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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

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Einleitung. §. 22.
sichern; es ist ein Gegenstand, der bei aller seiner Einfachheit
und Roheit doch dem geistigen Bedürfniß die vollste Befriedi-
gung zu gewähren vermag.

Das vorliegende Buch zerfällt in drei Abschnitte.

I. Allgemeine Charakteristik des Rechtssystems.

Es sollen in diesem Abschnitt die allgemeinen Charakterzüge
und leitenden Gedanken des ältern Rechts entwickelt werden,
und zwar wenden wir uns

1) der Außenseite der Rechtswelt zu, machen uns
also zuerst mit der äußern Erscheinung des Rechts ver-
traut (Oeffentlichkeit -- Plastik). Die Eigenthümlichkeit
des Rechts erschließt sich uns aber erst, wenn wir
2) die Grundtriebe desselben ins Auge fassen, d. h. die
höchsten, allgemeinsten Tendenzen, die dasselbe verfolgt,
die sich also auch als die Ziele und Ideale des römischen
Rechtsgefühls bezeichnen lassen. Es sind dies 1) der
Selbständigkeitstrieb des Rechts, 2) der Gleich-
heitstrieb
, 3) der Macht- und Freiheitstrieb.

Während sie uns das Wollen des römischen Geistes auf
dem Gebiete des Rechts bezeichnen, stellt uns, ganz ihren
Zwecken dienstbar,

3) die juristische Technik das intellektuelle Können
desselben dar. Es ist der Höhengrad der rationellen Er-
fassung und Behandlung des Stoffes, den wir hier zu
bestimmen haben, der Reichthum an Ideen und Mitteln,
über den jene Technik gebietet, ihre Methode der Zer-
setzung und Scheidung des Stoffs -- die juristische Ana-
lyse -- und ihr Kleben an der Aeußerlichkeit (Materialis-
mus und Formalismus).

Nachdem wir hiermit die allgemeinsten Charakterzüge gefun-
den, werfen wir

4) einen Blick auf einige irreguläre Erscheinungen ("freiere

Einleitung. §. 22.
ſichern; es iſt ein Gegenſtand, der bei aller ſeiner Einfachheit
und Roheit doch dem geiſtigen Bedürfniß die vollſte Befriedi-
gung zu gewähren vermag.

Das vorliegende Buch zerfällt in drei Abſchnitte.

I. Allgemeine Charakteriſtik des Rechtsſyſtems.

Es ſollen in dieſem Abſchnitt die allgemeinen Charakterzüge
und leitenden Gedanken des ältern Rechts entwickelt werden,
und zwar wenden wir uns

1) der Außenſeite der Rechtswelt zu, machen uns
alſo zuerſt mit der äußern Erſcheinung des Rechts ver-
traut (Oeffentlichkeit — Plaſtik). Die Eigenthümlichkeit
des Rechts erſchließt ſich uns aber erſt, wenn wir
2) die Grundtriebe deſſelben ins Auge faſſen, d. h. die
höchſten, allgemeinſten Tendenzen, die daſſelbe verfolgt,
die ſich alſo auch als die Ziele und Ideale des römiſchen
Rechtsgefühls bezeichnen laſſen. Es ſind dies 1) der
Selbſtändigkeitstrieb des Rechts, 2) der Gleich-
heitstrieb
, 3) der Macht- und Freiheitstrieb.

Während ſie uns das Wollen des römiſchen Geiſtes auf
dem Gebiete des Rechts bezeichnen, ſtellt uns, ganz ihren
Zwecken dienſtbar,

3) die juriſtiſche Technik das intellektuelle Können
deſſelben dar. Es iſt der Höhengrad der rationellen Er-
faſſung und Behandlung des Stoffes, den wir hier zu
beſtimmen haben, der Reichthum an Ideen und Mitteln,
über den jene Technik gebietet, ihre Methode der Zer-
ſetzung und Scheidung des Stoffs — die juriſtiſche Ana-
lyſe — und ihr Kleben an der Aeußerlichkeit (Materialis-
mus und Formalismus).

Nachdem wir hiermit die allgemeinſten Charakterzüge gefun-
den, werfen wir

4) einen Blick auf einige irreguläre Erſcheinungen („freiere
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[7/0021] Einleitung. §. 22. ſichern; es iſt ein Gegenſtand, der bei aller ſeiner Einfachheit und Roheit doch dem geiſtigen Bedürfniß die vollſte Befriedi- gung zu gewähren vermag. Das vorliegende Buch zerfällt in drei Abſchnitte. I. Allgemeine Charakteriſtik des Rechtsſyſtems. Es ſollen in dieſem Abſchnitt die allgemeinen Charakterzüge und leitenden Gedanken des ältern Rechts entwickelt werden, und zwar wenden wir uns 1) der Außenſeite der Rechtswelt zu, machen uns alſo zuerſt mit der äußern Erſcheinung des Rechts ver- traut (Oeffentlichkeit — Plaſtik). Die Eigenthümlichkeit des Rechts erſchließt ſich uns aber erſt, wenn wir 2) die Grundtriebe deſſelben ins Auge faſſen, d. h. die höchſten, allgemeinſten Tendenzen, die daſſelbe verfolgt, die ſich alſo auch als die Ziele und Ideale des römiſchen Rechtsgefühls bezeichnen laſſen. Es ſind dies 1) der Selbſtändigkeitstrieb des Rechts, 2) der Gleich- heitstrieb, 3) der Macht- und Freiheitstrieb. Während ſie uns das Wollen des römiſchen Geiſtes auf dem Gebiete des Rechts bezeichnen, ſtellt uns, ganz ihren Zwecken dienſtbar, 3) die juriſtiſche Technik das intellektuelle Können deſſelben dar. Es iſt der Höhengrad der rationellen Er- faſſung und Behandlung des Stoffes, den wir hier zu beſtimmen haben, der Reichthum an Ideen und Mitteln, über den jene Technik gebietet, ihre Methode der Zer- ſetzung und Scheidung des Stoffs — die juriſtiſche Ana- lyſe — und ihr Kleben an der Aeußerlichkeit (Materialis- mus und Formalismus). Nachdem wir hiermit die allgemeinſten Charakterzüge gefun- den, werfen wir 4) einen Blick auf einige irreguläre Erſcheinungen („freiere

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/21>, abgerufen am 18.04.2024.