſympathiſi-
ren ſcheint, und darum werde ich mich hier ausführlicher er-
gehen, als das unmittelbare Verſtändniß des römiſchen Rechts
es erfordert.

Wir werden folgende vier Punkte ins Auge faſſen, von denen
die drei erſten die Selbſtändigkeit des Rechts hinſichtlich ſeiner
innern Entwicklung, der letztere die Selbſtändigkeit deſſelben
hinſichtlich ſeiner äußern Verwirklichung zum Gegenſtande hat.

1. Erhebung des Rechts zu der ihm eigenthümlichen Form
(§. 25).
2. Innerliches Zu-Sich-Kommen des Rechts (§. 26).
3. Selbſterhaltungs- und Erweiterungstrieb des geſchriebe-
nen Rechts (§. 27).
4. Sicherheit und Unabhängigkeit der Verwirklichung des
Rechts (§. 28).
1. Erhebung des Rechts zu der ihm eigenthüm-
lichen Form
.

Die Sitte und das Geſetz, geſchriebenes und ungeſchriebenes Recht
— Bedeutung dieſes Gegenſatzes für die Selbſtändigkeit des
Rechts — Verhalten des ältern Rechts zu dieſem Gegenſatz (Pri-
vatrecht — öffentliches Recht — die Volksgerichte —).

XXV. Wir beginnen mit dem erſten und einfachſten Schritt,
den das Recht auf der Bahn der Selbſtändigkeit machen kann,
und der doch in ſeinen Folgen unendlich wichtiger iſt, als man
gewöhnlich annimmt, dem Fortſchritt deſſelben von dem Syſtem
des ungeſchriebenen zu dem des geſchriebenen Rechts, von der
Sitte und Gewohnheit zum Geſetz.

Die Frage von der Entſtehung des Rechts bildet einen
Hauptdivergenzpunkt zwiſchen der Lehre des vorigen und der
des jetzigen Jahrhunderts. Jener zufolge entſtand das Recht
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[24/0038] Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. im Widerſpruch fühlt, ſondern daß ſelbſt die Wiſſenſchaft noch bis zu einem gewiſſen Grade mit dieſem Gefühl zu ſympathiſi- ren ſcheint, und darum werde ich mich hier ausführlicher er- gehen, als das unmittelbare Verſtändniß des römiſchen Rechts es erfordert. Wir werden folgende vier Punkte ins Auge faſſen, von denen die drei erſten die Selbſtändigkeit des Rechts hinſichtlich ſeiner innern Entwicklung, der letztere die Selbſtändigkeit deſſelben hinſichtlich ſeiner äußern Verwirklichung zum Gegenſtande hat. 1. Erhebung des Rechts zu der ihm eigenthümlichen Form (§. 25). 2. Innerliches Zu-Sich-Kommen des Rechts (§. 26). 3. Selbſterhaltungs- und Erweiterungstrieb des geſchriebe- nen Rechts (§. 27). 4. Sicherheit und Unabhängigkeit der Verwirklichung des Rechts (§. 28). 1. Erhebung des Rechts zu der ihm eigenthüm- lichen Form. Die Sitte und das Geſetz, geſchriebenes und ungeſchriebenes Recht — Bedeutung dieſes Gegenſatzes für die Selbſtändigkeit des Rechts — Verhalten des ältern Rechts zu dieſem Gegenſatz (Pri- vatrecht — öffentliches Recht — die Volksgerichte —). XXV. Wir beginnen mit dem erſten und einfachſten Schritt, den das Recht auf der Bahn der Selbſtändigkeit machen kann, und der doch in ſeinen Folgen unendlich wichtiger iſt, als man gewöhnlich annimmt, dem Fortſchritt deſſelben von dem Syſtem des ungeſchriebenen zu dem des geſchriebenen Rechts, von der Sitte und Gewohnheit zum Geſetz. Die Frage von der Entſtehung des Rechts bildet einen Hauptdivergenzpunkt zwiſchen der Lehre des vorigen und der des jetzigen Jahrhunderts. Jener zufolge entſtand das Recht auf regulärem Wege durch die Geſetzgebung und nur aus-

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/38>, abgerufen am 28.03.2024.