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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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I. Aeußerer Eindruck der Rechtswelt -- Plastik des Rechts -- §. 23.
Römer -- dies lehrt uns das ganze römische Alterthum. Wer
dasselbe einer Betrachtung in dieser Rücksicht unterwerfen will,
wird finden, daß dasselbe von der Tendenz beseelt ist, die innern
Unterschiede durch äußere Zeichen sichtbar zu machen, und wo
war diese Tendenz mehr am Platz, als gerade im Recht? So
wie der Senator, Ritter, der Freie, Mündige, Unmündige, der
Angeklagte u. s. w. an seinem Kleide kenntlich ist, so soll auch
das Rechtsgeschäft durch seine juristische Uniform, wenn ich
so sagen darf, seine toga civilis äußerlich erkennbar sein. Fehlt
dieselbe, so liegt darin ausgesprochen, daß die Partheien ein
Rechtsgeschäft gar nicht intendirt haben, denn sonst würden
sie dasselbe in die erforderliche Form eingekleidet haben.

Es ist oben die Unsichtbarkeit der Bewegung des heutigen
Rechtsverkehrs als die Folge der unplastischen Natur desselben
bezeichnet. Für das römische Recht können wir also umgekehrt
der eben erörterten Plastik desselben auch den Ausdruck der Sicht-
barkeit und Erkennbarkeit des Rechtsverkehrs geben. Es tritt
keine rechtliche Wirkung ein, die nicht eine äußere, mechanische
Ursache hätte. Das mindeste, was verlangt wird, ist doch das
Erscheinen und die persönliche Thätigkeit der Partheien selbst,
wenn auch letztere, wie z. B. bei der Stipulation, sich ohne
weitere äußerliche Handlung auf ein bloßes Aussprechen von
Worten beschränkt.


Wir wenden uns jetzt dem inneren Organismus des ältern
Rechts zu und zwar werden wir zuerst (§. 24--30) den Versuch
machen, die Grundtriebe der ganzen Rechtsbildung aufzufinden.
Dieselben lassen sich subjektiv aus der Seele des römischen Volks
heraus auch als die Ideale des römischen Rechtsgefühls bezeich-
nen; was der subjektiven Anschauung des Volks als zu erreichen-
des Ziel, als Ideal vorschwebt, wird objektiv im Recht selbst als
Tendenz der Rechtsbildung hervortreten. Was erscheint nun dem

2*

I. Aeußerer Eindruck der Rechtswelt — Plaſtik des Rechts — §. 23.
Römer — dies lehrt uns das ganze römiſche Alterthum. Wer
daſſelbe einer Betrachtung in dieſer Rückſicht unterwerfen will,
wird finden, daß daſſelbe von der Tendenz beſeelt iſt, die innern
Unterſchiede durch äußere Zeichen ſichtbar zu machen, und wo
war dieſe Tendenz mehr am Platz, als gerade im Recht? So
wie der Senator, Ritter, der Freie, Mündige, Unmündige, der
Angeklagte u. ſ. w. an ſeinem Kleide kenntlich iſt, ſo ſoll auch
das Rechtsgeſchäft durch ſeine juriſtiſche Uniform, wenn ich
ſo ſagen darf, ſeine toga civilis äußerlich erkennbar ſein. Fehlt
dieſelbe, ſo liegt darin ausgeſprochen, daß die Partheien ein
Rechtsgeſchäft gar nicht intendirt haben, denn ſonſt würden
ſie daſſelbe in die erforderliche Form eingekleidet haben.

Es iſt oben die Unſichtbarkeit der Bewegung des heutigen
Rechtsverkehrs als die Folge der unplaſtiſchen Natur deſſelben
bezeichnet. Für das römiſche Recht können wir alſo umgekehrt
der eben erörterten Plaſtik deſſelben auch den Ausdruck der Sicht-
barkeit und Erkennbarkeit des Rechtsverkehrs geben. Es tritt
keine rechtliche Wirkung ein, die nicht eine äußere, mechaniſche
Urſache hätte. Das mindeſte, was verlangt wird, iſt doch das
Erſcheinen und die perſönliche Thätigkeit der Partheien ſelbſt,
wenn auch letztere, wie z. B. bei der Stipulation, ſich ohne
weitere äußerliche Handlung auf ein bloßes Ausſprechen von
Worten beſchränkt.


Wir wenden uns jetzt dem inneren Organismus des ältern
Rechts zu und zwar werden wir zuerſt (§. 24—30) den Verſuch
machen, die Grundtriebe der ganzen Rechtsbildung aufzufinden.
Dieſelben laſſen ſich ſubjektiv aus der Seele des römiſchen Volks
heraus auch als die Ideale des römiſchen Rechtsgefühls bezeich-
nen; was der ſubjektiven Anſchauung des Volks als zu erreichen-
des Ziel, als Ideal vorſchwebt, wird objektiv im Recht ſelbſt als
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[19/0033] I. Aeußerer Eindruck der Rechtswelt — Plaſtik des Rechts — §. 23. Römer — dies lehrt uns das ganze römiſche Alterthum. Wer daſſelbe einer Betrachtung in dieſer Rückſicht unterwerfen will, wird finden, daß daſſelbe von der Tendenz beſeelt iſt, die innern Unterſchiede durch äußere Zeichen ſichtbar zu machen, und wo war dieſe Tendenz mehr am Platz, als gerade im Recht? So wie der Senator, Ritter, der Freie, Mündige, Unmündige, der Angeklagte u. ſ. w. an ſeinem Kleide kenntlich iſt, ſo ſoll auch das Rechtsgeſchäft durch ſeine juriſtiſche Uniform, wenn ich ſo ſagen darf, ſeine toga civilis äußerlich erkennbar ſein. Fehlt dieſelbe, ſo liegt darin ausgeſprochen, daß die Partheien ein Rechtsgeſchäft gar nicht intendirt haben, denn ſonſt würden ſie daſſelbe in die erforderliche Form eingekleidet haben. Es iſt oben die Unſichtbarkeit der Bewegung des heutigen Rechtsverkehrs als die Folge der unplaſtiſchen Natur deſſelben bezeichnet. Für das römiſche Recht können wir alſo umgekehrt der eben erörterten Plaſtik deſſelben auch den Ausdruck der Sicht- barkeit und Erkennbarkeit des Rechtsverkehrs geben. Es tritt keine rechtliche Wirkung ein, die nicht eine äußere, mechaniſche Urſache hätte. Das mindeſte, was verlangt wird, iſt doch das Erſcheinen und die perſönliche Thätigkeit der Partheien ſelbſt, wenn auch letztere, wie z. B. bei der Stipulation, ſich ohne weitere äußerliche Handlung auf ein bloßes Ausſprechen von Worten beſchränkt. Wir wenden uns jetzt dem inneren Organismus des ältern Rechts zu und zwar werden wir zuerſt (§. 24—30) den Verſuch machen, die Grundtriebe der ganzen Rechtsbildung aufzufinden. Dieſelben laſſen ſich ſubjektiv aus der Seele des römiſchen Volks heraus auch als die Ideale des römiſchen Rechtsgefühls bezeich- nen; was der ſubjektiven Anſchauung des Volks als zu erreichen- des Ziel, als Ideal vorſchwebt, wird objektiv im Recht ſelbſt als Tendenz der Rechtsbildung hervortreten. Was erſcheint nun dem 2*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/33>, abgerufen am 28.03.2024.